Am 20. August 2001 (1. Elul 5761) blieb ich daheim mit meinem Sohn Levi Jizchok. Das neue Schuljahr hatte begonnen, aber er ging nicht hin. Die Situation kam mir sehr bekannt vor. Das Gefühl, dass alle anderen Kinder in die Schule gehen und nur wir zuhause bleiben -irgendwoher kannte ich es. Aber woher? Nach einer Weile erst wurde mir klar, dass es mich an eine Begebenheit aus den Kindheitserzählungen meiner Mutter erinnert. Es war in Leningrad in den 1930er Jahren: In unserer Familie gingen die Kinder nicht in die Schule, denn dort wären sie streng im Sinne der Kommunisten erzogen worden. Alle anderen Kinder gingen hin, aber in unserer Familie blieben die Kinder zuhause. Zwei Generationen später war es mein sechs Jahre alter Sohn, der zuhause blieb. In Köln gab es damals keine jüdische Schule, und die einzige Alternative wäre für ihn gewesen, im Alter von sechs Jahren das Elternhaus zu verlassen und eine jüdische Schule in Antwerpen in Belgien zu besuchen.

Wir, als Enkel von R. Awrohom Jeshaja und Bluma Schapiro, sind einfach der Tradition unserer Familie treu geblieben. Als Lubawitscher Chassidim in Sowjetrussland waren sie nicht dem gesellschaftlichen Druck der Kommunisten erlegen. Trotz der Verfolgungen und Zwangsmaßnahmen des stalinistischen Regimes haben sie getreulich ein chassidisches Leben geführt und haben ihr jüdisches Erbe erfolgreich an ihre Kinder weitergereicht. Obwohl diese bereits im jungen Alter von acht bzw. elf Jahren zu Waisen wurden und versteckt in einem nichtjüdischen Waisenheim um ihr Überleben kämpfen mussten, so hat doch die Erziehung, die sie von ihren Eltern erhalten hatten, ihnen die geistige Kraft gegeben, ihrer jüdischen Herkunft treu zu bleiben. Die Tatsache, dass wir Kinder und Enkelkinder heute als religiöse Juden leben können, haben wir nur ihnen und ihrer Selbstaufopferung zu verdanken, mit der sie an ihrem Glauben festhielten und ihn an ihre Nachkommen weitergaben.

Als Schluchim des Rebbe in Köln geben wir unseren Kindern eine vollständige jüdische und chassidische Erziehung - ungeachtet aller Schwierigkeiten, selbst wenn das hieße, dass man im Alter von sechs Jahren das Elternhaus verlassen muss. Wir treten dabei lediglich in die Fußstapfen unserer Vorfahren.

Als meine Großeltern damals den langen Arm der scheinbar so allmächtigen Sowjetunion zu spüren bekamen, hätte man denken können, das jüdische Leben habe keine Zukunft mehr. Nur die Chassidim des Lubawitscher Rebbe hatten die nötige Kraft, um die Kommunisten zu bekämpfen - ungeachtet der Risiken, die damit verbunden waren. Heute, siebzig Jahre später, ist Chabad Lubawitsch die wichtigste Kraft in der jüdischen Welt - das kommunistische Russland hingegen hat aufgehört zu existieren.

Während von der einstigen UdSSR nichts übriggeblieben ist, können Avrohom Jeshaja und Bluma Schapiro voller Stolz auf ihre Kinder, Enkel, Urenkel und Ur-Urenkel hinunterschauen, die als religiöse Juden und getreue Chassidim des Lubawitscher Rebbe in ihre Fußstapfen treten.

Den dritten Geburtstag unseres Sohnes Sholom Dov Ber - der Tag, an s.G.w. seine jüdische Erziehung beginnt - hielten wir für den richtigen Anlass, die Erinnerungen meiner Mutter und meiner Tante zu veröffentlichen. Sie beschreiben in ihnen, wie sie als Kinder von Chassidim im kommunistischen Leningrad aufwuchsen und welchen immer fortwährenden Einfluss die chassidische Erziehung auf sie hatte.

Wir haben außerdem einige Auszüge aus dem Buch Gewura jehudit bemalkut harescha von Reb. Eisik Karasik beigefügt, die den geschichtlichen Hintergrund der Familie meines Großvaters näher beleuchten.

Die Memoiren wurden auf Englisch verfasst und von Herrn Wulfing von Rohr ins Deutsche übersetzt. Wir möchten ihm unseren herzlichen Dank aussprechen dafür, dass er den Text sehr engagiert und in so kurzer Zeit ins Deutsche übertragen hat. Obwohl wir ursprünglich nur einige Auszüge veröffentlichen wollten, hat er die gesamten Memoiren übersetzt. Möge G-tt ihn segnen.

Wir fügen außerdem eine Kurzversion in russischer Sprache bei. Die russische Übersetzung stammt von Frau Alla Kisseleva, die wir herzlich bedanken. Unser Dank geht auch an Rabbi N. Pressman, dem Landesrabbiner von Brandenburg, für seine Hilfe bei der russischen Ausgabe.

Wir bedanken uns zudem bei Rabbiner Jossef Karasik für die Erlaubnis, Teile der Memoiren seiner Großvater zu veröffentlichen, und bei Frau Shefi und Herrn Dr. Ehrlich für ihre Übersetzung der Memoiren von Reb. Eisik Karasik aus dem Hebräischen.

Vielen Dank an Joel Mertens und Regina Goldfarb für die deutsche und russische Übersetzung dieser Einleitung, und an alle, die die Übersetzungen redigiert haben: Herrn U. Frau E. Schwarzmann, Herrn P. Eisfeld, Frau A. Marcer, Herrn F. Yankelevitch und Prof. M. Kogan, der für uns auch einige Nachforschungen angestellt hat im Stadtarchiv von Leningrad - Petersburg.

Möge G-tt sie alle segnen.

Gebe G-tt, dass unser Sohn Sholom Dov Ber zusammen mit unseren anderen Kindern aufwachse und sie alle zu wahren Chassidim und Schluchim des Lubawitscher Rebbe werden.

Mendel und Liba Schtroks

Köln, 4. Adar II 5765 - 15. März 2005