"Schimon!" rief ermahnend Rabbi Davidson, der Klassenlehrer, "schaue bitte wieder in deinen Chumasch und passe gefälligst auf."
Der strenge Ton des Lehrers schreckte Schimon auf, der gerade in Gedanken versunken aus dem Fenster blickte. "Ich wollte dich nicht erschrecken", fuhr Rabbi Davidson fort - jetzt aber in einem viel ruhigeren Ton, "aber du solltest wirklich während des Unterrichts nicht so viel tagträumen. Vielleicht hängt dies ja mit der aktuellen Parascha der Woche zusammen, bei der es sich im Wesentlichen um Träume handelt. Der Pharao hatte zwei Träume und Josef HaZaddik wurde gerufen, um die Träume des Pharao zu interpretieren, weil er zuvor bereits die Träume des königlichen Mundschenks sowie des Bäckers richtig gedeutet hatte, und schließlich wurde Josef ursprünglich erst aufgrund seiner Träume nach Ägypten verkauft."
Schimon nickte zustimmend: "Eigentlich, Rabbi Davidson, dachte ich wirklich über diese Träume nach. Wir lernten gerade, wie der Pharao aus seinen Träumen erwachte und seine Magier zu sich rief, damit diese seine Träume deuten würden, richtig?"
"Ja, das stimmt, Schimon." Der Lehrer fragte in die Klasse, "wer kann mir sagen, wie die ägyptischen Magier die Träume des Pharao deuteten? Wir lernten dies aus dem Kommentar Raschis."
Es erhoben sich viele Hände und der Lehrer nahm Jossi dran: "Sie sagten, die sieben fetten Kühe und Ähren wären ein Zeichen dafür, dass der Pharao sieben Töchter haben werde, und die sieben mageren Kühe und Ähren bedeuteten, dass die sieben Töchter jedoch sterben würden."
"Und wie lautet die andere Erklärung?" fragte Rabbi Davidson, auf Dovi zeigend.
"Sie sagten, dass der Pharao sieben Nationen erobern werde, jedoch jene sieben Nationen sich später gegen Pharao auflehnen würden."
"Genau darüber habe ich nachgedacht", meldete sich Schimon zu Wort, "doch warum nur war der Pharao mit den Erklärungen seiner Magier nicht zufrieden? Und wieso hat Josefs Interpretation ihn derart überzeugt, dass er sie sofort akzeptiert hat?"
Rabbi Davidson lächelte, "das ist eine sehr gute Frage, Schimon. Wenn es tatsächlich das ist, worüber du nachgedacht hast, dann bin ich dir wegen deiner Tagträumerei nicht böse. Siehst du, der Pharao war Herrscher über die seinerzeit größte und stärkste Weltmacht. Und ein solch mächtiger Herrscher ist nun einmal keine gewöhnliche Person. Er ist verantwortlich für sein Land, für dessen Einwohner, und er verwendet letztlich sein ganzes Leben dafür, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Pharao war sich dessen bewusst, dass seine Träume eine immens wichtige Botschaft enthielten, die nicht nur ihn, sondern sein ganzes Imperium betreffen würde."
"Pharao dachte daher, dass die Erklärungen, die ihm seine Magier gaben, nicht zu den Träumen eines Regenten passen würden. Kinder zu haben oder die Stärke seiner Armee zur Schau zu stellen, würde nicht alle Menschen in seinem Reich involvieren. Josefs Erklärung hingegen war anders. Josef erklärte ihm, dass Jahre des Überflusses und Jahre des Mangels kommen würden. Diese Ereignisse würden sich indes auf sein gesamtes Imperium auswirken."
Wenn ein solches Verantwortungsbewusstsein bereits bei einem nichtjüdischen Regenten zu finden ist, dann muss dies umso mehr für einen jüdischen Anführer gelten - er trachtet nicht danach, sein eigenes Leben zu verbessern oder die Lage weniger, ihm nahestehender Personen. Ein jüdischer Anführer sorgt sich um das gesamte jüdische Volk.
(Übersetzt aus "Please Tell Me What the Rebbe Said, Vol. I", basierend auf Likutei Sichot, Band 15, Paraschat Mikez.)
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