Die Nahrungsmittelrationen im Krankenhaus waren etwas höher als für die Bevölkerung draußen. Langsam besserte sich unsere Gesundheit. Riva erkannte jedoch lange Zeit nicht, dass sie außer Lebensgefahr war. Da sie so viele Verluste in der Familie erlitten und auch im Krankenhaus den Tod häufig miterlebt hatte, schien der Tod ein alltägliches Ereignis zu sein. Sie konnte gar nicht wissen, dass sie sich tatsächlich bereits außer Gefahr befand. Sie hatte schwere Frostschäden an ihren Füßen und einen Zeh auch ganz verloren. Eines Tages, als ein Arzt ihren Fuß untersuchte, bemerkte er, dass sie keine Sandalen würde tragen können, wenn sie wieder gesund wäre. Riva fand diese Bemerkung seltsam. Das war das erste Mal, dass sie eine Ahnung bekam, dass sie wieder ganz genesen und eine Zukunft haben könnte.

Im Krankenhaus gab es eine jüdische Ärztin. Sie war nicht religiös, hatte aber ein sehr warmes jiddisches Herz. Wir waren zwei kleine jüdische Mädchen, die ganz allein auf der Welt waren, und sie schloss uns in ihr Herz ein. Rivas Fuß brauchte lange, um zu heilen, und die Ärztin kümmerte sich sehr um sie. Ihre Hauptsorge war, dass wir beiden nicht voneinander getrennt würden und uns für immer aus den Augen verlören, G-tt behüte. Doch genau das war damals die große Gefahr.

Denn während Riva durch ihren Fuß noch im Bett bleiben musste, hatte ich mich genügend erholt und meine alte Energie zurückbekommen. Ich plauderte ununterbrochen, spielte und sprang herum. Inmitten von kranken Kindern zog ich die Aufmerksamkeit auf mich. Kinder, die wieder gesund wurden und keine Zuhause hatten, wurden in ein Waisenheim in Leningrad gebracht, und später an einen sicheren Ort. Vom Gesundheitszustand her war ich so weit, das Krankenhaus zu verlassen. Die Ärztin versuchte, mich länger dazubehalten, indem sie ihren Vorgesetzten versicherte, dass Rivas Fuß schnell besser würde und sie bald schon entlassen werden könnte, und es deshalb keinen Grund gab, uns zu trennen.

In der Zwischenzeit schärfte sie Riva ein, meine Ausgelassenheit zu bremsen und so zu tun, als ob es mir schlechter ginge. Ich bin sicher, dass Riva das versucht hatte, aber ich war mir nicht darüber im Klaren, um wie viel es hier ging. Da ich den Ernst der Lage nicht begriff, konnte ich höchstens einige Minuten lang still sitzen, und dann waren alle Vorhaltungen schon wieder vergessen und ich sauste wieder herum. Das stellte für die Ärztin ein großes Problem dar. Wenn sie ein gesundes Kind auf der Station behielt, verwehrte sie einem kranken Kind einen freien Platz. Die Situation damals war so kritisch, dass ein Bett für ein Kind die Lebensrettung bedeutete: kein Bett, kein Leben! Und doch versuchte die Ärztin, mich auf der Station zu behalten, weil sie Angst hatte, dass ich, so jung wie ich war, verloren gehen könnte, G-tt behüte, wenn wir erst einmal getrennt würden.

An einem Morgen entschied die Ärztin, dass es an der Zeit war, dass Riva mobiler sein sollte. Jeden Morgen trug eine Schwester sie in die Mitte der Station, wo es einen Tisch gab, auf dem der Arzt die Patienten untersuchte. An diesem speziellen Morgen wurde Riva aufgefordert, selbst zum Tisch zu gehen.

Riva begann, auf ihrem gesunden Bein zum Tisch zu hopsen. Sie wurde schnell müde, setzte sich hin, um sich auszuruhen, und machte dann weiter. Nahe beim Tisch wurde sie wieder schwächer. Die Ärztin, die ihre Fortschritte beobachtete, brachte Riva einen Stuhl, damit sie sich so schnell wie möglich hinsetzen konnte. Leider hopste Riva in diesem Augenblick, weil sie nicht bemerkte, dass die Ärztin einen Stuhl brachte, vorwärts. Fuß und Stuhl stießen heftig zusammen, Riva fiel dadurch auf den Boden, und ihr Fuß fing an, stark zu bluten.

Während die Ärztin sich über Riva beugte, rief sie angstvoll aus, "Was habe ich nur gemacht!" Die Bedeutung dieses Ausrufs blieb Riva nicht verborgen. Sie begriff sofort, dass die Ärztin nicht mehr länger so tun konnte, als ob Rivas Fuß schnell heilte und sie bald entlassen werden könnte. Das hieß, dass ich jetzt allein in ein Waisenhaus käme und wir getrennt würden.

In jener Nacht lag Riva wach im Bett und betrachtete die neue Situation: "Nu Tatte, (also, Papi), was jetzt? Wo ist dein Gam Zu L'Tova (Auch das ist zum Besten)1? Reicht es noch nicht aus, dass nur wir beide übrig sind? Jetzt werden wir voneinander getrennt. Was könnte denn daraus an Positivem entstehen?" Aber dann gewann ein anderer Gedanke Oberhand über ihre traurigen Überlegungen. "Warten wir ab, vielleicht ergibt sich dennoch etwas Gutes aus allem.

Wie Recht sie hatte! Obwohl unsere Errettung erst zweieinhalb Jahre später erfolgte, stießen die Ereignisse der nächsten Tage eine Kette von bestimmten Geschehnissen an und spielten eine wesentliche Rolle, dass wir am Ende wieder zu unseren Verwandten fanden.

Am nächsten Morgen sagten Riva und ich einander Aufwidersehen, und die Krankenschwester nahm mich in das Waisenheim. Das war die "Dunkelheit vor der Morgendämmerung". Sie nahm mich zunächst in das Heim, wohin Patienten vom Krankenhaus nach ihrer Entlassung kamen. Dieses Waisenhaus stand jedoch unter Quarantäne, weil dort eine Infektionskrankheit ausgebrochen war. Das bedeutete keine Aufnahme dort.

Also brachte mich die Krankenschwester zu einem anderen Heim. Das wollte mein Heft mit den Bezugsscheinen, aber die Krankenschwester hatte das nicht, also nahm sie mich zu einem dritten Haus. Das dritte Heim stand auch unter Quarantäne, und deshalb brachte sie mich zurück ins Krankenhaus mit der Absicht, es am nächsten Tag erneut zu versuchen.

Während ich unterwegs war, wurde ein neuer Patient im Krankenhaus aufgenommen. Dieser Patient litt unter einer ansteckenden Krankheit, und deshalb wurde unser Haus drei Wochen lang unter Quarantäne gestellt. Da für diese Dauer niemand entlassen werden durfte, war ich solange sicher. Rivas Fuß wurde jeden Tag gesünder und die Lage sah hoffnungsvoller aus.