In den späten 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ging mein Großvater, väterlicherseits, und Namensvetter, Rabbi Aharon Leib, wegen einem Segen zum sechsten Lubawitscher Rebbe, Rabbi Josef Jitzchak Schneerson.
Den Segen, den er wünschte, war, dass seine Kinder g’ttesfürchtig und rechtschaffen sein sollten.
Der Rebbe antwortete: „Eine Bracha ist dem Regen gleich. Man muss zuerst den Boden durch pflügen und säen vorbereiten. Danach hilft G’tt; es beginnt ‚ein Regen von Segnungen’ niederzugehen und die Ernte beginnt zu wachsen.“
Design
Der fünfte Buchstabe des Aleph-Beis ist das Hei.
Der Maharal1 sagt uns, dass die Form des Hei aus einem Dalet und einem Jud besteht. Das Dalet setzt sich aus einer horizontalen Linie (die Breite andeutend) und einer vertikalen (die Höhe andeutend) zusammen, welche zusammen die physische Welt, die Welt des Materialismus, repräsentieren. Das Jud (der freistehende linke Strich) repräsentiert G’tt, und auf diese Weise Spiritualität. Der Maharal lehrt uns, dass wie das Dalet und das Jud zusammen das Hei bilden, so hat man auch die Verpflichtung, die physische Welt mit Spiritualität und G’ttlichkeit auszufüllen und zu heiligen.
Im chassidischen Denken,2 repräsentiert das Hei Denken, Sprechen und Handeln. Wie in der Form des Hei, das sich aus den drei Linien zusammensetzt, so sind Denken, Sprechen und Handeln wie drei Kleidungsstücke der Seele, drei Kleidungsstücken, durch die wir uns ausdrücken.
Die obere horizontale Linie (das Denken), repräsentiert, durch seine Form, das Konzept der Gleichheit. Um wirklich jeden Menschen als gleich zu erleben, muss man den eigenen Denkprozess restrukturieren. Vielleicht erscheint es uns nur bei oberflächlicher Betrachtung so, dass einige Menschen besser als andere sind. Aber unsere Aufgabe ist es, stattdessen die Seele zu betrachten, den g’ttlichen Funken in jedem Menschen.3 Da unsere Seelen von derselben Quelle stammen, sind wir alle in unserem Wesen gleich. Wenn wir tiefer in die Persönlichkeit eines Menschen eintauchen, bis zu seinem oder ihrem Innersten, werden wir erfahren, dass wir alle eins sind.
Die rechte vertikale Linie des Hei repräsentiert Hierarchie, was Sprache ist. Ein König regiert mit seinen Worten.4 Er ist ermächtigt in seinem Palast zu sitzen und Dekrete zu erlassen, welche dann Gesetz werden. Die Menschen dürfen seine Hände nicht berühren oder ihn nicht ansehen. Alles was er tun muss, ist sprechen; dies ist seine Kraft. Die vertikale Linie des Hei stammt von einem höheren Status, dem Herrscher, und reicht zu einem niedrigen Status, seinem Untertanen.
Zum Schluss die kürzere, allein stehende Linie auf der linken Seite des Hei, welche das Handeln repräsentiert. Warum steht sie allein? Für uns ist es einfach, über das zu denken und zu sprechen, was richtig ist, aber es ist etwas ganz anderes, die gute Absicht zu verwirklichen. Darum dient die Distanz als Erinnerung für die Anstrengung die benötigt wird, um alle drei Kleidungsstücke zu vereinigen. Ohne das Handeln, verblieben wir nur mit den zwei übrigen Linien des Dalet: der Bedürftigkeit.
Der Talmud legt dar,5 dass das Hei ebenfalls Teschuwa – Umkehr – repräsentiert. Um verstehen zu können, wie die Form des Buchstaben Hei das Konzept der Teschuwa verkörpert, vergleichen wir Hei, mit Ches,6 den achten Buchstaben des Aleph-Beis. Beide Formen sehen sich sehr ähnlich. Beide bestehen aus drei Linien. Der deutliche Unterschied ist die kleine Öffnung am oberen Ende der linken Linie. Was hat dies nun mit Teschuwa zu tun? G’tt spricht zu Kain, nachdem dieser seinen Bruder getötet hat, „Chatas liegt auf deiner Tür.“7 Die Öffnung (oder Tür) am unteren Ende beider Buchstaben steht für die Sünde. Bei Ches, kann man von der „Tür der Sünde“, ohne eine Verfehlung, entfliehen. Aber Hei hat eine weitere Öffnung, eine andere Handlungsmöglichkeit. Die kleine Öffnung, im oberen Bereich des Hei, ermöglicht es uns Teschuwa zu tun, oder umzukehren.
