XV. Der 15. Schewat ist das Rosch haSchana (Neujahr) der Bäume.1 Tatsächlich gibt es in dieser Frage eine Meinungsverschiedenheit, denn Bet Schammai (die Schule von Schammai) betrachtet den ersten Schewat als das Neujahr der Bäume. Dennoch folgt die Entscheidung in einem Streit zwischen den Schulen von Schammai und Hillel normalerweise Bet Hillel (der Schule von Hillel), und außerdem ist „die Meinung von Bet Schammai, wenn sie im Widerspruch zu der von Bet Hillel steht, keine Mischna.“2
XVI. Der Streit zwischen diesen beiden Schulen lässt sich wie folgt erklären.
Es gibt mehrere Fälle im Talmud, in denen Bet Schammai der Meinung ist, dass das latente Potenzial entscheidend ist, während Bet Hillel erklärt, dass die offensichtliche Wirklichkeit entscheidend ist.
Zum Beispiel:
a) „Wann werden Honigwaben anfällig für Unreinheit, weil sie als Flüssigkeit betrachtet werden? Bet Schammai sagt: Von dem Moment an, in dem man (den Honig) herauskratzen will“ – also das gegenwärtige Potenzial, obwohl sich die Flüssigkeit in Wirklichkeit noch in einem latenten Zustand befindet; aber „Bet Hillel sagt: Von dem Zeitpunkt an, an dem (die Honigwabe) aufgebrochen wurde“3 – also wenn der Honig tatsächlich sichtbar ist.4
b) „In Bezug auf die Chanukka-Lichter … sagt Bet Schammai: Am ersten Tag werden acht Lichter angezündet, und danach werden sie allmählich reduziert (jeden Tag ein Licht weniger). Bet Hillel sagt: Am ersten Tag wird ein Licht angezündet, und danach werden sie schrittweise erhöht (jeden Tag ein Licht mehr) … Der Grund von Bet Schammai ist, dass es den Tagen entsprechen soll, die noch folgen werden“ – also dem gegenwärtigen Potenzial, das sich in der Tat noch in einem Zustand der Latenz befindet; „und der Grund von Bet Hillel ist, dass es den Tagen entsprechen soll, die bereits vergangen sind“5 – also der tatsächlichen Anzahl der Tage, die bereits offensichtlich sind.
Bet Schammai folgt also dem Zustand dessen, was potenziell möglich ist, dem, was die Dinge gemäß ihrer Möglichkeit sein können. Bet Hillel betrachtet nur die tatsächliche Situation in ihrem gegenwärtig offensichtlichen Zustand.
(Die Wurzel dieses Streits ist das mystische Prinzip, dass Bet Schammai im Aspekt von Gewura verwurzelt ist, und dass ihre Art der Awoda eine der Ha-ala-a (Erhebung) ist – bezogen auf den Aspekt des Potenzials. Bet Hillel ist im Aspekt von Chessed verwurzelt,6 und ihre Art der Awoda ist eine der Hamschacha (Herabziehen) – bezogen auf den Aspekt der offensichtlichen Wirklichkeit; daher ist „Hillel“ sprachlich verwandt mit „Behillo Nero – seine Leuchte strahlte“7, ein Zustand der Manifestation.)
XVII. Das „Neujahr der Bäume“ bedeutet, dass die Bäume ihre Nahrung nicht mehr aus der Feuchtigkeit des vergangenen Jahres beziehen, sondern aus dem Niederschlag des neuen Jahres.8
Das Wasser des neuen Jahres nährt die Bäume ab vier Monaten nach ihrem Gerichtsurteil: „Am Fest (Sukkot, d. h. am 15. Tischrej) wird das Urteil über das Wasser (den Regen) gefällt.“9 Vier Monate später, am 15. Schewat, können die Bäume also aus diesem Wasser schöpfen.
Das Urteil über das Wasser an Sukkot ist das eigentliche Urteil. Auf eine latente, verborgene Weise wird dieses Urteil jedoch bereits am ersten Tischrej gefällt. Denn am allgemeinen Rosch haSchana, dem ersten Tischrej, wird die ganze Welt gerichtet10 – in Bezug auf alles, einschließlich des Regens; aber erst am 15. Tischrej kommt das Urteil über das Wasser ans Licht, in unsere Realität.
Da die offensichtliche Nahrungsaufnahme aus den neuen Wassern vier Monate nach ihrem offensichtlichen Urteil erfolgt, folgt daraus, dass die neue, wenn auch latente, Versorgung tatsächlich am ersten Schewat beginnt, also vier Monate nach dem gefällten Urteil über das Wasser.
Bet Schammai, der das Potenzial als ausreichend bestimmend ansieht, betrachtet daher den ersten Schewat als das Neujahr der Bäume. Bet Hillel, der den tatsächlichen Zustand als entscheidend ansieht, betrachtet den 15. Schewat als das Neujahr der Bäume. Bet Schammai würde also zustimmen, dass das offensichtliche, tatsächliche Neujahr der Bäume am 15. Schewat ist.
XVIII. Das Konzept des „Neujahrs der Bäume“ bezieht sich auch auf den Menschen, denn die Heilige Schrift vergleicht den Menschen mit einem „Baum auf dem Feld.“11
Ein Baum bringt Früchte hervor, aus denen später andere fruchttragende Bäume wachsen werden. In gleicher Weise muss jeder Jude ein Maschpia (jemand, der Einfluss ausübt) auf seine Umgebung sein – in der Synagoge, in der Jeschiwa und generell auf alle Juden, mit denen er in Kontakt kommt. Man muss diese beeinflussen, damit es immer mehr bewusste Juden gibt.
Jeder ist gesegnet, wenn seine Pflanzungen so sind, wie er in seinem wahren, inneren Selbst ist. Das ist der größte Segen für einen Baum, wie unsere Weisen sagten: „Baum, Baum, womit soll ich dich segnen? … Möge es der G-ttliche Wille sein, dass alle Triebe, die von dir genommen werden, so sind wie du!“12
Die Gemara, Traktat Sanhedrin,13 erörtert eine Reihe von Faktoren für die Erlösung und kommt zu dem Schluss: Es kann kein deutlicheres Zeichen für die Erlösung geben, als wenn „ihr eure Zweige treibt und eure Früchte bringt.“14 Wenn also „die Triebe, die von dir genommen werden, dir gleich sein werden“, wird das das wahre Zeichen für das Kommen des Maschiach sein.
Wenn man dem „Baum des Lebens“, d. h. unseren heiligen Meistern und den Lehren der Chassidut,15 anhängt und dies auch seinen jüdischen Mitbürgern vermittelt, so dass seine „Pflanzungen so sind wie man selbst“ – und man dann sagen kann: „Seht die Pflanzen, die ich gezüchtet habe“ – dann ist das das Zeichen für die bevorstehende Erlösung durch unseren gerechten Maschiach.
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Beschalach, Tu biSchewat 5716)
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