Alle großen Rabbis von Polen mussten sich mit einer ungewöhnlichen Frage befassen. Zwei Brüder waren Geschäftspartner gewesen, hatten sich aber im Streit getrennt. Einer von ihnen hatte geschworen, er wolle den anderen nie wieder sehen. Doch als sein Bruder starb, bereute er seinen groben Schwur und wollte am Grab um Vergebung bitten. War er nach dem Tod des Bruders noch an seinen Schwur gebunden oder nicht? Das war die Frage.

Die Rabbis berieten über das Problem und suchten im Talmud nach Belegen. Aber sie konnten sich nicht einigen.

Auch der zwölfjährige Jecheskel Landau, aus dem später der Rabbi von Prag wurde1 hörte von dem Problem. Der Knabe hatte einen scharfen Verstand und fand die Lösung sofort. Er sagte: "Ich wundere mich, dass die Rabbis die Antwort nicht gefunden haben – sie steht doch in der Tora!"

"Was meinst du damit?" fragte man ihn.

"Es steht klar und deutlich in Paraschat Beschalach. Mosche Rabbenu sagte, die Juden würden die Ägypter nie wieder sehen. Doch nur wenige Verse später lesen wir: 'Israel sah die Ägypter tot am Ufer des Meeres.' Das heißt also, es ist nicht dasselbe, jemanden tot zu sehen, wie ihn lebend zu sehen. Der Schwur des Mannes, seinen Bruder nie wieder zu sehen, gilt also nicht mehr, weil sein Bruder gestorben ist."