Der Unterschied zwischen Ches und Hei kann noch besser erklärt werden, wenn wir Chametz und Matza vergleichen. Vergleichen sie die Buchstaben der beiden Wörter: Chametz wird buchstabiert Ches, Mem, Zaddik.8 Matza wird buchstabiert Mem, Zaddik, Hei. Der Unterschied zwischen Chametz und Matza ist der Buchstabe Ches, im Gegensatz zu Hei. Chametz steht für die Hochmütigkeit des eigenen Egos.9 Die Matza ist flach, sie steht für Selbstlosigkeit und Demut. Wenn ein Mensch demütig ist, so wird er umkehren und Teschuwa tun. Aber wenn ein Mensch ein Egoist ist, wird er nie zu G’tt zurückkehren. Wie ist seine Haltung? „Wofür brauche ich G’tt? Ich tue das Beste für mich. Sieh, wie erfolgreich ich bin.“ Oder wenn er sich mit einem schlechten Verhalten abwenden will, so sagt er vielleicht, “Was willst du von mir? Ich bin nur ein Mensch. Wenn G’tt möchte, dass ich perfekt bin, würde er mich entsprechend geschaffen haben. G’tt gab mir Jetzer HaRa. Er richtete es so ein, dass ich sündigen soll. Warum sollte ich nun Teschuwa machen?” Der Egoist hat keinen Grund umzukehren. Er ist in seinem Verhalten gefangen und kann sich seine Fehler nicht eingestehen. Der Egoist ist, mit dem Ches des Chametz, „aufgeblasen.“ Demgegenüber ist das Hei, wie die Matza: flach und selbstlos. Seine Form enthält eine Öffnung, eine Lücke, durch die ein Mensch gehen kann, wenn er demütig ist. Das Hei ist Annahme der Demut durch den Menschen, der Weg zur Umkehr.
In einem breiteren Kontext müssen wir verstehen, dass Teschuwa nicht nur das bedauern einer Sünde ist, es bedeutet eine Rückkehr zum eigenen ich. Als solche ist Teschuwa für jeden Menschen relevant, auch die wenigen Menschen, die niemals gesündigt haben. Der Sohar10 sagt uns, dass, wenn der Moschiach kommt, er auch den Rechtschaffenen zur Umkehr bewegen wird. Jeder Person wird erkennen, dass, egal auf welcher Stufe sie sich befindet, sie es noch besser kann. Sie kann immer näher und näher zu G’tt kommen. Man kann dies durch die Vervollkommnung des eigenen Denkens, Sprechens und Handelns erreichen. Wie der Mensch sich selbst vervollkommnet, so „hilft G’tt; es beginnt ‚ein Regen von Segnungen’ niederzugehen und die Ernte beginnt zu wachsen.“
Gematria
Der Zahlenwert von Hei ist fünf. Hei steht nicht allein für die Kleidungstücke des Denkens, Sprechens und Handelns, sondern schließt insgesamt fünf Elemente ein:11 zwei Stufen des Denkens, schöpferisch und meditativ; zwei Level des Sprechens, die Worte des Herzens und die Worte der Lippen; und eine Stufe des Handelns. Warum besitzt das Handeln nur eine einzige Stufe? Dies ist, weil es, wenn es darum geht zu handeln, nur zwei Möglichkeiten gibt, entweder man handelt oder man unterlässt es. Darum ist die Linie im Hei (die einzeln stehende Linie des Hei), welche das Handeln repräsentiert, nur eine halbe Linie.
Fünf steht ebenfalls für die Level der Seele: Nefesch, Ruach, Neschama, Chaja und Jechida.12 Die fünfte Stufe, Jechida, steht für Einheit. Man bezeichnet diese Stufe der Seele als Pintele Jid, den g’ttliche Funken, den jeder Jude in sich trägt. Der Pintele Jid ist der Funken, der niemals verunreinigt oder ausgelöscht werden kann, der Funken, der jeden Juden mit G’tt verbindet.
