XVIII. Eine der vom Rebben, dem Baal haHilula, eingeführten Praktiken ist das tägliche Studium des entsprechenden Teils der aktuellen Sidra zusammen mit dem Kommentar von Raschi.1
In diesem Zusammenhang zitierte der Rebbe eine Maxime des Alten Rebben: „Man muss im Einklang mit der Zeit leben.“ Das bedeutet, dass man aus dem täglichen Studium der Parascha die für diesen Tag relevanten Hinweise entnehmen kann.
XIX. In der Parascha, die sich auf diesen Tag der Hilula bezieht (Scheni bis Schelischi in Beschalach),2 geht es um die Situation der Juden kurz vor Keri-at Jam Suf (der Teilung des Schilfmeeres).
Die Teilung des Meeres war eines der größten Wunder, wie aus dem rabbinischen Ausdruck3 „schwierig wie die Teilung des Schilfmeeres“ hervorgeht. Dieses Ereignis war auch eine Vorbereitung auf Matan Tora und die zukünftige Erlösung.4
Wie wurde die Teilung des Meeres erreicht?
Diese Geschichte wird im dritten Abschnitt der Parascha erzählt, den wir morgen, nach der Hilula, lernen werden. Es gab einen Menschen, Nachschon ben Aminadaw, der sich mit Mesirat Nefesch ins Meer stürzte. Seine Tat hatte den Effekt, dass er die gleiche Haltung [von Mesirat Nefesch] in allen anderen Juden hervorrief und so das Wunder der Teilung des Meeres in dieser physischen Welt bewirkte.5
XX. Das Eintauchen ins Meer durch Nachschon ben Aminadaw war zu dieser Zeit und unter den herrschenden Bedingungen nicht ganz konsequent. Immerhin gibt es eine Theorie, dass die Juden vor Matan Tora einen rechtlichen Status von Bnej Noach hatten,6 und es gibt einen Streit zwischen den frühen und den späteren Autoritäten, ob Bnej Noach eine Pflicht zur Selbstaufopferung (Mesirat Nefesch) haben.7
Wenn wir davon ausgehen, dass Benej Noach nicht zu Mesirat Nefesch verpflichtet sind, dann ist es ihnen in der Tat verboten, ihr Leben zu opfern; denn es ist ihnen verboten, Blut zu vergießen, sogar ihr eigenes Blut – wie es geschrieben steht: „Doch euer (eigenes) Blut, von euren Seelen, werde Ich fordern.“8 Daraus folgt, dass es Nachschon ben Aminadaw nicht erlaubt war, sein Leben zu opfern.
Übrigens, selbst wenn man denjenigen Glauben schenkt, die behaupten, dass sich die Juden vor Matan Tora anders verhielten als die Bnej Noach, würde dies nur bedeuten, dass sie strenger mit sich selbst umgingen, nicht nachsichtiger.9 Dies schließt daher jeden Akt von Mesirat Nefesch aus.
Nachschon wusste jedoch, dass G-tt zur Zeit des Exodus gesagt hatte: „Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, sollt ihr G-tt auf diesem Berg dienen.“10 Das bedeutet, dass der Weg aus Ägypten zum Berg Sinai führen muss, um die Tora zu empfangen. Nachschon kümmerte sich also nicht um etwas auf dem Weg. Da er weiß, dass der Berg Sinai das Ziel ist, bedeuten ihm Hindernisse auf dem Weg (wie das Meer) nichts: Er springt ins Meer, um seinen Weg fortzusetzen, bis er Matan Tora erreicht.11
XXI. Der Midrasch (Pirka deRabbenu haKadosch) zur heutigen Parascha12 – die sich auf den Tag der Hilula bezieht – berichtet, dass es damals vier Gruppen unter den Juden gab. Eine Gruppe schlug vor: „Lasst uns einen Anführer ernennen und nach Ägypten zurückkehren.“ Eine zweite Gruppe schlug vor, Krieg gegen die Ägypter zu führen. Eine dritte Gruppe schlug vor, in die Wüste zu fliehen. Nur eine Gruppe schlug vor, dass man ins Meer gehen kann oder muss.
