III. Zu dem Vers „Und [Jaakow] sandte Jehuda ... ihm voraus nach Goschen Lehorot“1 zitiert Raschi einen Midrasch,2 um zu erklären, dass Lehorot bedeutet: „ihm voraus ... ein Haus des Studiums zu errichten, aus dem Hora-a (Unterweisung) hervorgehen soll.“
Als der Allmächtige Jaakow befahl, nach Ägypten zu ziehen, sorgte Jaakow zuerst („ihm voraus“) für die Anwesenheit von Jeschiwot. Der Allmächtige hatte versprochen, mit ihm zu sein – „Ich werde mit dir nach Ägypten hinabziehen, und Ich selbst werde dich auch sicher wieder heraufbringen“3 –, doch Jaakow bemühte sich im Voraus, Jeschiwot vorzubereiten; erst dann ging er dorthin, denn Jeschiwot sind das Fundament und die Stütze der Juden.
Die von Jaakow gegründeten Jeschiwot existierten während der gesamten Zeit, in der die Juden in Ägypten waren, wie unsere Weisen sagten:4 „Unsere Vorfahren waren nie ohne eine Jeschiwa. Als sie in Ägypten waren, hatten sie eine Jeschiwa, wie es heißt: ‚Geh und versammle die Ältesten Israels.‘“5
Zu allen Zeiten und an allen Orten, an denen Juden lebten, selbst im schrecklich harten Exil in Ägypten, gab es Jeschiwot, in denen die Tora studiert wurde; denn, wie es heißt, sind Jeschiwot das Leben des jüdischen Volkes.
IV. Das ägyptische Exil war das schwerste aller Exile, auch des jetzigen, und zwar aus mehreren Gründen:
(a) Das ägyptische Exil lag vor der Übergabe der Tora. Auch damals wurde die Tora studiert, wie aus zahlreichen Aussagen unserer Weisen hervorgeht (einschließlich der gerade erwähnten Aussage – „Unsere Vorfahren waren nie ohne eine Jeschiwa“). Allerdings wurde die Tora damals nur in dem Maße studiert, wie es den natürlichen Fähigkeiten des Menschen entsprach. Ungeachtet der erreichten Höhen kann die persönliche Fähigkeit niemals über die Wurzel der geschaffenen Wesen hinausgehen.6
(b) Das ägyptische Exil war das erste in der jüdischen Geschichte und damit das am schwersten zu ertragende. Nehmen wir zum Beispiel den Fall eines wiederkehrenden Unglücks, G-tt bewahre: Beim ersten Mal ist es sehr schwer zu ertragen, aber wenn es wieder passiert, ist es nicht mehr ganz so schwer, weil man schon ein wenig darauf vorbereitet worden ist.
(c) In Ägypten waren alle Juden zusammen. In den späteren Exilen „hat der Heilige, gesegnet sei Er, Israel Barmherzigkeit erwiesen, indem Er sie unter die Völker zerstreute.“7 Wenn die Juden über verschiedene Orte verstreut sind, können sie an einem Ort eine Pause einlegen und den Verfolgten anderswo helfen. In Ägypten jedoch befanden sich alle Juden an einem Ort und standen unter demselben Regime.
(d) Ägypten war ein besonders bedrückendes Land, aus dem „kein Sklave je hatte entkommen können [weil das Land von allen Seiten eingeschlossen war]“8, und doch mussten 600.000 Menschen – Frauen und Kinder nicht mitgerechnet – freigelassen werden.
Trotz all dieser Schwierigkeiten waren sie nie ohne eine Jeschiwa. Es gab immer Jeschiwot, in denen die Tora studiert wurde.
V. Die Tora ist kein Geschichtsbuch. Jedes Thema und jede Episode, jeder Buchstabe der Tora bietet Orientierung für alle Zeiten und Orte.
Manche behaupten, die heutige Zeit sei keine Zeit für Jeschiwot. In diesen schwierigen Zeiten sei Talmud Tora völlig ausreichend. Wenn Jeschiwot unentbehrlich seien, dann sicher nicht solche von der Art der vergangenen Tage usw.
Das ägyptische Exil lehrt uns also: Die Verhältnisse in Ägypten waren weitaus schwieriger als die heutigen, aber man hat sich trotzdem über sie hinweggesetzt und die Tora studiert. Darüber hinaus haben sie sich nicht nur über die schweren Bedingungen des Exils hinweggesetzt, sondern auch über die möglichen Höhen, zu denen das Studium der Tora sie führen würde – ob zur Wurzel der geschaffenen Wesen oder darüber hinaus.9 Heutzutage also, wo die Galut nirgends so schwer ist und das Studium der Tora viel erhabener ist, müssen alle Berechnungen beiseite gelegt werden und es muss Jeschiwot geben!
VI. Das Gleiche gilt für die Unterstützung von Jeschiwot. Es gibt Leute, die behaupten, die Verhältnisse seien „eng“ im Kopf und „eng“ im Geldbeutel; wenn sich die Verhältnisse bessern und es ihnen besser geht, werden sie eine Jeschiwa unterstützen und vielleicht Mesirat Nefesch zeigen, indem sie ihre eigenen Kinder in die Jeschiwa schicken – bis zum Alter von 13 Jahren ...
