Es war Freitagnachmittag, und Reb Jossele war nach einem langen Arbeitstag auf dem Heimweg. Er war ein Hausierer, der in den Dörfern Russlands neue Töpfe verkaufte und alte reparierte. Manchmal gingen die Geschäfte gut, vor allem vor den Feiertagen, wenn die Hausfrauen besondere Speisen zubereiten mussten und ihnen ein Topf oder eine Pfanne fehlte. Ein ander Mal hatte er kaum genug zum Leben. Heute war ein guter Tag gewesen, aber der Schabbat nahte, und er wollte unbedingt nach Hause. Die Sonne strahlte, und der Wind wirbelte die Blätter durcheinander und schmeichelte der Haut.
Plötzlich hielt der Wagen an und neigte sich zur Seite. Jossele konnte es nicht glauben, aber ein Blick bestätigte seinen schlimmsten Verdacht: Die Achse war gebrochen. Er begann, sie mit dem Werkzeug, das er bei sich führte, zu reparierten; aber die Sonne stand schon hoch, und die Arbeit war schwierig. Reb Jossele war nervös. Er hatte unerwartet viel Zeit verloren, und sein Dorf war noch weit entfernt. Was konnte er anderes tun, als weiterzumachen und das Beste zu hoffen?
Die Sonne war untergegangen, als Reb Jossele in eine Seitenstraße des kleinen Dorfes einbog. Alle jüdischen Männer waren in der Synagoge und beteten; aber Reb Jossele ging nicht, weil er sich schämte. Nie zuvor hatte er die Schabbatgebote übertreten. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn den ganzen Schabbat, und als die ersten Sterne am Himmel erschienen, ging er zu seinem Rebbe. Er hoffte von ihm zu erfahren, wie er seine Seele von der Sünde reinigen konnte. Zögernd und mühsam erzählte er dem Zadik alles. „Das ist wirklich schwierig“, sagte der Rebbe. „Deine Buße muss zur Schwere der Sünde passen. Du musst dich in den Schnee legen und im zugefrorenen Fluss baden. Das reinigt deine Seele und bewirkt vollständige Reue.“
Reb Jossele hörte mit großen Augen zu. Er seufzte und schauderte. Dann dankte er dem Zadik für seine Hilfe. Er war bereit, alles zu tun, um den Schandfleck von seiner Seele zu entfernen. Eines frühen kalten Morgens, nach einem vergeblichen Versuch, in den Fluss zu tauchen, saß er in seiner Hütte und fragte sich, was er tun solle. Er sehnte sich danach, die Tschuwa aufzubringen, die ihn von der Sünde reinigen würde, welche er unbeabsichtigt begangen hatte und die ihn dennoch plagte. Er erhob sich und ging zum Morgengebet in die Synagoge. Die Anwesenden unterhielten sich angeregt über die bevorstehende Ankunft des berühmten Zadik Rabbi Israel Baal Schem Tow im Nachbardorf. Reb Jossele war plötzlich nicht mehr so müde. Er lächelte sogar. Der Baal Schem Tow würde ihm gewiss helfen.
Zwei Tage später besuchte er ihn und berichtete von seiner Sünde und von der Buße, die sein Rebbe ihm auferlegt hatte. Der Baal Schem Tow hörte zu und sagte dann: „Kaufe Kerzen und stelle sie an diesem Freitag in die Studienhalle.“ Jossele traute seinen Ohren nicht. War es so einfach? Aber der Bescht war zweifellos ein großer Zadik, und Reb Jossele vertraute ihm völlig. Sofort kaufte er die Kerzen. Am Freitag brachte er sie in die Studienhalle, stellte sie in die Halter und zündete sie an. Doch auf einmal lief zu seinem Entsetzen ein großer Hund in die Halle, nahm die Kerzen zwischen seine riesigen Kiefer und zerkrümelte sie. Reb Jossele weinte. G–tt wollte seine Reue nicht akzeptieren!
Traurig kehrte er zum Bescht zurück und berichtete. „Anscheinend ist dein Rebbe nicht mit meinem Rat einverstanden. Aber es wird alles gut. Geh und kaufe mehr Kerzen und stell sie wieder in die Studienhalle. Ich verspreche dir, dass diesmal nichts passiert. Und wenn du nach Hause gehst, sag deinem Rebbe, dass ich ihn am nächsten Schabbat gerne als Gast empfangen würde.“ Reb Jossele überbrachte die Einladung seinem Rebbe, und dieser freute sich sehr über diese Geste des Baal Schem Tow.
Am Freitagmorgen spannte der Rebbe seine Pferde ein und fuhr ins nahegelegene Dorf, in dem der Bescht sich aufhielt. Aber es ging einiges schief. An einer Kreuzung bog er ab und fuhr den falschen Weg. Er kehrte zurück und geriet in ein Dickicht. Schließlich hatte er sich hoffnungslos verirrt. Als die Sonne zu sinken begann, musste er zu Fuß gehen. Bei jedem Schritt schimpfte er auf sich selbst. Wie konnte er so unvorsichtig sein? Wie konnte er den Weg verfehlen? Als er an der Tür des Baal Schem Tow ankam, hatte dieser den Kiddusch-Becher in der Hand und wollte den Kiddusch über dem Wein sprechen.
„Jetzt weißt du, wie Reb Jossele sich fühlte, als er den Schabbat entweihte. Vor diesem Abend hast du nie gesündigt, und darum konntest du nicht verstehen, welchen Schmerz ein Mensch empfindet, wenn er gesündigt hat. Du dachtest, die Buße müsse schwierig und hart sein; aber in Wahrheit genügt ein gebrochenes Herz als Buße.“ So kam es, dass an diesem Tag zwei fröhliche Schabbatmahlzeiten verspeist wurden – eines beim sündlosen Reb Jossele und eines am Tisch der beiden Zadikim.
ב"ה
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