In Anbetracht des Prinzips „Folge der Meinung der Mehrheit“ hätte13 Nachschon sehr wohl die Zulässigkeit des Sprungs ins Meer anzweifeln können, selbst mit der Argumentation eines objektiven Verstandes (da er mit Heiligkeit in Beziehung steht).
Dennoch weigerte sich Nachschon, solche Überlegungen anzustellen. Er wusste, dass G-tt gesagt hatte, man solle zum Berg Sinai gehen, um die Tora zu empfangen. Er kam zu dem Schluss, dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann, indem man nach Ägypten zurückkehrt, gegen die Ägypter kämpft oder in die Wüste flieht. Es gab nur einen Weg: durch das Meer. Damit bleibt nur noch die Möglichkeit, sich ins Meer zu stürzen, denn das bringt ihn dem Berg Sinai ein Stück näher.
XXII. Der Zustand des jüdischen Volkes zur Zeit von Keri-at Jam Suf bietet eine Lehre für alle Generationen. Sie reflektiert auch die Awoda des Rebben, des Baal haHilula, der sich mit Mesirat Nefesch in sein heiliges Werk vertiefte und diese Fähigkeit all jenen übertrug, die seinen Wegen folgen.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit begann er seine heilige Arbeit mit Mesirat Nefesch. Es war die Zeit, als die Jewsekzija in ganz Russland wütete. In einer solchen Zeit, die Führung bei der Verbreitung von Tora und Mizwot und Pnimijut haTora zu übernehmen, war völlig konträr zu den vorherrschenden Bedingungen, konträr zum normalen Lauf der Natur; es erforderte die Selbstaufopferung von Seele und Körper im wörtlichen Sinne.
Diese Art von Mesirat Nefesch verlangte der Rebbe auch von all jenen, die ihm folgten und mit ihm zusammen arbeiteten.
Im Schulchan Aruch gibt es keinen Präzedenzfall dafür, Mesirat Nefesch von jemand anderem zu verlangen. Man muss von einem anderen verlangen, dass er alle Mizwot einhält, denn das ist Teil des Gebots „Du sollst deinen Mitmenschen zurechtweisen“14, aber es gibt keine Quelle, um Mesirat Nefesch von einem anderen zu verlangen.
Dies gilt jedoch, wenn man den Ruf einer Himmlischen Mission nicht verspürt. Ganz anders verhält es sich jedoch unter Bedingungen, die dem „Die Schechina spricht durch seinen Mund“ entsprechen.15
XXIII. Der Rebbe erörtert in einem Ma-amar16 den Unterschied zwischen der Mesirat Nefesch von R. Akiwa und der Mesirat Nefesch unseres Vaters Awraham: R. Akiwa wünschte und suchte eine Gelegenheit für Mesirat Nefesch, denn er sagte: „Wann werde ich die Gelegenheit haben, sie zu erfüllen?!“17
Für Awraham war Mesirat Nefesch jedoch keine Awoda an sich. Er beschäftigte sich mit „Wajikra (und er verkündete) dort den Namen des Ewigen, E-l Olam“18 – lies nicht Wajikra (er verkündete), sondern Wajakri (er ließ andere verkünden).19 Er ließ alle E-l Olam verkünden; nicht: E-l haOlam (G-tt des Universums), was impliziert, dass die G-ttlichkeit und das Universum miteinander verbunden sind – und doch zwei getrennte Entitäten (Wesenheiten), sondern: E-l Olam, dass G-tt und das Universum eine Einheit sind, denn „Es gibt nichts sonst außer Ihm.“20
Das war die Awoda unseres Vaters Awraham. Er suchte nicht nach Mesirat Nefesch, aber er war darauf vorbereitet, wenn es nötig war. Als er in einen brennenden Ofen geworfen wurde,21 war das für ihn kein Hindernis. Das Einzige, worauf es ankam, war, seine Awoda von „Wajikra dort den Namen des Ewigen, E-l Olam“ zu erfüllen.
