VI. Unsere Weisen erzählen uns, dass Mosche, als die Geräte des Mischkan hergestellt waren und es an der Zeit war, die Menora zu machen, darüber verwirrt war – er wusste nicht, wie er die Menora fertigen sollte. G-tt sagte ihm dann, er solle Gold ins Feuer werfen und die Menora würde von selbst gemacht.1
Das ist ziemlich rätselhaft. Wie unterscheidet sich die Menora von allen anderen Geräten, dass Mosche zwar wusste, wie man die anderen herstellt, aber nicht die Menora? Außerdem hatte Mosche die Menora bereits am Himmel gesehen, wie es geschrieben steht: „nach diesem Muster, das dir gezeigt wurde“;2 warum wusste er es dann nicht?
VII. Wir können dies verstehen, indem wir zunächst die allgemeine Idee des Mischkan und seiner Geräte erklären.
Wenn es um den Bau des Mischkan und seiner Geräte geht (in Paraschat Teruma), beginnt die Tora mit einer allgemeinen Einleitung: „Sprich zu den Kindern Israels, dass sie für Mich nehmen ...“3 Zwei Einzelheiten werden hier erwähnt: a) „Sprich zu den Kindern Israels“ und b) „Sie sollen für Mich nehmen ...“ Nach diesen beiden Voraussetzungen kann man mit dem Bau des Mischkan beginnen.
VIII. Dies bedeutet:
Der Mischkan wurde aus physischen Materialien gebaut: Gold, Silber, Kupfer und so weiter.4 Mit anderen Worten, physische Materialien wurden verwendet, um einen Mischkan und Mikdasch für den Allmächtigen, gesegnet sei Er, zu bauen.
Das wirft eine Frage auf: Wie kann physische Materie in ein Heiligtum verwandelt werden? Natürlich kann man ein Heiligtum schaffen, indem man die Tora lernt, betet und so weiter; aber wie kann man ein Heiligtum aus physischer Materie machen?
Es ist eine bekannte Lehre, dass die Einwohnung der G-ttlichkeit im Heiligtum von höherem Rang war als das G-ttliche Licht, das in den Welten strahlt – einschließlich der Himmlischen Olamot (Welten). Denn in den Himmlischen Welten gibt es nur einen Abglanz der G-ttlichkeit, während im Heiligtum sozusagen die G-ttliche Essenz war – der Heilige selbst, gesegnet sei Er.5
IX. Diese Einwohnung der Essenz G-ttes zeigte sich vor allem im Allerheiligsten. Dort manifestierte sie sich sogar für das menschliche Auge in der Tatsache, dass im Allerheiligsten „die Bundeslade keinen Raum einnahm.“6 Dies ist etwas, das nur in Bezug auf die G-ttliche Essenz begriffen werden kann.
In Bezug auf die G-ttlichkeit sprechen wir von mehreren Ebenen. Es gibt die G-ttlichkeit, die in der Natur, in den materiellen Substanzen, angelegt ist.7 Es gibt die G-ttlichkeit, die erschafft – d. h. die Dinge ins Dasein ruft; und es gibt die G-ttlichkeit, die über die schöpferische Ebene hinausgeht. Noch höher ist der Aspekt von Nimna Hanimna-ot – „jenseits aller Beschränkungen“, der Eine, für den nichts unmöglich ist. (Viele unserer religiösen Philosophen behaupten, dass das Unmögliche selbst von stabiler Natur ist, die vom Schöpfer bestimmt wird.8 Im letztendlichen Sinne jedoch, wie in Kabbala und Chassidut erklärt, ist G-tt Nimna Hanimna-ot.)9 Auch dieser Aspekt wurde im Allerheiligsten manifestiert – es gibt Raum jenseits des Raumes, das scheinbar Unmögliche ist nicht unmöglich, Nimna Hanimna-ot.10
Das erklärt, warum alle Gebete durch das Allerheiligste aufsteigen – „Und das ist die Pforte des Himmels.“11 So steht geschrieben: „Und sie beten zu Dir in Richtung ihres Landes“12 – woraus wir lernen, dass alle Juden in der ganzen Welt sich dem Land Israel zuwenden müssen, wenn sie beten; die im Land Israel müssen sich wenden nach [Jeruschalajim, die in Jeruschalajim nach] dem Heiligtum, und die im Heiligtum nach dem Allerheiligsten.13
Das ist so, weil sich das Gebet auf menschliche Bedürfnisse bezieht. Diese Bedürfnisse sind meist physischer Natur, die im rein geistigen Bereich keine Bedeutung haben. Im Allerheiligsten jedoch, wo sich die G-ttliche Essenz selbst manifestiert, ermöglicht der Aspekt Nimna Hanimna-ot eine Verbindung der untersten Ebene mit der höchsten Ebene.
X. Dies wirft eine Frage auf: Wie können physische Wesenheiten in Heiligkeit verwandelt werden, und zwar in eine Heiligkeit, die über die der höchsten geistigen Welten hinausgeht?
