Im Jahre 1801 wurde Rabbi Schneor Salman von Liadi, auch unter dem Namen „Der Raw“ bekannt, zum zweiten Mal verhaftet und wurde in der Stadt St. Petersburg festgehalten.
Einer der prominentesten Gegner des Chassidismus, Reb Natan Note von Schklow, war mit den Ministern in St. Petersburg sehr befreundet und bot dem Raw an, sich für ihn einzusetzen, falls er garantiere, zu einem späteren Zeitpunkt nach seiner Befreiung drei der grössten Gelehrten der Gegner des Chassidismus aufzusuchen. Die drei hiessen: Rabbi Mosche Chafez von Zaws, Rabbi Jehoschua Zeitlin von Schklow und Rabbi Joel von Amzislaw. Der Raw akzeptierte diese Bedingung.
Nach seiner Befreiung besuchte er zuallererst Rabbi Mosche Chafez. Nun war dieser ein grosses Genie und zugleich einer der ältesten Rabbiner seiner Zeit. Diese Kombination führte dazu, dass er vor niemandem grossen Respekt hatte. (Er hatte noch die grossen Gelehrten der früheren Generationen gekannten und so konnten ihn die jungen Gelehrten seiner Zeit nicht beeindrucken.) Er nannte alle Rabbiner seiner Zeit nur beim Vornamen. Natürlich war auch der Raw (der ja zusätzlich noch zu den verpönten Chassidim gehörte) nicht anders, Rabbi Mosche zeigte vor ihm keinerlei Respekt, sondern begann ihn sofort über sein Wissen im Talmud zu verhören.
Rabbi Mosche stellte ihm die schwierigsten Fragen (z.B.: Wie viele Mal wird dieser oder jene Gelehrte im ganzen Talmud erwähnt u.ä.) und musste nach den wunderbaren Antworten sich selbst eingestehen, dass er es tatsächlich mit einem grossen Gelehrten zu tun habe.
Nun wandte sich Rabbi Mosche an den Raw und sagte: „Die folgende Frage habe ich schon in meiner Jugend vielen der grössten Gelehrten gestellt, keiner von ihnen konnte mir jedoch darauf eine befriedigende Antwort geben. Wer sie mir beantworten kann, nenne ich meinen Meister, Lehrer und Freund: Im Midrasch (Rabba, Paraschat Ki Tisa) steht: ‚Nach der Sünde des goldenen Kalbs, bat Mosche G-tt für sein Volk um Verzeihung. Da sagte G-tt zu ihm: Zeige mir zehn Gerechte in der Nation, und dann werde ich der ganzen Nation um ihrer Willen verzeihen! Mosche antwortete: Nun, es gibt mich, Aharon, Elasar, und Itamar, Pinchas, Jehoschua und Kalew. Da fragte G-tt: Aber diese sind nur sieben! Darauf Mosche: Leben die Toten? Als G-tt bejahte, sagte Mosche: Also dann, zähle auch noch Abraham, Jizchak und Jakob hinzu, dann haben wir zehn. G-tt akzeptierte diesen Vorschlag und rettete das Volk. – Nun in einem anderen Midrasch wird gesagt, dass G-tt von Mosche achtzig Zaddikim (Gerechte) verlangte und dass Mosche auch die siebzig Weisen hinzuzählte. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?!“
Der Raw antwortete: „ Die Antwort ist ganz einfach und hängt von einer Meinungsverschiedenheit der Gelehrten (Tanaaim) im Talmud ab!“
Rabbi Mosche dachte angestrengt nach (Er war ein Baki Beschas – ein Kenner des ganzen Talmud und dachte an alle Talmudstellen, welche relevant sein könnten), doch konnte er die Antwort nicht finden.
Da sagte der Raw: „Im Traktat Horijot gibt es eine Meinungsverschiedenheit, ob bei einer Volkssünde jeder einzelne Stamm von Israel ein Opfer bringen muss, oder das ganze Volk zusammen eins. Nun war das goldenen Kalb die Sünde des ganzen Volks und brauchte eine Sühne. Im jüdischen Volk gibt es 12 Stämme, doch der Stamm Levi hatte sich an der Sünde nicht beteiligt und es bleiben uns 11 Stämme. Nach einer Meinung im Midrasch genügt es, zehn Gerechte für das ganze Volk zu finden, genauso wie man auch nur ein Opfer für eine Volkssünde bringen muss. Nach der anderen Meinung brauchte es zehn Gerechte für jeden Stamm. Die drei Vorväter (Abraham, Jizchak und Jakob) können für jeden Stamm gelten, also brauchen wir zusätzlich noch sieben für jeden Stamm. 7 mal 11 ergibt 77 und deshalb brauchte es zusammen mit den Vorvätern 80 Gerechte!“
Rabbi Mosche war von dieser Antwort so sehr beeindruckt, dass er dem „Raw“ einen sofort Stuhl brachte und seiner Frau zurief: „Bringe etwas Gutes zum Essen! Wir haben einen wichtigen Gast, den „Raw“, Rabbi Schneor Salman!
ב"ה
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