Kurz bevor der Baal Schem Tow starb, erteilte er jedem seiner engsten Schüler einen besonderen Auftrag, um den Chassidismus zu verbreiten. Einer seiner Schüler, Reb Jaakow, sollte von Ort zu Ort reisen und den Leuten alles erzählen, was er in all den Jahren mit dem Baal Schem Tow erlebt hatte. Reb Jaakow erfüllte seine Mission mehrere Jahre lang, doch nach einiger Zeit sehnte er sich nach seiner Heimat. Er begann nach einem Zeichen Ausschau zu halten, das ihm sagen würde, sein Auftrag sei erfüllt.
Eines Tages kam er nach Italien. Er hatte gehört, dort lebe ein reicher Jude, der für jede Geschichte über den Baal Schem Tow gut bezahle. Er besuchte ihn, wurde fürstlich empfangen und erhielt das beste Zimmer. Er bereitete eine Reihe von Geschichten vor, um sie während der Mahlzeiten am folgenden Schabbat zu erzählen. Der Schabbat kam, und Reb Jaakow stand auf, um zu reden. Doch zu seinem Entsetzen wurde sein Geist leer – er konnte sich an nichts mehr erinnern. Die Anwesenden waren nicht weniger überrascht, nur der großzügige Gastgeber blieb ungerührt. Er drängte Reb Jaakow, sich auszuruhen und es später noch einmal zu versuchen. Reb Jaakow eilte in sein Zimmer und plötzlich fielen ihm alle Geschichten wieder ein. Doch als er am nächsten Tag, am Nachmittag des Schabbats, aufstand und sprechen wollte, verstummte er erneut. Da es ihm beim dritten Schabbat-Mahl nicht besser erging, wurde er traurig. „Bestimmt will der Himmel mich für eine schlimme Sünde bestrafen!“, dachte er.
Als der Schabbat vorbei war und Reb Jaakow jede Malzeit mit seinem Gastgeber geteilt hatte, sagte dieser behutsam: „Jetzt sind wir allein. Vielleicht kannst du dich nun an etwas über den heiligmäßigen Baal Schem Tow erinnern.“ Reb Jaakob gab sich die größte Mühe, aber nichts fiel ihm ein. Voller Scham kündigte er seine sofortige Abreise an.
„Bitte, beeile dich nicht“, bat der Gastgeber. Bleib noch ein paar Tage, und wenn dein Gedächtnis dich dann immer noch im Stich lässt, halte ich dich nicht zurück.“ Als der festgesetzte Tag kam und Reb Jaakow sich an nichts erinnerte, packte er seine Sachen. Doch kaum hatte er seine Kutsche bestiegen, als ihm eine Geschichte einfiel. Er verlor keine Zeit und erzählte:
„Vor etwa zehn Jahren, kurz vor dem christlichen Osterfest, brachen der Baal Schem Tow und einige seiner Schüler zu einer Reise in eine unbekannte Stadt auf. Die Christen hatten sich auf dem Marktplatz versammelt, um eine Predigt ihres Bischofs zu hören. Die Juden fürchteten sich – vielleicht würde der Bischof seine Anhänger zur Gewalt gegen die Juden aufwiegeln. Also verriegelten sie ihre Häuser. Aber der Baal Schem Tow machte sich keine Sorgen. Er schickte mich sogar zum Bischof mit dem Befehl, sofort zum Baal Schem Tow zu kommen!
Ich übermittelte diese Botschaft auf Jiddisch, wie der Baal Schem Tow es mir aufgetragen hatte. Der Bischof schien nicht überrascht zu sein. Er sagte, er werde sofort nach seiner Predigt kommen. Ich eilte zurück zum Baal Schem Tow und berichtete. Wieder schickte er mich zum Bischof, diesmal mit dem Befehl, sofort zu kommen. Als ich dem Bischof diese Worte mitteilte, erbleichte er und folgte mir, ohne Fragen zu stellen. Der Baal Schem Tow schloss sich stundenlang mit dem Bischof ein. Dann fuhren wir nach Hause zurück, so schnell wir gekommen waren, ohne jede Erklärung. Das ist das Ende meiner Geschichte.“
Der reiche Jude hatte gebannt zugehört. Plötzlich rief er aus: „G-tt sei Dank! Der Allm-chtige sei gelobt!“ Als er sich beruhigt hatte, erklärte er: „Alles, was du erzählt hast, stimmt genau! Ich weiß es, weil ich der Bischof war!“ Dann fuhr er fort: „Ich wurde als Jude geboren und erzogen, aber die Aussicht auf eine große Karriere bewegte mich zur Konversion, denn als Jude durfte ich nicht an der Universität studieren. Zuerst übte ich meine Religion heimlich aus, doch nach und nach vergaß ich meine Herkunft. Eines Tages wurde ich Bischof, aber ich wurde von Träumen und Visionen meiner Jugend heimgesucht. Offenbar hatten meine Ahnen Mitleid mit meiner verlorenen Seele. Aber ich verdrängte die Visionen. Eines Nachts erschien mir der Baal Schem Tow im Traum und verlangte von mir, zu meinem Volk zurückzukehren. Ich begann an Buße zu denken, wusste aber nicht, ob ich stark genug war. In der Nacht vor meiner Predigt erschien mir der Baal Schem Tow erneut und kündigte an, er werde kommen und mir helfen. Es fiel mir schwer, mit meiner Vergangenheit zu brechen; doch schließlich kehrte ich reumütig zu unserem herrlichen Erbe zurück. Der Baal Schem Tow erklärte mir, wie meine Buße auszusehen habe. Ich fragte: „Woher weiß ich, ob meine Reue erhört wird?“, antwortete er: „Wenn dich ein Mann besucht und dir erzählt, was heute geschehen ist, weißt du, dass deine Reue akzeptiert wurde.“ Ich befolgte alle Anweisungen des Baal Schem Tow genau. Als du kamst, erkannte ich dich sofort. Und als du dich an nichts erinnern konntest, nicht einmal an meine Geschichte, wusste ich, dass meine Reue noch unvollständig war. In den vergangenen Tagen habe ich meine Seele gründlich erforscht, und jetzt weiß ich, G-tt sei Dank, dass meine Reue wahrhaftig erhört wurde.“
ב"ה
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