Vor vielen Jahren gab es in Babylon eine große jüdische Bevölkerung. Die jüdische Gemeinde dort war der Nachfahre der ersten Verbannten, die Nebukadnezar, der König von Babylon, noch vor der Zerstörung des ersten heiligen Tempels im Jahr 422 v.u.Z. – der Verbannung Jechonias – ins Exil geschickt hatte. Fünfzig Jahre nach der Zerstörung erlaubte Kyros, der König von Persien (ein weltberühmter Herrscher in jenen Tagen), den Juden, in ihre Heimat zurückzukehren. An der Spitze der Rückkehrer aus Babylon stand Serubabel ben Schealtiel, ein Nachkomme König Jechonias, der einer der letzten Könige des Hauses Juda in Israel war. Viele Juden kehrten nach Israel zurück, doch viele blieben auch in Babylon.

Zerubabels Familie in Babylon, die Nachkommen des Königshauses von König David waren, genoss besonderen Respekt und Ehre bei der königlichen Familie von Persien. Aus dieser Familie wählte der König mit Zustimmung der Juden einen „Anführer im Exil”, den jüdischen Vertreter am persischen Hof und die höchste Position unter den im Exil lebenden Juden in Babylonien. König Kyros ernannte Serubbabel zum Gouverneur von Israel.

Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 3828 (68 v.u.Z.) durch den römischen Tyrannen Titus flohen viele Juden erneut nach Babylon, wo die jüdische Gemeinde weiter an Bedeutung gewann. Es gab Jeschiwot (Talmudakademien), in denen Tausende von Schülern zu Füßen der Weisen von Babylon die heilige Tora studierten. Dort erhellten die Tannaim und später die Amoraim, Rabanan Saborai und Gaonim das dunkle jüdische Exil mit dem strahlenden Licht der Tora.

Bis zu Raw Saadiah Gaon, der im Jahr 4702 (942 u.Z.) starb, wurde die Position des „Anführers im Exil” wie bei einem König vom Vater an den Sohn weitergegeben. In diesen Jahren stand der „Anführer im Exil” an der Spitze der jüdischen Gemeinde in Babylon und setzte sich für die Rechte der Juden in ihrer neuen Heimat ein und verbesserte ihre finanzielle Situation. Er spielte auch die Rolle des geistigen Führers der Juden, da er die größte Autorität in Bezug auf die Tora seiner Zeit war.

Einer der bekanntesten "Anführer im Exil" war Bustanai ben Chanina. Die folgende Geschichte erzählt, wie Bustanai zum "Anführer im Exil" wurde:

Zu dieser Zeit verfolgte ein grausamer persischer König die Juden. Er verfolgte insbesondere die Familie des „Anführers im Exil” und ermordete so viele Mitglieder der Nachkommen König Davids, wie er finden konnte. Die prominentesten Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden ins Gefängnis geworfen, und die Situation der Juden in Babylon war in der Tat düster.

Eine Frau, eine Nachfahrin König Davids, die kurz vor der Entbindung stand, rettete sich jedoch, indem sie untertauchte. In der Zwischenzeit stellte der König umfangreiche Nachforschungen an, um herauszufinden, ob noch Mitglieder des Königshauses Davids am Leben waren. Dann hatte der König einen Traum, in dem er in einem wunderschönen Garten stand, in dem die schönsten Bäume und Früchte blühten. Er hielt eine Axt in der Hand und fällte einen Baum nach dem anderen. Plötzlich bemerkte er einen jungen Baum, der in einer Ecke des Gartens versteckt war, und holte mit der Axt aus. Eine starke Hand packte seine Arme und hinderte ihn daran, weiterzumachen. Als der König sich umdrehte, sah er einen alten Mann mit göttlicher Erscheinung. Der alte Mann nahm dem König die Axt aus der Hand und drohte, ihn damit zu töten. Der König warf sich dem Alten zu Füßen und flehte ihn an, ihn am Leben zu lassen.

„Warum sollte ich dich verschonen, wenn du unschuldige Bäume nicht verschonst?”, sagte der alte Mann streng zum König und machte eine Pause. „Ich werde dich unter einer Bedingung am Leben lassen: Du musst diesen Setzling wie deinen Augapfel hüten, bis er zu einem Baum herangewachsen ist und Früchte trägt!” Der König schwor, dass er diese Bedingung erfüllen würde ... und erwachte dann plötzlich aus seinem Schlaf.

In großer Angst rief er seine Berater zusammen und erzählte ihnen von seinem Traum, aber keiner von ihnen konnte ihn deuten. Da rief einer seiner Diener: „Mein Herr! Viele jüdische Weise sind im Gefängnis eingesperrt. Der König kann sicher unter ihnen einen finden, der den Traum richtig deuten kann.“

Der König stimmte zu und befahl seinen Dienern, die jüdischen Gefangenen vor ihn zu bringen, denen er seinen Traum erzählte.

Der Älteste der jüdischen Gefangenen deutete den Traum sofort.

„Die Bäume im Garten stehen für das Haus Davids, das der König so gnadenlos und rücksichtslos ermordet hat. Der junge Baum, den der König fällen lassen wollte, steht für den letzten Nachkommen König Davids, der bald geboren werden sollte. Und der alte Mann, den du im Traum gesehen hast, ist König David selbst, der gekommen ist, um seinen letzten verbliebenen Erben zu retten. Wenn der König am Leben bleiben will, muss er sein Versprechen unbedingt einhalten. Er muss die Dame finden, die bald einen Sohn gebären wird, und dafür sorgen, dass ihr kein Leid geschieht, denn das Leben des Königs hängt von ihr ab!“

„Aber wo finde ich diese Frau?”, fragte der König, der vor Angst zitterte.

„Ich kann sie finden”, antwortete der alte Mann mit Tränen in den Augen. „Sie ist meine Tochter. Mein Schwiegersohn war ein Mitglied der Familie von König David und wurde ermordet. Meine Tochter hat sich aus Angst vor dem König versteckt gehalten.”

Sofort befahl der König die Freilassung aller jüdischen Gefangenen. Er bat den alten Mann, seine Tochter zum König zu bringen, damit er sich um sie kümmern und sie wie seinen Augapfel beschützen könne.

Bald darauf gebar die Dame einen Sohn, der unter den wachsamen Augen des Königs aufwuchs. Seine Mutter und sein Großvater unterrichteten und erzogen ihn, damit er ein würdiger „Anführer im Exil” werden konnte. Alle nannten ihn „Bustenai”, abgeleitet von dem Wort „Bustan”, das „Garten” bedeutet. Als Bustenai heranwuchs, ernannte ihn der König mit Zustimmung der Juden zum „Anführer im Exil”. Er verlieh ihm viel Ehre und Macht, wie es noch kein Anführer im Exil zuvor genossen hatte.