Die Tora (Deut. 20, 19) vergleicht den Menschen mit einem Baum, und der Psalm (92, 13) vergleicht den Zaddik (das ist der Fromme oder der Gerechte) mit einer Dattelpalme. In einem bemerkenswerten Ausspruch im Talmud sagen unsere Weisen, dass ein Zaddik ewig weiter lebt, "denn ebenso wie sein Samen lebt, so lebt auch er". Es muss auffallen, dass hier der Ausdruck "Samen" steht, statt "Nachkommen", "Kinder" oder "Schüler".

Durch die Wahl des Ausdruckes "Samen" in diesem Zusammenhang erwecken die Weisen in uns, mit voller Absicht, die spezifischen Vorstellungen und Ideen, die eben dieses Wort gedanklich in uns auslöst. Eine dieser Ideen bezieht sich auf den wunderbaren Vorgang des Wachsens, wodurch ein winziges Samenkorn zu einer großartigen Nachahmung der Mutterpflanze gedeiht, ob es sich nun um eine Kornähre oder, im Falle eines Fruchtsamens, um einen Obstbaum handelt.

Die Erziehung gleicht der Einpflanzung eines Samenkorns. Dabei ist sie aber nicht mit der Zucht einer einfachen, der "unteren" Vegetationswelt angehörenden Pflanze vergleichbar, sondern sie ist analog der Pflege eines potentiellen Obstbaumes, der im Laufe der Entwicklungen viele Generationen seiner eigenen Gattung hervorbringt. Daraus folgt, dass es viel Zeit und große Anstrengung kosten muss, wenn man sichergehen will, dass unsere Kinder eine unverfälschte und angebrachte Tora-Erziehung erhalten.

Ein weiterer Gedanke, den der Talmud uns mit dem Worte "Samen" übermitteln will, zielt darauf hinaus, dass die junge Pflanze oder der Samen gute Pflege während des Wachstums braucht, und dass etwas mehr Mühewaltung in einem frühen Stadium ein besseres Resultat im Endprodukt zeitigen wird.

Wir haben schon bei einer früheren Gelegenheit diesen Vergleich gebracht: Wenn in einem ausgewachsenen Baum ein Einschnitt gemacht wird, dann dehnt die Kerbe sich nicht aus, vielmehr bleibt der Schaden auf die Stelle des Einschnittes beschränkt. Sollte jedoch ein Ritz im Samen vorgenommen werden, bevor dieser eingepflanzt wird, dann könnte sich ergeben, dass der daraus wachsende Baum völlig verunstaltet ist.

Sollte daher – wenn wir nun einen Vergleich mit dem Menschen ziehen – ein Erwachsener in der Beobachtung einer Mizwa leider einen Kompromiss machen, dann ist es immerhin sehr leicht möglich, dass seine Erziehung und Gewöhnung, wie er sie in seiner Jugend genossen hat, doch die Oberhand gewinnen, so dass er schließlich wieder zu einer vollständigen Tora-Befolgung zurückfindet. Wenn dagegen schon unsere Jugend, im unreifen Alter, an Kompromisse gewöhnt wird, dann wird ihnen damit die natürliche Wärme und die Begeisterung für ein volles Leben mit der Tora entzogen. Dieser "Riss" in ihrer Seele kann, G-tt behüte, dazu führen, dass eine ganze Generation geistig verkümmert.

Was fehlerhafte Exziehung betrifft, drängt sich noch eine weitere Feststellung auf: Hätten nur die Eltern ihre Kinder die Tora richtig gelehrt, mit Verpflichtung und in Aufrichtigkeit, in wahrer Überzeugung und mit persönlichem Engagement, dann wären die Kinder in derselben Ehrlichkeit und mit der gleichen Hingabe an die Tora aufgewachsen – weil doch Aufrichtigkeit und Verpflichtung nur durch das persönliche Beispiel eingeflösst werden können.

Diejenigen Eltern, demgegenüber, die ihren Kindern die Tora "wissenschaftlich" oder "vernunftsgemäß" beizubringen suchen, können nicht erwarten, dass die Kinder die Tora mit Hingabe und Selbstaufopferung aufnehmen. Vielmehr wird dann das Kind, seinerseits, die Tora rein rationell und freistehend betrachten. Zu seinem Vater wird es sagen: "Du hast gewisse Ansichten gehabt und Dich ihnen gemäß geführt. Ich habe meine eigenen Auffassungen und will mich daher anders führen. Du selbst hast mir doch eingeschärft, dass alles – und das schließt die Tora ein – der Analyse durch die Vernunft unterworfen ist." Die Hingabe dieser Eltern war mangelhaft; und sie reichte nicht aus, dass die Kinder dem Judentum die Treue halten würden.