Die dieswochige Sidra Wajigasch führt uns den Höhepunkt der Josefs-Geschichte vor Augen: Josef enthüllte seinen Brüdern seine wahre Identität und drang darauf, dass sein Vater Jakob zu ihm nach Ägypten komme. Als Jakob hörte, dass sein längst verloren geglaubter Sohn Josef noch am Leben war und in der Tat ein sehr hohes Amt in Ägypten bekleidete, machte er sich mit seiner Familie auf den Weg zu ihm. Er entsandte jedoch seinen Sohn Jehuda schon vorher, mit dem Auftrage, eine Tora-Akademie, eine Jeschiwa, zu gründen (s. Raschi zu Genesis 46,26).
Jakob erkannte sehr klar, was erste Priorität sein musste: Mit dem Einzug in ein fremdes Land würde er die junge Generation einer fremdartigen Kultur und einer unbekannten Umgebung aussetzen. Daher würde die wichtigste Maßnahme darin bestehen müssen, dass er – um einen jüdischen Weiterbestand zu gewährleisten – Erziehungsmöglichkeiten für seine Kinder und Enkel schaffte.
Nur durch Erziehung. – Dass Jakob so viel Wert auf die Tora-Erziehung legte, gibt uns Heutigen eine wesentliche Botschaft. Die lebenswichtige Bedeutung der Kindererziehung kann nicht genügend unterstrichen werden; sie ist g-ttliches Gebot, zweimal jeden Tag von uns im Schma-Gebet wiederholt, sagen wir doch jeden Morgen und jeden Abend: "Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen."
Hinzu kommt, dass heutzutage die hauptsächliche Verantwortung für die Kindererziehung auf der Schule lastet. In früheren Zeiten war die Schule nur eines der Mittel für die Belehrung und Charakterbildung des jüdischen Kindes. Heute ist leider die Umgebung vielfach nicht nur ohne positiven Einfluss, nein, oft ist sie völlig negativ. Viele Eltern sind zu sehr beschäftigt, als dass sie Zeit und Aufmerksamkeit dem widmen könnten, was das Kind in Bezug auf seine Erziehung braucht, und so haben sie die Verantwortung fast ganz der Schule überlassen.
Allerdings hat gerade dies auch seine positive Seite. Die Erkenntnis, dass Tora-Erziehung für die junge Generation sehr notwendig ist, verbreitet sich mehr und mehr; und gäbe es nur noch viel mehr Möglichkeiten und Einrichtungen hierfür, so würden mehr Kinder und Jugendliche davon profitieren können. Darin liegt eine besondere Herausforderung an uns alle, der wir uns stellen müssen.
Aber sogar mit Erziehung? – Aber stoßen wir nicht, sogar bei guter Tora-Erziehung auf fantastische Schwierigkeiten? Wenn wir zugeben, dass in der Tat die Umgebung eine negative ist, ist es dann nicht sehr schwer, im Geiste der Tora-Erziehung zu leben? Das aber wäre ein Trugschluss. Weil der Jude im innersten Wesen eben ein Jude ist, wäre es für ihn etwas Unnatürliches, sich unjüdisch zu führen. Alles, was dem Geist von Tora fremd und abträglich ist, verträgt sich am Ende nicht mit dem inneren Wesen eines Juden. Der "Alte Rebbe", Begründer der Chabad-Lubawitsch-Bewegung, drückt es so aus: "Ein Jude ist weder befähigt noch gewillt, der G-ttesnähe zu entsagen."
Diese grundlegende Idee ist klar auch von Maimonides ausgesprochen worden ("Jad", Hilchot Geruschin, Ende von Kap. 2), und zwar im Zusammenhang mit dem Prinzip, dass ein Jude, der zur Ausführung einer Mizwa gezwungen wird, diese willig und aus eigener Initiative tut. Oberflächlich betrachtet, scheint dies einen Widerspruch zu enthalten. Maimonides jedoch erklärt dies so:
An sich will jeder Jude ein Jude sein, alle Mizwot tun und sich von Sünden fernhalten. Manchmal aber kommt der böse Trieb ("Jezer Hara") und hindert ihn daran. Wenn daher ein jüdisches Gericht einen Juden zwingt, etwas zu tun, dann nicht mit der Absicht, in ihm ein ganz neues Verlangen zu schaffen. Vielmehr will es ihn von dem Zwang befreien, der sein wahres Verlangen gelähmt hat – damit er so seinen wahren Charakter zeigen kann.
Diskutieren Sie mit