1. Zum Schriftvers des heutigen Wochenabschnitts „es duckt sich, es legt sich nieder– ein Löwe, eine Löwin, wer wird es aufwecken?“ sagt der Midrasch1, dass sich dies einigen Meinungen zufolge auf jene Periode bezieht, die mit König Zidkiahu beginnt und bis zum Moschiach, dem gesalbten König andauert. Denn damals, zur Zeit von König Zidkiahu, begann die Zeit des Exils, welche auch nach den siebzig Jahren, zur Zeit des zweiten Tempels andauerte, da ja fünf wichtige Merkmale im zweiten Tempel fehlten2. Demzufolge war die Erlösung nicht vollständig und das Exil dauerte daher weiter an.
Über die Periode von König Zidkiahu bis zum Moschiach, dem gesalbten König meinen also einige, dass sie vom Aspekt des Sich-Duckens und des Liegens geprägt ist. Dazu schreibt der Zemach Zedek3, dass sich dieses Liegen von „er legt sich nieder und wird schlummern auf meinem Lager in den Nächten“ herleitet, nicht aber von „er starb, fiel und lag“ – ein Begriff, der auf das Exil hindeutet.
Nun könnte man dass sich das Exil nicht nur auf den Körper erstreckt, sondern – G“tt behüte – auch auf die Seele und somit auch auf die Tora und die Mizwot, welche ja mit der Seele verbunden sind. Dazu steht aber in dem selben Schriftvers, dass es sich hier zwar um ein Ducken und Hinlegen handelt, nicht aber um ein Hinlegen aus Kraftlosigkeit, sondern aus einem sich selbst auferlegtem Maßhalten und Einschränken – steht doch, wie der Sohar sagt4 – der Löwe für Tatkraft und die Löwin für noch mehr Tatkraft.
Dies bedeutet: Selbst zu der Zeit, in der sich Israel duckt und niederlegt, ist es nicht etwa – G“tt behüte – dem Arm der Völker der Welt unterworfen. Juden sind zu jeder Zeit wie ein Löwe und wie eine Löwin und es bedarf allein dessen,, dass Wer sie aufweckt. „Wer“ bezieht sich hier, so wie bei den Schriftversen „Wer hat Meinem Sohn dieses Geheimnis verraten?“5 und auch bei „Wer wird helfen, dass dieses, euer Herz mit Ehrfurcht vor Mir erfüllt ist?“6 auf G“tt. Denn es ist allein Er, der uns aus dem Exil erlösen7 wird, so wie geschrieben steht „Wer wird aus Zion die Erlösungen Israels veranlassen?“8
Doch auch bis zu jener Zeit, zu der wir geweckt werden, hat niemand – G“tt behüte – wirklich die Herrschaft über uns, denn wenn man ein Löwe oder eine Löwin ist, dann gehört man keinem Hausherren. Und so entscheidet auch der Schulchan Aruch9, dass Löwe und Löwin niemals beherrscht werden, so dass sich sogar die Frage stellt, ob man sie überhaupt zähmen – oder nur abrichten kann.
Das Exil an sich ist vollkommen unverständlich und es ist nur „unter dem Zwang des Wortes“, dass sich Löwe und Löwin ducken und niederlegen. Daraus versteht sich, dass jenes Exil wiederum Tora und Mizwot, mit den Worten welche G“tt gesprochen hat, in keiner Weise tangieren.
2. Es ist die Gewöhnung an das Exil welche dazu führt, dass wir „unsere Zeichen nicht gesehen haben“10. Wunder geschehen auch heute, es ist aber so, dass gerade derjenige, dem ein Wunder geschieht, es verkennt11. Und es liegt an der Dunkelheit des Exils, dass man sich einbilden kann, die Welt – im Hebräischen „Olam“ von „He'elem“, dem Verdecken12 – würde sich gemäß ihren eigenen Regeln verhalten, als ob Löwe und Löwin einen Hausherren hätten. Um dem entgegenzuwirken, ordnet man von oben auch in der Zeit des Exils offene Wunder an (und eines dieser offenen und allgemeinen Wunder unserer Zeit war das Wunder vom 12. und 13. Tammus), um so daran zu erinnern, dass es nichts außer Ihm gibt.
Dies ist auch der Inhalt des Ausspruchs unserer Meister seligen Andenkens13, dass G“tt anfangs daran dachte, die Welt allein gemäß des Attributs „Din“ (hebr. Gesetz, Schiedsspruch) zu erschaffen, aber sah, dass die Welt keinen Bestand haben würde und das Attribut „Rachamim“ (hebr. Gnade) mit hinzuzog. Dazu sagt das „Tor der Einheit“ im Buche Tanja14, dass sich dies auf die Offenbarung von G“ttlichkeit durch die Gerechten und auf Zeichen und Wunder der Tora bezieht.
Die Wunder durchbrechen das Abgemessene und Begrenzte dieser Welt, da man auch mit den eigenen, körperlichen Augen sehen kann, dass die Hauptstadt ein Oberhaupt hat.
Wenn man daran denkt, wird man von selbst verstehen, dass Juden immer Löwe und Löwin sind. Denn unsere Seelen sowie Tora und Mizwot sind niemals dem Exil unterworfen.

Fußnoten
1.
Bereschit Rabba Abschnitt 98:7.
2.
Joma 21v, Jeruschalmi Makkot Kapitel 2.
3.
Beginnt mit den Worten „Kara Schachaw – zur Bedeutung des vermehrten Schlafes bei der dritten Mahlzeit (Or ha Tora Balak Seite 48 und dort weiter.
4.
Wajechi 237b.
5.
Schabbat 88a.
6.
Dwarim 5:26.
7.
Siehe Likute Tora Bamidbar 15a-b.
8.
Psalmen 14:6 und 43:6.
9.
Choschen Mischpat, Hilchot Nesikin 389, §8.
10.
Psalmen 74:9.
11.
Nidda 31a (leicht abgewandelt).
12.
Likute Tora Bamidbar 37, Sefer ha Maamarim 5710, Seite 116.
13.
Raschi-Kommentar Anfang Bereschit, Sefer ha Likutim des Arisal am Anfang und an einigen anderen Orten und siehe auch Midrasch Jelamdenu, so wie zitiert im Buch Talmud Tora.
14.
Kapitel 5.
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