In unserem Wochenabschnitt werden die Wanderungen des jüdischen Volkes in der Wüste zusammengefasst.
Einleitend sagt dazu die Thora: Dies sind die Wanderungen der Kinder Israels, die aus Ägypten ausgezogen waren.1 Laut diesem Vers macht es den Anschein, als ob alle Wanderungen in der Wüste Teil des Auszugs aus Ägypten waren. Tatsächlich aber verließ das jüdische Volk schon mit der ersten Wanderung von Ramses nach Sukkot Ägypten und alle anderen 41 Wanderungen spielten sich in der Wüste ab.
Da die Thora jedoch alle 42 Wanderungen an den Auszug aus Ägypten bindet, will sie uns damit andeuten, dass „der Auszug aus Ägypten“ nicht durch eine einmalige Reise bewirkt wird, sondern ein Prozess mit vielen Schritten ist.
Innere Grenzen
In der jüdischen Symbolwelt steht „Ägypten“ für Hürden und Grenzen, die der Mensch im Laufe seines Lebens zu überwinden hat.2 Deshalb sagten unsere Meister: „In jeder Generation muss der Mensch aus Ägypten ausziehen“,3 denn jeder von uns hat die ständige Pflicht, sein „Ägypten“ zu verlassen, innere wie auch äußere Hürden zu überwinden, die ihm bei seinem Dienst zu G-tt stören.
Unser Wochenabschnitt fügt außerdem hinzu, dass der Auszug aus dem persönlichen Ägypten aus „Wanderungen“ besteht; er kann nicht in einem Schritt bewältigt werden, sondern ist ein stufenweiser, kontinuierlicher Prozess.
Die Begriffe „gefangen“ und „frei“ sind in diesem Zusammenhang sehr relativ. Der Mensch kann gestern aus Ägypten ausgezogen sein, doch heute befindet er sich wiederum in Ägypten, da er nun die Möglichkeit hat, sich geistig mehr zu steigern. Die Freiheit von gestern ist das Ägypten von heute. Zum Beispiel: Jemand, der überhaupt nicht Zedaka gibt, überwindet bereits sein Ägypten, seine inneren Grenzen, sobald er jeden Tag ein wenig gibt. Doch nachdem er sich daran gewöhnt hat Zedaka zu geben, befindet er sich wiederum in Ägypten, da die Gewohnheit selbst zur inneren Grenze wird, die den Menschen daran hindert mehr zu tun. Um wieder aus Ägypten auszuziehen, muss er mehr Zedaka geben oder auf eine andere Weise zusätzlich wohltätig sein. Der Auszug aus Ägypten also ist ein kontinuierlicher Prozess der Steigerung.
Unsere Wanderungen
Deshalb machte das jüdische Volk 42 Wanderungen in der Wüste durch. Das waren Stufen von der „Gefangenschaft“ in die „Freiheit“. Jede Wanderung galt als „Freiheit“ gegenüber der vorigen Wanderung, jedoch wurde sie später zur „Gefangenschaft“, im Vergleich zur bevorstehenden Wanderung. Dadurch streckte sich der Auszug aus Ägypten auf 42 Wanderungen aus.
Diese 42 Wanderungen macht jeder Mensch in seinem Leben durch. Die erste Wanderung ist seine Geburt, die letzte führt ihn in die künftige Welt und befreit ihn gänzlich von seinen Grenzen. Im Laufe seines Lebens muss der Mensch aus seinem persönlichen Ägypten ausziehen, reifen und sich verbessern. Diese Aufgabe vollendet man nicht auf einmal, bis zu einem gewissen Alter; oder mit einem letzten Akt, sondern sie ist eine Aufgabe für das ganze Leben.
Der erste Schritt
Aus „den Wanderungen der Kinder Israels, die aus Ägypten ausgezogen waren“, können wir gleich zweierlei lernen:
Derjenige, dessen geistiger Zustand gut ist, muss sich immer vor Augen halten, dass er „die absolute Freiheit“ noch nicht erlangt hat und sich noch auf einer der Wanderungen befindet. Er muss weiter aus „Ägypten“ ausziehen, sich weiter steigern und verbessern.
Demjenigen aber, dessen geistiger Zustand sehr schlecht ist, sagt die Thora, er soll nicht verzweifeln. Er muss sich vor Augen halten, dass die Kinder Israels in Ägypten sehr tief gesunken waren. Ihr geistiger Zustand war katastrophal und dennoch haben sie bereits mit einer Wanderung Ägypten verlassen und (zumindest verhältnismäßig zu ihrem vorigen Zustand) die Freiheit erlangt. So erlangt auch er bereits mit dem ersten Schritt vorwärts die Freiheit, bis er schließlich hoch nach oben kommt!
(Likutej Sichot, Band 2, Seite 348)
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