Schon König Schlomo hat sich darüber Gedanken gemacht: „Siehe, die Himmel und die Himmel der Himmel können Dich nicht fassen; wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe!“14 Die Begriffe „Himmel“ und „Himmel der Himmel“ beziehen sich auf erhabene Ebenen (deren Einzelheiten in der Chassidut erklärt werden); doch selbst sie können keine Gefäße für die G-ttliche Essenz sein. Wie kann dann ein Haus, das aus physischen Materialien gebaut ist, zu einem Gefäß werden, das die Essenz des Ejn Sof (Unendlichen), gesegnet sei Er, „enthält“?15
XI. Die Schrift gibt also die einleitenden Sätze an: „Sprich zu den Kindern Israels“ und „Sie sollen für Mich eine Teruma nehmen.“ Tanja, auf der Grundlage des Sohar16, bemerkt zu diesem Vers: „Das Wort Teruma sollte mit einem vorangestellten Waw – uTeruma geschrieben werden (was bedeutet ‚Sie sollen Mich und eine Opfergabe nehmen‘), auch wenn beide in Wirklichkeit ein und dasselbe sind.“ Das bedeutet, dass die 13 oder 15 Gegenstände,17 die aufgezählt werden, obwohl sie physische Objekte sind, mit dem li (für Mich; die G-ttlichkeit) identisch sind. Die Materie wird durch die G-ttliche Essenz18 ins Dasein gerufen, auch wenn die ihr innewohnende G-ttlichkeit verhüllt ist. So ist es möglich, aus diesen physischen Gegenständen ein Heiligtum zu machen, denn man braucht nur zu offenbaren, man braucht nur die Essenz G-ttes aus der Verborgenheit in einen offenbarten Zustand zu bringen.
Die zweite Prämisse lautet: „Sprich zu den Kindern Israels.“ Es wurde gesagt, dass „beide ein und dasselbe sind“ und man diese Einheit nur offenbaren muss. Diese Manifestation der G-ttlichen Essenz, die den physischen Wesen innewohnt, kann jedoch nur durch die Neschamot (Seelen) Israels erfolgen, weil die Azmut (G-ttliche Essenz) in ihnen manifest ist und sie befähigt, die Azmut zu erfassen.
Dies stimmt mit der Auslegung von „Wenn du [einen hebräischen Knecht] erwirbst“ überein:19 Es ist möglich, die Seelen von Beria, Jezira und Asija – „Sera Behema (Same von Vieh)“ – mit der Qualität von Da-at zu versehen, weil a) sie in ihrer Wurzel bereits diese Qualität haben und man sie nur ans Licht zu bringen braucht. Dies wird in der Formulierung ki tikne, wenn du kaufst, angedeutet; denn Kinjan (ein Kauf) bedeutet nicht, etwas gänzlich Neues hervorzubringen, sondern lediglich, etwas zu offenbaren, was verborgen war. b) Die Durchdringung mit der Qualität von Da-at erfolgt nur durch Mosche, denn er steht auf der Stufe von „Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.“20 D. h., alle Seelen besitzen in ihrer Wurzel die Qualität von Da-at, und sie muss nur ans Licht gebracht werden – wie oben erklärt; aber diese Offenbarung kann nur von jemandem bewirkt werden, in dem diese Qualität offensichtlich ist.
Das Gleiche gilt in unserem Zusammenhang. Die physischen Gegenstände können zu Gefäßen für die G-ttliche Essenz gemacht werden, weil sie in ihrer Wurzel bereits von dem Rang li [Mich; G-tt selbst] sind, und diese Manifestation wird durch die „Seelen Israels“ bewirkt, weil die G-ttliche Essenz in ihnen manifest ist.
XII. Jetzt können wir verstehen, warum Mosche nur in Bezug auf die Menora verwirrt war. Die Menora war aus Gold und diente dem Zweck, die Dunkelheit zu erhellen – und zwar so, dass sie der ganzen Welt bezeugt, dass die Schechina in Israel ruht.21 Das ist es, was Mosche verwirrte: Wie kann so etwas aus Gold, aus physischer Materie, gemacht sein?
G-tt antwortete ihm also: Der Mensch ist in der Tat nicht in der Lage, so etwas zu machen, und es wird vom Allmächtigen getan. Was aber vom Menschen verlangt wird, ist, dass er das Gold nimmt und es ins Feuer wirft. Wenn der Mensch das Gold ins Feuer wirft, formt der Allmächtige es zu einer Menora, die im Mischkan strahlen wird.22
XIII. Bei früheren Gelegenheiten haben wir oft darüber gesprochen, dass die Zerstörung des Heiligtums nur die Struktur aus Holz und Stein betraf. Das Heiligtum im Herzen eines jeden Juden aber, das „Und Ich werde unter ihnen wohnen“23, das bleibt für immer, zu allen Zeiten und unter allen Umständen unversehrt.24
Wenn ein Jude all seine Besitztümer in ein Heiligtum für G-tt verwandelt, sagt der Allmächtige ihm, er solle sein Gold nehmen – seinen feinsten und wertvollsten Stoff – und daraus eine Menora machen. Der Allmächtige sagt zu ihm:
„Euer Lernen der Tora, eure Gebete, eure Mizwot – all das reicht Mir nicht aus. Ich verlange von euch, dass ihr auch euren materiellen Besitz in ein Heiligtum für Mich verwandelt.“
„Ihr werdet es nicht selbst tun können, also werde Ich es tun. Was ihr aber tun müsst, ist, das Gold in das Feuer eures Herzens zu werfen – [denn im Herzen eines jeden Juden brennt ein Feuer für G-tt] – und dann werde Ich es zu einem Heiligtum formen. Außerdem wird es Licht in die Welt ausstrahlen und ein Zeugnis dafür sein, dass die Schechina unter euch wohnt!“
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten an Chanukka 5716)
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