XVI. In Anbetracht des Vorangegangenen können wir nun eine scheinbar paradoxe Aussage von R. Josef verstehen: „Trage nicht (den Passus) von der Demut vor, denn ich bin da.“1 Sich selbst als demütig zu betrachten, ist sicherlich das genaue Gegenteil von Demut!
Einige erklären, dass R. Josef das Gefühl hatte, er verdiene keine Ehre. Als er sah, dass die Leute ihn dennoch ehrten, sagte er: „Trage nicht (den Passus) von der Demut vor, denn ich bin da.“ Damit betonte er nicht seine Demut, sondern die seiner Zeitgenossen, die ihn trotz seiner persönlichen Überzeugung, dass er sie nicht verdiene, sehr hoch schätzten.
Der Kommentar von Raschi macht jedoch deutlich, dass dies nicht die eindeutige Bedeutung dieser Passage ist. Raschi sagt: „‚Denn ich bin da‘ – d. h., denn ich bin ein demütiger Mensch.“ Daraus folgt, dass R. Josefs Selbstbewusstsein nicht im Widerspruch dazu stehen kann, wirklich demütig zu sein.
Dies ist im Zusammenhang mit der früheren Erklärung über Demut zu verstehen. Wahre Demut bedeutet, dass man sich seiner eigenen Qualitäten, einschließlich der Tugend der Demut, bewusst sein kann und sich dennoch in einem Geisteszustand der völligen Selbstverneinung befindet. Denn man kann alle seine Qualitäten, einschließlich der Demut, als Geschenke von G-tt betrachten, im Gegensatz zu persönlichen Leistungen, wie oben erklärt.
Dies mag auch ein Grund sein, warum R. Josef als „Sinai“ bezeichnet wurde.2 Denn die Selbstverneinung R. Josefs entspricht dem Aspekt des Sinai: einerseits die Eigenschaft, ein Berg zu sein, und andererseits gleichzeitig Bitul (Selbstverneinung).
XVII. Wir können nun auch ein Zitat aus der Gemara verstehen: „R. Josef sagte: Der Mensch sollte immer vom Verstand seines Schöpfers lernen; denn der Heilige, gesegnet sei Er, ignorierte alle Berge und Hügel und ließ Seine Schechina auf dem Berg Sinai verweilen.“3
Diese Aussage scheint schwierig zu sein: a) Das Ziel dieser Ermahnung, demütig zu sein, ist nicht nur ein hilfreicher Vorschlag, sondern ein wesentliches Erfordernis, um bestimmte Übertretungen zu verhindern.4 b) Warum sollte man einen Beweis aus „dem Verstand seines Schöpfers“ anführen, wenn es den ausdrücklichen Vers gibt: „Jeder, der hochmütig ist, ist dem Ewigen ein Gräuel?“5
In Anbetracht der obigen Ausführungen ist dies nun leicht zu verstehen. R. Josef spricht nicht von grober Arroganz und Selbstüberschätzung, die in der Kelipa (dem Bösen) wurzeln. Es ist sicher nicht nötig, auf den Berg Sinai zu verweisen, um zu erkennen, wie inakzeptabel das ist. Im Gegenteil, er spricht von einer Selbsterhöhung, die in der Heiligkeit verwurzelt ist. Im Zusammenhang mit Matan Tora wird also gesagt, dass man nur durch Bitul ein Gefäß für die Tora wird.
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Bamidbar 5718)
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