Etwa die Hälfte der Menschheit besteht aus Kwetschern, Bettlern und anderen Unzufriedenen. Die andere Hälfte sind jene, die mehr oder weniger damit zufrieden sind, was sie haben und was sie sind, und die keine Hilfe brauchen. Letztere sind aufgefordert, Mitgefühl für die Bedürftigen zu haben und ihre Not zu lindern.
Interessant ist, dass diese „Halb-und-halb-Regel" für alle Einkommens- und lntelligenzgruppen gilt, unabhängig von der Lebensqualität. Die halbe Welt gibt, und die halbe Welt nimmt. Zu welcher Hälfte wir gehören, hat wenig oder nichts damit zu tun, was wir bereits haben.
(Bevor Sie diese scheinbar seltsame Idee ablehnen, sollten Sie einen einfachen Versuch machen. Teilen Sie ein Blatt Papier in zwei Hälften, und schreiben Sie in die linke Spalte die Namen aller wohlhabenden Leute, die Sie kennen. Markieren Sie nun alle zufriedenen Menschen mit einem Plus- und alle unzufriedenen mit einem Minuszeichen. Sie werden feststellen, dass Reichtum, Ansehen und ähnliche Faktoren keinen Einfluss auf die Zahl der Plus- oder Minuszeichen haben).
Ein Beispiel dafür ist der Mond. Der Tora zufolge (Genesis 1:16) schuf G-tt am vierten Tag „die zwei großen Himmelskörper“. Doch schon in der nächsten Zeile steht, dass „der große Himmelskörper den Tag regiert“ und „der kleine Himmelskörper die Nacht regiert.“
Unsere Weisen erläutern, dass Sonne und Mond anfangs gleich groß und hell waren – bis der Mond sich darüber beklagte. Der Talmud (Chulin 60b) berichtet über ein Gespräch zwischen dem Mond und seinem Schöpfer:
Mond: H-rr des Universums, können zwei Könige dieselbe Krone tragen?
G-tt: Verzichte eben auf die Krone!
Mond: H-rr, nur weil ich das Richtige sagte, soll ich nachgeben?
G-tt: Du darfst sowohl den Tag als auch die Nacht regieren.
Mond: Was nützt mir das! Wer braucht mittags eine Lampe?
G-tt: Das Volk Israel wird seinen Kalender nach dir berechnen.
Mond: Aber die Jahreszeiten werden sie nach dem Stand der Sonne einteilen.
G-tt: Die Rechtschaffenen werden nach dir benannt werden: Jaakow, der Kleine, Schmuel der Kleine, David der Kleine.
Doch der Mond blieb unzufrieden. Darum sagte G-tt: „Du darfst Sühne dafür verlangen, dass ich dich kleiner gemacht habe.“
Dies ist der Ur-Kwetsch. Der Mond hatte alles, aber er war unzufrieden. Die Sonne störte sich nicht daran, dass beide Himmelskörper groß waren; sie begnügte sich mit dem, was sie hatte. Aber der Mond fühlte sich benachteiligt, obwohl er ebenfalls ein großer Himmelskörper war.
Und G-tt sagte: „Du hast Recht, Meine ganze Schöpfung gründet auf dem Wechselspiel zwischen Gebern und Nehmern, zwischen Satten und Hungrigen. Dank dieser Spannung, dieses Bandes zwischen ihnen bringen sie neues Leben hervor. So wie meine Schöpferkraft der Beziehung zwischen mir als Geber und meinem Wunsch nach einer empfangenden Welt entspringt. Wie du sagst, lieber Mond, zwei große Himmelskörper sind zu viel. Also werde klein und dunkel und empfange dein Licht von der Sonne!“
„Aber warum ich?", fragte der Mond. „Weil ich mich beklagt habe?“
„Genau“, antwortete G-tt. „Weil du unzufrieden bist, die Sonne aber nicht, soll sie die Gebende und du der Nehmende sein.“
G-tt erklärt dem Mond, dass der Nehmende ebenso wichtig ist wie der Gebende, und nennt als Beispiel den Mondkalender, der in lsrael gilt. Er erwähnt die unsichtbare Gegenwart des Mondes während des Tages und den Wert der Bescheidenheit. Doch der Mond versteht nicht. Natürlich nicht – denn wenn er verstünde, wäre er kein Mond.
Und wie fühlt sich G-tt? Schrecklich. Schließlich hat er den Mond zum Mond gemacht. Ebenso flößte er all den Nudniks, Kwetschern und Bettlern der Welt den Hunger und das Gefühl der Unzulänglichkeit ein, das sie so großartig macht und sie zugleich daran hindert, ihre Größe zu erkennen.
„Vergebt mir“, sagt G-tt. „Eines Tages werdet ihr einsehen, dass alles seinen Sinn hat. Bis dahin aber bin ich zur Sühne bereit.“
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