[Die Abschnitte VIII-IX sind eine Fortsetzung der obigen Ausführungen. Der „rote Faden“ ist das Konzept der Vorsicht und der Selbstprüfung, das oben in den Abschnitten VI-VII erörtert wurde. Dennoch kann diese Schlussfolgerung der Sicha separat betrachtet werden, da sie von der Besonderheit des Monats Elul spricht (der mit Paraschat Re-eh zusammenhängt: Jedes Jahr ist der Schabbat von Paraschat Re-eh entweder der Schabbat Mewarchim Chodesch Elul, an dem der Monat Elul gesegnet wird, oder der erste Tag von Rosch Chodesch Elul. Siehe unten, Elul, Abs. XI; Lik. Sichot, Bd. IX, S. 106, und Anm. 1-1* ad loc.).]
VIII. Likkutej Tora1 bietet ein Gleichnis, um den Unterschied zwischen den Monaten Elul und Tischrej zu erklären: Elul ist vergleichbar mit der Zeit, in der ein König durch das Land zieht, bevor er die Stadt betritt. Tischrej ist vergleichbar mit der Zeit, in der der König in seinem Palast ist.
Wenn der König in seinem Palast ist, ist der Zugang zum König eingeschränkt. Nicht jeder kann ihn betreten, und selbst diejenigen, die ihn betreten dürfen, müssen eine Reihe von Vorbereitungen treffen.
Wenn der König zu seinem Volk geht und durch die Lande zieht, erscheint er dort nicht in all der Pracht und Herrlichkeit, die in seinem Palast zu sehen ist. Dennoch hat dieses öffentliche Auftreten den Vorteil, dass jeder die Möglichkeit hat, den König anzusprechen. Der König empfängt alle wohlwollend und nimmt ihre individuellen Bitten entgegen.
Im Elul kommt der Allmächtige zu jedem Juden, und jeder kann alle persönlichen Bitten vorbringen, wie in Likkutej Tora ausführlich erklärt wird. Andererseits ist bei dieser Begegnung mit dem König an einem öffentlichen Ort besondere Vorsicht geboten:
In dem Gleichnis geht der König auf ihn zu und nimmt seine Bitten ungeachtet seines derzeitigen Zustands und seiner Verfassung an. Außerdem empfängt der König ihn freundlich und wohlwollend. Der Mensch könnte also irren, wenn er annimmt, dass sein gegenwärtiger Zustand und seine Lage keine Rolle spielen und er voll akzeptiert wird. Diese Annahme scheint durch die Tatsache gestützt zu werden, dass der König auf ihn zugeht.
Einen solchen Fehler würde man nicht begehen, wenn der König in seinem Palast ist. Schließlich kann man den Palast nicht betreten, ohne das entsprechende Protokoll zu befolgen und alle vorbereitenden Anforderungen zu erfüllen. Der Zutritt ist nur im Hinblick auf den Status des Besuchers erlaubt, wie es in der Gemara heißt: „Diejenigen, die würdig sind, den Hof zu betreten, wurden in den Hof geführt, die, die würdig sind, den Garten zu betreten, in den Garten, und die, die würdig sind, den Palast zu betreten, in den Palast.“2 Wenn der König jedoch auf das Land hinauskommt, kann man sich leicht irren, und deshalb ist in dieser Situation besondere Vorsicht geboten.
IX. So ist es mit dem Monat Elul. Der Allmächtige kommt zu jedem, unabhängig von seinem gegenwärtigen Zustand, und Er tut dies mit einem wohlwollenden und angenehmen Antlitz. Diese G-ttliche Manifestation ist zweifellos etwas Außergewöhnliches, denn sie erlaubt es jedem, die G-ttlichkeit zu „ergreifen.“ Diese ganz besondere Situation erfordert aber auch äußerste Vorsicht: Man darf nicht in der irrigen Annahme verfallen, man könne auf seinem jetzigen Niveau und in seinem jetzigen Zustand bleiben. Immerhin ist der Monat Elul eine Manifestation der „Dreizehn Attribute der Barmherzigkeit“3, von denen die Gemara4 sagt: „‚Der Ewige ging vor ihm vorüber ...‘5 Wäre es nicht im Text geschrieben, wäre es für uns unmöglich, so etwas zu sagen, aber dies lehrt, dass der Heilige, gesegnet sei Er, ein Gewand anlegte wie ‚der Vorbeter einer Gemeinde‘ und ausrief: ‚Hawaja Hawaja – Ewiger, Ewiger‘“6 – was sich auf den G-ttlichen Aspekt bezieht, der über den Schöpfungsprozess hinausgeht.7 Die Tatsache, diese G-ttliche Manifestation in einer Zeit zu erleben, in der der Mensch mit den normalen physischen Aktivitäten des täglichen Lebens beschäftigt ist (denn die Tage des Elul sind keine Festtage8 ), kann daher sehr wohl dazu führen, dass man sich irrt.
X. Pri Ez Chajim9 stellt fest, dass die ersten Buchstaben von „LaHawaja waJomru Lemor Aschira (... dem Ewigen, und sie sprachen: ‚Ich will singen‘)“10 das Wort Elul bilden. Dies wirft mehrere Fragen auf: (a) Was ist die Verbindung zwischen diesen Worten und dem Monat Elul?11 (b) Was bedeutet das Wort Lemor (sprechend) in diesem Vers? Lemor bedeutet normalerweise „sprechen; an einen anderen weitergeben.“12 In diesem Fall waren jedoch alle Juden anwesend!13
Das Wort Lemor in diesem Vers bezieht sich auf zukünftige Generationen: In jeder Generation14 muss es das „Ich will dem Ewigen singen, denn Er ist hoch erhaben“15 geben. Wenn ein Jude auf der Ebene von „Ich will dem Ewigen singen“ steht, dann ist „Er hoch erhaben“, d. h., wie der Targum übersetzt: „Er ist erhaben über alle Erhabenen.“ Es gibt erhabene Wesen, wie die „Himmlischen Engelsfürsten“, die mit dem Lauf der Natur in Übereinstimmung mit dem Schöpfungsprozess in Verbindung stehen.16 Wenn sich aber ein Jude dem Allmächtigen unterwirft, betrachtet G-tt für ihn die ganze Welt mit allen „Himmlischen Fürsten“ wie nichtig, und alle sind ihm untertan.17
Dies ist also die Awoda von Elul: „[Sie] sprachen: ‚Ich will dem Ewigen singen‘“, d. h. die Unterwerfung unter G-tt. Es ist das Konzept von Teschuwa – „Der Geist wird zu G-tt zurückkehren ...“18 – das zu „Ich will singen ...“ führt. Dieses Gefühl der Unterwerfung unter G-tt wird sich auch auf andere auswirken – „[sie] sprachen Lemor“ bis zu dem Punkt, dass sie „zu den [zukünftigen] Generationen sprechen.“ Dies wiederum bewirkt, dass „Er hoch erhoben ist“, d. h., dass man in der Lage ist, die Welt zu beherrschen: Das Prinzip „Der Diener eines Königs ist wie der König“19 gilt für den Diener von „Hawaja (der Ewige) ist König geworden, Hoheit hat Er angelegt.“20
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Re-eh 5714)
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