In der Sidra Wajelech vermittelt die Tora (Deut. 31, 10-13) die Vorschrift von "Hakhel", das ist die Versammlung des ganzen Volkes, von Männern, Frauen und Kindern, einmal alle sieben Jahre, wobei dann der König selbst aus der Tora vorließt. Unsere Weisen (Tosefta, Sota 7, 8) geben die folgende Beschreibung der "Hakhel"-Zeremonie, wie sie in Jerusalem jedes Mal Ereignis war.
An dem betreffenden Tage standen die Kohanim (Priester) auf den umzäunten Plätzen wie auch, gleichfalls, in den öffentlichen Straßen, mit goldenen Trompeten in den Händen. Erst pflegten sie einen langen Trompetenstoß zu blasen, dann eine Reihe kürzerer Töne und dann nochmals einen langen Stoß (als Signal für das Volk, zum Heiligtum zu kommen). Wenn ein Kohen keine Trompete in der Hand hatte, pflegte man zu sagen: "Es sieht so aus, als sei dieser Bursche überhaupt kein Kohen."
Nun bestand der Dienst der Kohanim im Wesentlichen darin, dass sie sich im Heiligtum mit den Opferriten zu befassen hatten. Warum hatten sie – so könnte man fragen – dazu dann noch die Aufgabe, das Volk für "Hakhel" zusammenzurufen, so dass sie sogar ihre Trompeten auch in den Straßen außerhalb des eigentlichen Tempelplatzes blasen mussten? Und mehr noch: Wenn es so aussah, als beteilige sich ein Kohen nicht an dieser Aufgabe, wieso wurde dann sogar sein Rang als Kohen selbst in Frage gestellt?
Die Antwort ist diese: Der Einsatz der Kohanim im Heiligtum kann und muss als eine sehr spirituelle Leistung gewertet werden und darin auch ihren Ausdruck finden: als die Pflicht, alles Niedrige und Alltägliche zu verfeinern, zu erhöhen und zu vergeistigen. Dies genau war allerdings auch Idee und Zweck von "Hakhel".
Alle kamen zum Tempel, um der Tora-Vorlesung des Königs beizuwohnen, "... damit sie hören, und damit sie lernen und G-tt fürchten ..." (Deut. 31, 12). Die "Hakhel"-Versammlung war also dazu bestimmt, den G-ttesdienst und die G-ttesnähe jedes einzelnen zu fördern und zu verbessern, alle Kreise, einschließlich des niedrigsten im Volke. Sogar die Menschen in den Straßen von Jerusalem, weit entfernt vom Heiligtum selber, sollten von den Kohanim dahingehend beeinflusst werden, dass sie zum Tempel eilten, um dort "... zu lernen und G-tt zu fürchten ...".
Innerhalb des Tempels, eingeschlossen in die geheiligte Atmosphäre des Tempeldienstes, mag ein Kohen leicht, aber völlig irrig, einem Gefühl von "selbstzufriedener Frömmigkeit" frönen wollen. In einem solchen Gemütszustand kann es ihm passieren, dass er einen sehr wichtigen Punkt außer acht lässt, und zwar diesen: Obwohl er ständig mit "heiligen Angelegenheiten" beschäftigt war und in ihnen "aufging", war dabei der eigentliche und schließliche Zweck, dass er mit diesen heiligen Dienstleistungen dem Niedrigen, dem Materiellen, dem Alltäglichen zur Weihung verhelfe. Wenn ein Kohen nicht auch draußen auf der Straße war und nicht auch dort seine Trompete erschallen ließ, wenn er also nicht verstand, dass im Zusammenrufen des einfachen Volkes der tatsächliche Höhepunkt, der wahre Endzweck seiner Dienstleistung bestand, dann setzte er sich dem Verdacht aus: "Es sieht so aus, als sei dieser Bursche überhaupt kein Kohen."
Mizwot sind ewig gültig und erheblich; sie sprengen alle Beschränkungen von Zeit (Existenz des Tempels) und von Ort (Jerusalem). Daraus folgt, dass "Hakhel" auch heute angehen muss; und jeder Jude wird als ein Kohen bezeichnet (vgl. Ex. 19, 6). So denn hat jeder von uns die heilige Pflicht und Schuldigkeit, in die Straßen hinaus zu gehen, um dort "Trompeten zu blasen", damit er auf diese Weise Männer, Frauen und Kinder zusammenruft, dass sie G-ttes Tora hören mögen.
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