Das Verhalten des Rebben, des Baal haHilula, war das gleiche. Er jagte nicht nach Mesirat Nefesch; das war nicht sein Anliegen. Er verfolgte die Gelegenheiten von „Wajikra dort den Namen des Ewigen, E-l Olam“, Tora und Mizwot zusammen mit Pnimijut haTora und ihren Bräuchen und Richtlinien zu verbreiten. Das war sein Hauptanliegen, und um dieses Ziel zu erreichen, ließ er nichts unversucht – er führte seine Arbeit mit buchstäblicher Mesirat Nefesch aus.
Der Rebbe ließ sich nicht auf Überlegungen und Abwägungen ein, ob es eine rechtliche Notwendigkeit für Mesirat Nefesch gibt, denn sein Ziel war nicht Mesirat Nefesch. Ihm ging es um die Verbreitung und Stärkung des Judentums. Nichts anderes war für ihn von Bedeutung. Nichts konnte ihn von seiner Aufgabe ablenken.
Deshalb ließ er sich von den verschiedenen Gruppen unter den Juden nicht beeinflussen. All ihre Argumente waren für ihn irrelevant. Er wusste nur eines: immer näher an den Berg Sinai heran zu kommen! Ein Meer versperrt den Weg? Na und! Er springt ins Meer. Was kommt als Nächstes? Das ist die Sorge G-ttes und für ihn irrelevant. Er muss tun, was er tun muss – dem Berg Sinai näher und näher kommen.
XXIV. Dies ist die Lektion, die der Rebbe, der Baal haHilula, an uns weitergegeben hat, an alle, die sich auf die bevorstehende Erlösung vorbereiten müssen.
Unsere Aufgabe ist es zu erkennen: „Ich wurde geschaffen, um meinem Schöpfer zu dienen.“22 Unsere Aufgabe ist es, „die Geschöpfe zu lieben und sie an die Tora heranzuführen.“23
Das ist unsere einzige Aufgabe, und der Rest ist für uns völlig irrelevant.
Natürlich gibt es verschiedene Gruppen mit allen möglichen, zum Teil recht seltsamen Argumenten. Einige fordern: „Lasst uns einen Anführer ernennen und nach Ägypten zurückkehren“; andere rufen zum Kampf auf, während wieder andere in die Wüste fliehen wollen. Aber da keiner dieser Wege uns dem Empfang der Tora näherbringt, sind sie nicht unsere Wege.
Unser Ziel ist es, auf den Empfang der Tora zuzugehen, wie wir sagen: Noten haTora – der die Tora gibt – grammatikalisch im Präsens.24 So gehen wir ohne jede Berechnung vor. Wenn wir auf ein Meer stoßen – was soll's, wir werden ins Meer gehen. Wenn wir auf einen Berg stoßen – wir werden unseren Weg hindurch bahnen. Wir gehen, um die Tora zu empfangen, um uns mit dem Allmächtigen zu vereinen.
Wenn ihr euch auf den Weg macht, um die Tora ohne jede Berechnung zu empfangen, dann „wird der Ewige für euch kämpfen, und ihr werdet schweigen.“25
XXV. Nachschon verdiente26 es, der erste der Fürsten zu sein, der ein Opfer brachte und den Mischkan weihte, der dem Zweck diente: „Ich (G-tt) werde in ihrer Mitte wohnen.“27 Jeder Jude muss sich ebenfalls als Nachschon betrachten.
Dies wird das bewirken, was in Tikunej Sohar gesagt wird:28 Wenn es einen einzigen Juden gibt, der so ist, wie er sein soll (der Text verwendet den Begriff Zaddik, denn schließlich heißt es: „Dein Volk, sie alle sind Zaddikim“),29 wird er den Maschiach bringen und dann die Pnimijut haTora erhalten, die Maschiach offenbaren wird.30
Dies wird auch zu „As jaschir“ führen – hier haben wir eine Anspielung auf die Auferstehung der Toten,31 dass „diejenigen, die im Staub ruhen, erwachen und sich freuen werden“32 – und er (der Rebbe) wird unter ihnen sein, d. h., der Rebbe, der Baal haHilula, wird uns in Barmherzigkeit und Mitgefühl zum Maschiach führen.33
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten an Jud Schewat 5716)
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