VI. Die Gesetze, die sich mit der Erbfolge befassen, sind eines der ursprünglichen Themen in Paraschat Pinchas.
Das Thema der Opfer, wie auch das Thema der Zählung des jüdischen Volkes, findet sich auch in anderen Paraschijot, sogar mit Details. Die Erbfolge im Allgemeinen und insbesondere die Aufteilung des Landes Israel als Erbe wird in Paraschat Pinchas erklärt.
Die Aufteilung des Landes Israel erfolgte durch ein Losverfahren: „Das Land soll durch das Los aufgeteilt werden.“1 Die Gemara2 und der Midrasch3 erklären, dass die Aufteilung sowohl durch das Los als auch mit Hilfe der Urim und Tumim erfolgte.
Die physische Aufteilung des Landes Israel spiegelt seine geistige Aufteilung wider, d. h. die Aufteilung der Awoda-Symbolik des Landes Israel.4 Diese geistige Aufteilung erfolgt also durch das Los. Das wirft ein offensichtliches Problem auf: Awoda muss auf Verstand und Vernunft beruhen; ein Losverfahren ist jedoch etwas jenseits der Vernunft!5
Sicherlich ist die Grundlage der Awoda Kabbalat Ol, eine Unterwerfung und Annahme des „Jochs des Himmels“; aber dies bezieht sich nur auf die Grundlage der Awoda. Der Beginn der Awoda selbst jedoch, die Entscheidung, wie man handelt, zu wissen, was erlaubt und was verboten ist, das hängt ganz von der Tora ab. Die Kenntnis der Tora hängt von Geist und Verstand ab. Wie könnte man dann sagen, dass die „Aufteilung“, d. h. die Bestimmung und Kategorisierung der Awoda und des Verhaltens des Menschen, „durch das Los“ erfolgt?
Außerdem heißt es in der Schrift: „Das Land soll Ach (nur; allein) durch das Los aufgeteilt werden.“ Das Wort Ach hat die Bedeutung von etwas Ausschließendem,6 das besagt, dass die Aufteilung nur durch das Los erfolgen soll. Wie kann das sein, wenn es doch ausschließlich durch Vernunft und Verstand geschehen sollte?
VII. In einem Ma-amar des Zemach Zedek,7 wie auch in Reden späterer Rebbes,8 gibt es eine Erklärung, wie sich unser Text – „Das Land soll nur durch das Los aufgeteilt werden“ – auf die Seele und die Awoda bezieht. Diese Erklärung beantwortet unsere Frage:
Ein Los ist jenseits der Vernunft. Die Aufteilung des Landes muss speziell durch ein Los erfolgen, weil diese Aufteilung in etwas jenseits der Vernunft verwurzelt ist.
Das bedeutet:
Jeder Jude muss alle Mizwot befolgen. Dennoch hat jeder Jude einige spezifische Aspekte, die nur für ihn gelten. So wird im Tanja, Iggeret haKodesch,9 erklärt, dass wir verschiedene Tanna-im und Amora-im finden, die außergewöhnlichen Eifer für bestimmte Mizwot zeigten.10 Sie waren bei allen Mizwot sorgfältig, aber bei bestimmten Dingen zeigten sie zusätzliche Sorgfalt, weil diese Dinge eine einzigartige Bedeutung für sie persönlich hatten. Die besondere Aufmerksamkeit, die sie diesen Aspekten entgegenbrachten, wirkte sich inspirierend und erhebend auf alle anderen Mizwot aus.11
Die Tatsache, dass es eine so einzigartige Beziehung zwischen einem Individuum und seinen spezifischen Aspekten gibt, lässt sich nicht mit dem Verstand oder dem Intellekt erklären. Es handelt sich nicht um eine Beziehung, die auf einer rationalen Einsicht beruht, sondern die die Vernunft gänzlich übersteigt. Dies ist das eigentliche Konzept eines Loses oder eines Losverfahrens.
VIII. Ungewöhnliche Hindernisse und Schwierigkeiten bei der Einhaltung einer bestimmten Mizwa sind ein Beweis dafür, dass man eine besondere Beziehung zu dieser Mizwa hat.12 Allein die Tatsache, dass man sich stark dagegen sträubt, zeigt, dass diese Mizwa einen umso mehr betrifft.
Man kann überhaupt keinen logischen Grund erkennen, warum diese Mizwa für ihn so bedeutsam sein sollte. Vielmehr stellt er fest, dass sie ihm mehr Schwierigkeiten bereitet als alles andere, oder dass er in diesem ganzen Bereich der Tora weder Freude noch Erfolg finden kann. Nichtsdestotrotz ist dieser besondere Aspekt einzigartig für ihn, er betrifft ihn auf eine sehr spezifische und persönliche Art und Weise, und er wird sein gesamtes Engagement für Tora und Mizwot erhöhen. Der Jezer haRa bekämpft ihn in dieser Angelegenheit genau aus dem Grund, weil es für ihn so entscheidend ist.
Deshalb darf man es nicht einfach fallen lassen und sich anderen Dingen zuwenden. Im Gegenteil: Man muss sich besonders anstrengen, um es zu verfolgen, weil es für ihn so wichtig ist. Gerade die Tatsache, dass man die persönliche Beziehung nicht versteht oder ihre Bedeutung nicht erkennt, ist eines der Hindernisse und Hemmnisse für ihre Verwirklichung.
IX. Jetzt können wir verstehen, warum es heißt: „Das Land soll nur durch das Los aufgeteilt werden“, was sich auf das Konzept des „Loses“ bezieht, das etwas über die Vernunft Hinausgehendes bedeutet.
Im Land Israel gibt es verschiedene Arten von Gegenden: Berge, Ebenen und Täler, Kornfelder und Obstgärten und so weiter.13 Wenn der eine seinen Anteil an einem Gebirge und der andere an einem Tal erhielt, oder wenn der eine Kornfelder und der andere Obstgärten erhielt, spiegelte diese Aufteilung des physischen Landes Israel die individuelle Beziehung jedes Einzelnen zum geistigen Land Israel wider.
Deshalb heißt es: „Das Land soll nur durch das Los geteilt werden“: Die Beziehung eines jeden zu seinem individuellen Anteil unterliegt nicht der Vernunft und dem Verstand; sie ist überrational. Auf unserer menschlichen Ebene spiegelt sich dies in der Vorstellung eines Losverfahrens wider.
X. Allein die Tatsache, dass das oben Gesagte ein integraler Bestandteil der Tora ist, zeigt, dass es sich auf jeden von uns bezieht; denn die Tora ist ewig, relevant für alle Zeiten und alle Orte.14
Jeder hat etwas Einzigartiges, das sich speziell auf ihn oder sie bezieht. Man muss alle Hindernisse und Hemmnisse auf dem Weg dorthin außer Acht lassen. Gerade die Erfahrung, dass der Jezer haRa, die Welt um einen herum, sich dem vehement widersetzt, muss, wie gesagt, zu immer größeren Anstrengungen führen, es zu verfolgen. Denn dies ist von größter Bedeutung und entscheidend für das Individuum, und dies wird alles andere, was mit ihm zu tun hat, inspirieren und erhöhen.
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am 16. Tammus 5712)
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