In den letzten Jahren des großen Rabbiners und Gelehrten Raschi versuchten Kreuzritter, das Heilige Land von den Türken zu befreien. Auch der Herzog von Lothringen brach mit einem großen Heer nach Jerusalem auf. Da er viel vom weisen Raschi gehört hatte, wollte er seinen Rat einholen.

Als der Herzog in Worms eintraf, wo Raschi lebte, schickte er nach dem großen jüdischen Gelehrten. Aber seine Boten kamen zurück und meldeten, Raschi wolle nicht kommen. Der Herzog wurde wütend und beschloss, Raschi zu besuchen.

Als er in Raschis Haus hineinplatzte, sah er auf einem Tisch viele Bücher liegen. Aber niemand war da. „Solomon, wo bist du?“, rief er.

Raschi antwortete: „Hier bin ich, Hoheit. Was ist Euer Begehr?“

„Ich kann dich nicht sehen. Wo bist du?“, rief der Herzog.

„Ich bin hier, Hoheit. Was wünscht Ihr?“ Einen Augenblick später sah der Herzog einen heiligmäßigen Mann, der sich über seine Bücher beugte. Der Herzog sprach ihn höflich an.

„Ich habe von deiner Gelehrsamkeit und Weisheit gehört. Juden und Nichtjuden gleichermaßen halten dich für einen Propheten. Darum bitte ich dich um Rat. Ich habe ein großes Heer aus Infanteristen und Kavalleristen versammelt und bin auf dem Weg nach Jerusalem, um es zu befreien. Werde ich Erfolg haben? Sag es mir ehrlich, und ich verspreche dir: Wenn deine Worte sich bewahrheiten, wird dir nichts geschehen.“

„Hoheit, ich kann Euch nichts Ermutigendes sagen. Aber da Ihr unbedingt eine Antwort wollt, werde ich reden. Ihr werdet drei Tage dort sein. Am vierten Tag wird man Euch jedoch hinaustreiben, und Ihr müsst fliehen. Die meisten Eurer Soldaten erkranken oder fallen, und viele sterben auf dem Heimweg. Ihr werdet in diese Stadt zurückkommen, aber nur mit drei Männern und drei Pferden.“

Der Herzog erbleichte. „Ich halte mein Wort“, sagte er. „Wenn deine Vorhersage eintrifft, wird dir nichts geschehen. Aber wenn ich mit vier Männern zurückkehre, werfe ich dich und alle Juden in meinem Land den Hunden vor!“

Bald musste der Herzog erfahren, dass Raschis Worte zutrafen, zumindest was den Feldzug im Heiligen Land betraf. Mit einer kleinen Armee trat der Herzog den Rückzug an; doch einer nach dem anderen seiner erschöpften Soldaten starb oder desertierte.

Als er sich Worms näherte, begleiteten ihn vier Männer. Da Raschi von drei Männern gesprochen hatte, beschloss der Herzog, ihn töten zu lassen. Doch als er durch das Stadttor ritt, fiel ein mit Eisen beschlagener Balken herab und erschlug eines der Pferde. Der Reiter musste vor der Stadt bleiben, und der Herzog zog mit drei Männern in Worms ein, so wie Raschi es vorhergesagt hatte.

Jetzt bekam der Herzog Angst, denn er erkannte, dass Raschi wirklich ein heiliger Mann war. Darum wollte er ihn besuchen und ihm danken. Als er sich Raschis Haus näherte, war es von einer weinenden Menschenmenge umringt. Er erfuhr, dass Raschi gestorben war und dass die Beerdigung bevorstand. Auch der Herzog und sein Gefolge erwiesen dem großen und berühmten Mann die letzte Ehre.