Man muss es diesen Leuten sagen: In Ägypten war die Galut viel schlimmer. Dort hatten unsere Vorfahren nicht einmal Stoppeln für Ziegelsteine und mussten durch ein fremdes Land wandern, um sie zu suchen, während die Aufseher des Pharao mit ihren Peitschen über sie herfielen. Und dennoch: Es gab kein Stroh, aber sie hatten Jeschiwot!
VII. Die Gemara10 erörtert, ob es schlimmer ist, an einem Ort der offensichtlichen Unmoral oder der Götzenanbetung vorbeizugehen. Es scheint, dass das Vorbeigehen an einem Ort unmoralischen Verhaltens schädlich ist, weil die visuelle Erfahrung später unerwünschte Gedanken hervorrufen kann, selbst wenn zum Zeitpunkt der Wahrnehmung keine unangemessenen Gedanken vorhanden waren.11 Aber was könnte falsch daran sein, an einem Ort der Götzenanbetung vorbeizugehen? Das Argument einer schädlichen visuellen Erfahrung trifft nicht zu, denn es gibt nur die Wahrnehmung von Holz und Stein. Tatsächlich aber hat alles eine Wirkung auf seine Umgebung. Schon das Vorhandensein von Unreinheit12 durchdringt die Umgebung mit Unreinheit, was sich wiederum negativ auf den Menschen auswirken kann.13
Was will ich damit sagen?
Die vorherrschende Atmosphäre und Einstellung, dass die Gegenwart keine Zeit für Jeschiwot ist, hat sogar einige Jeschiwa-Studenten beeinflusst.
Einige Studenten argumentieren, dass es schwierig ist, richtig zu studieren, weil sie zunächst ihren Lebensunterhalt sichern müssen. Irgendwann werden sie das heiratsfähige Alter erreichen und eine geeignete Partnerin finden, sich verloben und heiraten, und dann – in einer glücklichen und gesegneten Zeit – werden sie Kinder bekommen. Schon jetzt machen sie sich Sorgen, wie sie die Kinder ernähren sollen, mit denen der Allmächtige sie zu gegebener Zeit segnen wird, und das hindert sie daran, in Ruhe zu studieren. Außerdem machen sie sich schon jetzt Gedanken über einen Nachlass, den sie ihren Kindern nach ihrem Tod hinterlassen können. Mit einer solchen Einstellung sind sie natürlich schon – zumindest im Geiste – auf der Straße, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Woher kommen solche Gedanken in den Köpfen von Jeschiwa-Schülern? Aus der Atmosphäre ihres Umfelds. Der Rebbe, mein Schwiegervater, sagte, dass das Eis [in Amerika] bereits zu schmelzen begonnen hat.14 Dennoch besteht ein großer Unterschied zwischen dem Schmelzen des Eises und dem Erreichen des Siedepunkts durch „Der Ewige, dein G-tt, ist ein verzehrendes Feuer.“15 Darüber hinaus gibt es immer noch einige Überbleibsel des vorherigen Zustands [der „Eisigkeit“ und Negativität], und die Art von Studenten, von denen die Rede ist, strecken sich tatsächlich nach diesen Überbleibseln aus.
VIII. Zu ihren Gunsten muss gesagt werden, dass die Umwelt schuld ist. Aber auch das ist keine wirkliche Entschuldigung. Das können wir aus dem ägyptischen Exil lernen:
Die ägyptische Galut war so streng und bedrückend, dass der Gedanke an Erlösung gar nicht erst in Erwägung gezogen wurde. Sogar als Mosche die Erlösung verkündete, „hörten sie nicht auf Mosche, weil sie zu kleinmütig waren und wegen des harten Dienstes.“16 Doch selbst bevor Mosche die G-ttliche Zusicherung „Ganz gewiss habe Ich euch bedacht“17 verkündete, machten sie keine Berechnungen über die Zukunft, sondern „saßen“ in Jeschiwot und studierten. Wie viel weniger sollten solche Sorgen heute in Betracht gezogen werden! Man muss die Tora lernen, ohne die Zukunft zu berechnen.
Das gilt besonders in der heutigen Zeit, in der die Aufgabe des Menschen viel einfacher ist als damals. Denn von den 288 „Funken“, die fielen, sind bereits 202 herausgezogen und veredelt worden, wie es heißt:18 „Und Erew Raw (eine gemischte Schar) ging auch mit ihnen hinauf.“19 Es blieben also nur noch 86 „Funken“ [in der numerischen Entsprechung des G-ttlichen Namens E-lohim] übrig, und auch von diesen sind viele im Laufe der Zeit mit viel jüdischem Schweiß und Blut herausgezogen worden. Daher bleiben jetzt nur noch ein paar „kleine Krüge“20 übrig.
Es ist also offensichtlich, dass die heutige Awoda viel einfacher ist, und zwar aus zwei Gründen: (a) Es gibt nur wenig, was noch „verfeinert“ werden muss; und (b) die bereits gewonnenen „Funken“ tragen dazu bei.
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Schemot 5713)
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