Jaakow musste sich immer für seinen Lebensunterhalt abrackern und war oft gezwungen, mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn umzuziehen. Schließlich ließ er sich in der ukrainischen Kleinstadt Sosow nieder. Aber auch dort hatte er kein Glück, und bald wurde er krank und starb.
Mosche Leib, sein Sohn, hatte keine friedliche Kindheit und keine gute Schulbildung; trotzdem träumte er davon, eines Tages studieren zu können. Doch zunächst musste er arbeiten, um sich und seine Mutter zu ernähren. Eines Tages erbte seine Mutter einen großen Geldbetrag, so dass er nicht mehr arbeiten musste – aber niemand in der Stadt konnte ihm, dem ungebildeten Burschen, die Grundlagen der Tora beibringen. Darum verließ er mit der Erlaubnis seiner Mutter die Stadt. Er reiste nach Nikolsburg, wo es eine große Talmudschule gab. Aber Mosche wusste nicht, wie er lernen und wo er anfangen sollte. Er brauchte jemanden, der ihm half.
Ein offenes Haus
Das Haus des geliebten Oberrabbiners von Nikolsburg, Schmuel Horowitz (1726–1778), den man „Schmelke von Nikolsburg“ nannte, war immer offen. Jeden Tag kamen viele Gäste, und der Rabbi und seine Frau begrüßten alle freundlich und halfen ihnen, sei es mit einem gütigen Wort, sei es mit Rat oder Speise.
Auch der junge Mosche Leib begab sich zum Rabbi, der ihn willkommen hieß und wie einen Sohn behandelte. Er schloss sich der großen Akademie an, die der Rabbi gegründet hatte, und wurde zu dessen Schützling. So lebte er glücklich mit der Familie Horowitz und nahm an ihren Aktivitäten und Pflichten teil.
Eines Tages zog die Frau des Rabbis ihren Ring ab, um sich vor dem Brotverzehr rituell zu waschen. Ein stadtbekannter Dieb und Schwindler schnappte den Ring und lief damit fort. Da sie nicht sprechen und um Hilfe rufen konnte, ehe sie einen Bissen Brot gegessen hatte – denn so verlangt es das jüdische Gesetz –, entkam der Räuber.
Sobald sie einen Happen Brot verzehrt hatte, schrie sie um Hilfe. „Der Ring ist hundert Münzen wert“, klagte sie.
Der Räuber gibt Almosen
Als der Rabbi die Not seiner Frau sah, sagte er zu Mosche: „Schnell, lauf ihm nach. Und wenn du ihn hast, dann sag ihm, der Ring sei ein Geschenk für ihn, aber er sei hundert Münzen und nicht weniger wert!“
Mosche gehorchte seinem geliebten Lehrer und rannte los. Er wusste, dass er die Botschaft des Rabbis ausrichten musste, sonst nichts. Mit seinen jungen Beinen hatte er den Dieb bald eingeholt. Er richtete ihm aus, was der Rabbi gesagt hatte. Der Räuber erschrak. Er erwartete, dass der junge Bursche ihn packen, verprügeln und zwingen werde, der Frau des Rabbi reumütig den Ring zurückzugeben.
Verwirrt und bestürzt über Mosches Worte erklärte der Dieb: „Wenn der Rabbi so ein Mensch ist, will ich nichts nehmen, was ihm gehört. Ich gebe ihm den Ring zurück.“
Mosche sah ihn nachdenklich an und erwiderte: „Ich glaube, du verstehst nicht. Ich kenne den Rabbi erst seit Kurzem, aber ich weiß, dass jedes Wort, das er spricht, bedeutsam und absolut ehrlich gemeint ist.“ Mosche erklärte, der Rabbi habe diese Worte nicht gesprochen, um den Räuber zur Rückgabe des Ringes zu bewegen. Er habe jedes Wort so gemeint, wie er es gesagt habe, und er werde den Ring nicht zurücknehmen – er sei ein Geschenk und gehöre dem Dieb.
„Hör zu“, sagte Mosche, „nimm den Ring, aber verkauf ihn nicht für weniger als hundert Münzen. Mit dem Geld kaufst du Schmuck für Bräute, die Waisen sind. Darüber wird der Rabbi sich freuen.“
Seine Worte drangen dem Dieb ins Herz. Er befolgte den Rat und kaufte die Juwelen. Er war ein armer Mann, der es leichter fand, andere zu berauben, als seine Familie durch Arbeit zu ernähren. Er hatte nie gelernt, welchen Wert Geld hat, weil er nie Geld verdient hatte. Als er nun zum ersten Mal in seinem Leben Geld spendete, empfand er eine enorme Befriedigung. Er überlegte, wie es wäre, einen Beruf auszuüben, von seinem eigenen Geld zu leben und regelmäßig Geld zu spenden. Er nahm sich diese Lektion zu Herzen. Von da an bemühte er sich, ein Handwerk zu erlernen, und arbeitete hart, um seinen Lebensunterhalt ehrlich zu verdienen. Am meisten Freude machte es ihm jedoch, sein schwer verdientes Geld zu spenden und seine Tür für die Armen offen zu halten.
Mosche Leib wurde nicht nur ein Tora-Gelehrter und warmherziger Chassid, sondern vergaß nie, was er an jenem Tag gelernt hatte. Schließlich wurde er selbst ein chassidischer Meister und berühmt für seine Bemühungen, in ganz Osteuropa jüdische Gefangene auszulösen. Er war der Gründer der berühmten Sosow-Dynastie.
Diskutieren Sie mit