Der Pintele Jid ist ebenfalls die treibende Kraft, welche hinter Mesirus Nefesch, der Selbstaufopferung, steckt. Das Konzept der Selbstaufopferung macht es für jeden Juden möglich, sein Leben G’tt zu geben, obwohl er niemals das jüdische Gesetz oder jüdische Bräuche eingehalten oder das Verlangen danach gefühlt hat. Ein Jude, der den Schabbat nicht einhält oder nicht-koscheres Essen zu sich nimmt, der niemals eine Mesusa an seiner Tür oder auch nur einen Cent Zedaka gegeben hat, ist ebenfalls der Jude, der, wenn er vor die Entscheidung gestellt wird: „dein G’tt oder dein Leben“, sein Leben bereitwillig für G’tt gibt. Dies ist doch erstaunlich. Wie kann es sein, dass ein Jude, der die Gesetze nicht einhält, plötzlich sein Leben für G’tt gibt? Mesirus Nefesch macht für Menschen wie Abraham oder Rabbi Akiwa Sinn, die ihr ganzes Leben Tora lernten. Aber wie ist es mit dem Menschen, der niemals ein jüdisches Buch geöffnet hat und nicht weiß, dass man hebräisch von rechts nach links liest? Die Antwort ist, der Pintele Jid. Diese grundlegende Verbindung zu G’tt ist essentiell für sein Wesen und kann niemals gelöst werden.
Wenn es um eine Mitzwa, wie die Einhaltung der Kaschrut-Gesetze geht, sagt der Jude, der die Gesetze nicht einhält, „Wenn ich nicht koscher esse, was macht das schon? G’tt ist geistig. Warum sollte er sich darum sorgen, was ich esse, solange ich ein guter Mensch bin? Wenn ich Schwein esse, so wird dies sicherlich nicht meine Beziehung mit G’tt lösen.“ Oder vielleicht sagt er, „Was ist, wenn ich nicht zur Synagoge am Schabbat gehe und stattdessen meinen Rasen mähe! Die Predigt des Rabbiners ist immer langweilig. Natürlich löst dies nicht meine Verbindung mit G’tt. G’tt wird mir vergeben. Er wird verstehen.“ Aber, wenn es darum geht die eigene Religion aufzugeben, vergegenwärtigt sich derselbe Jude, dass es hierbei keinen Platz für Ambivalenz gibt. „Es ist offenbar, dass G’tt mir nicht vergeben wird, wenn ich meinen Glauben verlasse. Ich würde damit zum Ausdruck bringen, dass ich Ihn nicht liebe oder nicht an Ihn glaube. Wenn dies der Fall ist, gebe ich lieber mein Leben auf, als dass ich meinen G’tt aufgebe.“ Dies ist der essentielle Kern der Teschuwa. Die Jechida-Stufe der Seele ist der Grund, warum wir nach Umkehr / Rückkehr streben. Dieser Funke entzündet den Rest unseres Wesens und unterstützt uns bei der Rückkehr zu G’tt.
Die Nummer fünf steht auch für Erlösung. Bei der Pesach-Seder gibt es einen fünften Becher Wein, welcher der Becher des Propheten Elijahu genannt wird. Elijahu, der Vorbote der Erlösung, wird uns dazu anhalten, für den nahenden Moschiach Teschuwa zu tun. Diese Verheißung findet sich auch in der Tora:13 „Ich werde euch in das Land [Israel] bringen.“ Der Rambam14 sagt uns, dass, wenn alle Juden Teschuwa tun, wir augenblicklich erlöst werden.15
Bedeutung
Das Wort Hei hat drei Bedeutungen: Die erste ist, „hier ist“, wie im Vers geschrieben steht, „Hier ist Saat für euch“16 (Hei Lachem Sera).17 Die nächste ist “beunruhigt sein”, wie es bei Daniel geschrieben steht18 “Und ich, Daniel, war beunruhigt… (nih’yeisi).” Und die dritte ist “siehe”19, wie in “Siehe, dies ist unser G’tt” (Hinei Elokeinu...), welches sich auf das Erblicken einer Offenbarung bezieht. Diese drei Definitionen konvergieren. Wenn wir geboren werden und in diese Welt kommen, gibt uns G’tt Samen (d.h., das Potential produktiv zu sein und unsere Leben zum Guten zu führen). Oftmals sind wir beunruhigt und verwirrt und verlieren das Ziel aus unseren Fokussen. Schließlich wird jedoch jeder Jude Teschuwa machen und seinen Schöpfer anerkennen. Er wird dann G’ttes Offenbarung erblicken.
Durch das Erheben der eigenen Gedanken und der eigenen Sprache, indem wir sie in Handlung überführen, offenbart man Jechida, die fünfte Stufe und den Funken des Moschiach in unserer Seele,20 und dies wird uns die vollkommene Erlösung bringen.
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