„Ich widerspreche entschieden!“ Elissa unterbrach. „Am Rande einer Ära weltumfassenden Friedens??! Ich sehe nicht, dass die Welt sich in diese Richtung bewegt. Gestern habe ich mir die Nachrichten angeschaut und hörte von zwei lokalen Mordberichten. Im Mittleren Osten wird nuklear aufgerüstet und nun heißt es auch noch, dass der Antisemitismus auf dem Vormarsch sei. Wo genau siehst du da den Anfang eines Weltfriedens?“

„Ich stimme dir zu,“ räume ich ungeniert ein, „Unmoral und Hass sind weit verbreitet. Aber wer kann schon behaupten, sozialer Verfall sei kein Zeichen von der bevorstehenden Ankunft des Moschiach?“

„Ich dachte immer, dass wir auf einer höheren Ebene sein müssten, um Moschiach zu verdienen.“ Elissa schaut mich verblüfft an.

„Wenn wir aber tatsächlich auf solch höheren Ebene wären, wozu würden wir dann überhaupt Moschiach benötigen?“ wandte ich ein. „Aber ich akzeptiere absolut deine Meinung. Es scheint nicht eingängig, eine Ära von Frieden und spiritueller Bewusstheit zu erwarten, in einer auf so vielen Ebenen zerstörerischen Welt. Sogar die Weisen bezeichnen die globale Perfektion nicht als Kriterium für die Ankunft des Moschiach. Ganz im Gegenteil – der Talmud sagt, dass der Sohn Davids (Moschiach) nicht eher kommen wird, bis die ganze Welt zu Ketzern wurde!“


Lass uns einmal die Worte des Talmud in ihrem Kontext überprüfen:

Rabbi Nechemia sagt, dass in jener Generation, die Moschiach empfangen wird, sich Unverschämtheiten mehren; Wertschätzung und Respekt gehen verloren, der Wein wird seine Frucht abwerfen und trotzdem teurer sein; Königreiche werden zur Ketzereien, aber niemand wird sie zurechtweisen. Diesen Standpunkt vertritt auch Rabbi Jizchak, der da sagte: Der Sohn Davids wird nicht eher kommen, bis die gesamte Welt aus Ketzern besteht! Raba sagte: Welcher Vers (beweist dies)? „Alles wurde in Weiß verwandelt; dies ist rein.“ (Sanhedrin 97a)

Rawa stimmt Rabbi Jizchak zu und nennt ein unübliches Gesetz über „Zara´at“, eine Hauterkrankung, die fälschlich mit „Lepra“ übersetzt wird. Ein weißer, sich ausbreitender Ausschlag lässt eine Person unrein werden. Ist jedoch das ganze Gesicht mit dem weißen Ausschlag infiziert ist, gilt die Person als „rein“.1

Dieses Gesetz erscheint als komplett unlogisch! Denn einem vollständig mit der Krankheit bedeckten Menschen ergeht es schlimmer, als dem mit nur einer einzigen weißen Läsion! Warum wird er dennoch als „rein“ dargestellt?

Das Gesetz kann auf zwei Ebenen verstanden werden:

  1. Ja – es ist unlogisch, aber es ist ein Gesetz G-ttes. Nur er selbst definiert die Kriterien, wer rein ist, nicht wir.
  2. Es gibt eine logische Erklärung für dieses Gesetz. Wenn die Hautkrankheit einen Teil seiner Haut infiziert, ist sie für alle klar als Krankheit zu erkennen. Bedeckt sie aber den gesamten Körper, so könnte es sich auch um den Normalzustand seiner Haut handeln, und daran wäre nichts krank.

Rawa zeigt uns eine Parallele zwischen dem reinen Aussätzigen mit weißen Ausschlägen und dem ketzerischen Universum am Rande des messianischen Zeitalters.

Warum sind die Menschen nicht in der Lage, sich zu bessern, gesunder, friedlicher und G-ttesbewusster zu leben, während wir uns dem Zeitalter des Moschiach nähern? Nun, sagt Rawa, die Antwort folgt der These vom unüblichen Gesetz des „reinen Aussatz“. Der Moschiach selbst wird im Talmud als Aussatz bezeichnet, was teilweise fern jeglicher Logik, und teilweise doch wieder logisch ist:

  1. Die unlogische Begründung, dass Dinge in der Welt chaotisch und korrupt erscheinen, bevor sie langsam sich wirklich zu verbessern beginnen, ist die Tatsache, dass G-tt es auf diesem Wege will. Er arrangierte einen Absturz jeglicher Moral, um eine globale, weltumfassende Transformation einzuleiten.
  2. Aber genau wie beim „puren Aussatz“ gibt es etwas Stimmiges am deutlichen Verständnis des Bösen, das wir vor der Ankunft des Moschiach fühlen. Dies ist ein Vorzeichen, dass alles Böse, das in unserer Kultur verschüttet und verdeckt war, sich nun offenbart. Mit anderen Worten, wurden die Grundelemente vertrieben und viel dramatischer angesehen, weil die inwendigen Denkmuster der Gesellschaft verfeinert wurden. Offenbart sich das Böse, kann es geläutert werden.

Zwei Beispiele, die das Phänomen beleuchten:

In letzter Zeit gab es eine Menge politischer Skandale. Politiker missbrauchen öffentliches Kapital, verschwenden Steuergelder, um ihren gehobenen Lebensstil zu finanzieren. Und wie steht es mit der Treue? Auch Regierungsverantwortung tragende Persönlichkeiten haben außereheliche Affären. Sobald ihre Sünden aufgedeckt werden, ist das Volk empört. Wie kann in einer derart ehrenvollen Position so etwas Unehrenhaftes geschehen?

Aber wäre politische Korruption vor hundert Jahren mit derselben Empörung betrachtet, oder nicht vielleicht sogar erwartet worden?

Und seit wann ist Untreue überhaupt so schockierend? Selbst George Washington, Thomas Jefferson, Andrew Jackson und Franklin D. Roosewelt waren als notorisch untreue Präsidenten berüchtigt.

Die heutige Gesellschaft erwartet mehr In der heutigen Zeit jedoch erwartet die Gesellschaft mehr. Korruption wird nicht mehr toleriert und Untreue ist inakzeptabel. So werden diese Dinge zu Schlagzeilen.

Von meinem persönlichen, psychologischen Blickpunkt aus, bin ich vielleicht eines Tages über die schlechte Beziehung zu meinem Partner empört. Es ging zwar schon lange so, aber auf einmal wird es unerträglich. Manchmal ist das ein sehr gesunder Vorgang. Letzte Woche habe ich mein Unbehagen unterdrückt. Ich war noch nicht bereit, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und nicht wert, deshalb für Ärger zu sorgen. Ich habe es in meinem Unterbewusstsein belassen. Aber heute sind meine inneren Kanäle gesunder und möchten den Zerfall der Rechtschaffenheit nicht länger tolerieren. Nun kommt es mit Macht an die Oberfläche meines Bewusstseins und stört mich. Endlich bin ich bereit, daran zu arbeiten.

Vielleicht gibt es nicht mehr Übel und Schlechtigkeit als früher, aber es wird diesen schlechten Verhaltensweisen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Das ist gut, denn an die Oberfläche gelangt, kann ein gesunder Heilungsprozess beginnen.2