Das "Wochenfest" erinnert uns an die Offenbarung der Tora am Berge Sinai. Die Tora selbst zählt zu den Vorbereitungen, die zu diesem Ereignis führten, diese (Exodus 19, 2): "Und Israel lagerte dort, gegenüber dem Berge." Zwei Punkte sind in diesem Vers näher zu untersuchen: Erstens steht, auch im Hebräischen, das Verb hier im Singular ("lagerte"), als handele es sich nur am eine einzige Person, während die Tora sich in Wirklichkeit doch auf die Israeliten im Plural, auf alle von ihnen bezieht! Zweitens muss man sich fragen, welche Bedeutung in der Tatsache zu sehen ist, dass sie "gegenüber dem Berge" lagerten.

Vorbereitung und Vorbedingung für die Entgegennahme der Tora sind Friede und gegenseitiges Einvernehmen. Dementsprechend erklären unsere Weisen (Mechilta, zitiert von Raschi z.St.) die Singular-Form des Verbs in dem Sinne, dass die Israeliten lagerten, "geeint, wie ein Mann". Weiter erläutern sie (Jalkut): "G-tt hatte die Absicht, den Israeliten die Tora sofort nach ihrem Auszuge aus Ägypten zu geben, sie waren, aber unter sich gespalten. Als sie am Sinai ankamen, waren sie inzwischen zu einer geeinten Gruppe geschweißt worden. Da sprach der Ewige: 'Die Tora ist Frieden, und wem soll Ich sie geben? Einem Volke, das den Frieden liebt.'"

Die Kraft und Stärke, welche dem Frieden und der Einigkeit innewohnt, selbst wenn damit unwürdige Ziele verfolgt werden, zeigt sich in der Episode des Turmbaues von Babel (s. Raschi zu Genesis 11, 9 und Bereschit Rabba 38). Obwohl die frühere Generation (Noahs Zeitgenossen) g-ttgläubig war, hatten die Menschen ihre sozialen Beziehungen korrumpiert, sie lebten in Zwist, in ständigem Unfrieden. Ihre Bestrafung war hart und schwer: Die ganze Generation, ausgenommen Noah und seine Familie, ging in der Flut zugrunde. Die Geschlechter aber, die auf die Flut folgten, widersetzten sich G-tt in aller Öffentlichkeit. Sie trotzten Ihm, sie versuchten einen Turm bis hinan zum Himmel zu bauen und so "mit G-tt Krieg zu führen"! Da muss es allerdings überraschen, dass ihre Strafe nicht in Tod bestand (wie bei der Generation der Flut), sondern nur in der Zerstreuung über die ganze Welt. Und warum wurden sie nicht härter bestraft? Eben weil sie immerhin die Tugend von Eintracht und Frieden besaßen.

Allerdings kann diese Art von Einigkeit weder von Dauer sein, noch kann sie am Ende von Erfolg gekrönt sein.

Demgegenüber war die Eintracht und Einmütigkeit der Israeliten eine Einheit des Geistes, weil sie alle die Absicht hätten, G-ttes Tora und Seine Anordnungen entgegenzunehmen. Darin liegt der Sinn der Worte "... gegenüber dem Berge". Ihre Einheit und Einigkeit stand in einem direkten Zusammenhang mit dem "Berge" – das ist der Berg Sinai –, und dieser ist, wie der Midrasch (Schmot Rabba 2, 4 und 51, 8) erklärt, ein Synonym und ein Symbol für die Tora. So wird er zum Beispiel der "Berg G-ttes" genannt, das ist "der Berg, von dem Er Seine G-ttlichkeit verkündet".

Wenn wir im Laufe des Jahres unsere Feste feiern, dann sollen wir uns bemühen, die ursprünglichen Ereignisse jedes Festes nachzuleben, sie nochmals zu erleben. Die Tage von Schawuot sind Tage von Eintracht und Frieden. Dies ist eine Zeit, in der "Ahawat Jisrael" (brüderliche Liebe) in die Praxis umgesetzt werden sollte, in größerem Ausmaße und mit mehr Hingabe, als wir es sonst das Jahr hindurch tun; und nachdem diese Einigkeit im Zusammenhang mit dem Umstand und Zustand von "gegenüber dem Berge", also mit Tora und Geboten stehen muss, sollten wir unserer "Ahawat Jisrael" spezifischen Ausdruck verleihen durch größere, stets neue Anstrengungen, unsere Glaubensgenossen näher zur Tora zu bringen.