XXV. Der Midrasch1 kommentiert den Vers „Wejiten lecha – Und Er gebe dir ... “,2 dass Jaakow zehn Segnungen erhielt, die den Zehn Aussprüchen3 entsprechen, durch die die Welt erschaffen wurde.
Wenn der Ausdruck „entsprechend“ in der Tora auftaucht, geht die Analogie sicherlich über eine bloße Gleichheit der Zahlen hinaus. Die Subjekte selbst müssen in Beziehung zueinander stehen, und deshalb stimmen auch ihre Zahlen überein.
Unser menschliches Verständnis funktioniert jedoch in umgekehrter Reihenfolge: vom Späteren zum Früheren, von der Wirkung zu ihrer Ursache und vom Einfachen zum Komplexen. Wir erkennen, dass die Subjekte selbst (d. h. die Ursache oder die Voraussetzung) miteinander in Beziehung stehen, nachdem wir festgestellt haben, dass sie in ihren Zahlen (der Wirkung und der Folge) übereinstimmen, also in der Reihenfolge vom Einfachen zum Komplexen. Denn um die wirkliche Beziehung zwischen den Subjekten zu verstehen, muss man zuerst ihre Natur oder ihre Essenz begreifen. Eine Identität der Zahlen ist jedoch für alle ganz offensichtlich; sie erfordert keine Überlegungen über die Natur oder die Qualität der Subjekte und kann durch einfaches Zählen festgestellt werden. Wenn wir also die Gleichheit der Zahlen beobachten, erkennen wir, dass die Subjekte selbst miteinander verwandt sind.
XXVI. So heißt es zum Beispiel, dass die 248 positiven Gebote der Tora den 248 Organen des Menschen entsprechen und die 365 Verbote der Tora den 365 Blutgefäßen.4 Das heißt nicht, dass diese Beziehungen rein numerisch sind, sondern dass die Themen selbst miteinander in Beziehung stehen. Die 613 Mizwot sind die „Organe“ der Seele, von denen die Lebenskraft zu den Organen des Körpers fließt.
In diesem Zusammenhang wird erklärt5 – in einem Kommentar zu dem Vers „Du sollst ganz sein mit dem Ewigen, deinem G-tt“6 –, dass die Ganzheit und Vollkommenheit der 613 Mizwot zu einer Ganzheit in den „Organen“ der Seele führt, die wiederum eine Ganzheit in den 613 Teilen des Körpers bewirkt und ihnen Vitalität und Kraft verleiht. Da jedes Organ von einer bestimmten Mizwa abhängt, müssen die Organe den Mizwot zahlenmäßig entsprechen.
XXVII. Dasselbe gilt für den Vers „Jeder Löffel (wiegt) zehn – zehn (Schekel) des heiligen Schekel“7, von dem es heißt, dass die Zehn Aussprüche den Zehn Geboten entsprechen.8
Auch hier bedeutet dies nicht, dass die Beziehung ausschließlich numerisch ist, sondern dass beide im Wesen miteinander verwandt sind. Denn schon die Erschaffung des Universums durch die Zehn Aussprüche geschah mit Hilfe der Tora und um der Tora willen: „Bereschit (Im Anfang)“ – d. h., (die Welt wurde) um der Tora willen erschaffen, die Reschit genannt wird.9 Und bis zum sechsten Tag – d. h., dem sechsten Tag des Siwan, an dem die Tora gegeben wurde – wankten Himmel und Erde; aber als es zum Tag von Matan Tora kam, „war die Erde ... ruhig“10 – d. h., die Schöpfung erlangte Dauerhaftigkeit.11
Die beiden Themen sind also zahlenmäßig gleich, weil sie im Wesentlichen miteinander verbunden sind. Die Zehn Aussprüche selbst sind wegen der Zehn Gebote entstanden: Ihr Zweck ist es, dass all die Dinge, die durch sie geschaffen wurden, von den Aspekten der Zehn Gebote durchdrungen werden.
XXVIII. Wenn ein Jude die Zehn Aussprüche mit den Zehn Geboten in Verbindung bringt, d. h., wenn er die Welt mit dem Licht der Tora erhellt, ruft er für sich eine Fülle von physischen und geistigen Segnungen hervor, wie die Schrift sagt:12 „Wenn ihr in Meinen Geboten wandelt ... dann will Ich euch Regen geben zu seiner Zeit ...“ – all die Segnungen, die in dieser Parascha aufgezählt werden.
Da man diese Segnungen dadurch erhält, dass man die Zehn Gebote in die Zehn Aussprüche einfließen lässt, werden auch die Segnungen zu einer zehnfachen Menge ausgedehnt. Deshalb wurde Jaakow mit zehn Segnungen gesegnet, die den Zehn Aussprüchen entsprechen.
XXIX. Wir können nun eine Stelle im Sohar verstehen:13 R. Elasar wurde gefragt, warum die Segnungen, die Jaakow gegeben wurden, sich nicht erfüllt haben, während die Segnungen, die Esaw gegeben wurden, sich alle erfüllt haben. R. Elasar antwortete: „Jaakow nahm seinen Anteil Oben, und Esaw nahm seinen Anteil unten.
In der Schrift heißt es: „Seine Zedaka (Gerechtigkeit) währt ewig.“14 Die Zedaka und die Güte sowie die Mizwot im Allgemeinen, die in der heutigen Zeit praktiziert werden (und die im Wesentlichen die Awoda von Birurim darstellen), währen ewig. Die Erfüllung von Mizwot zieht Licht in Azilut, aber dieses Licht ist „wie in einem Kästchen“, so wie Juwelen und Perlen in einem Kästchen aufbewahrt werden, und es wird in der Zukunft offenbar werden. Es währt ewig.15
Die Segnungen werden, wie gesagt, durch die Erfüllung der Mizwot herbeigeführt. So wie das Licht, das durch die Mizwot hervorgerufen wird, vorläufig verborgen ist – „wie in einem Kästchen“ –, so sind auch die Segnungen vorläufig noch im Verborgenen.
So folgert der Sohar, dass Jaakow in der „Zukunft“ auch unten (in der materiellen Welt) empfangen wird: Esaw wird gänzlich untergehen, und Jaakow wird sowohl das Oben als auch das Unten erhalten, diese Welt und die zukünftige Welt. Dies stimmt mit dem überein, was zuvor gesagt wurde: Das Licht, das durch die Mizwot hervorgebracht wird, wird sich in der „zukünftigen Welt“ manifestieren, und zwar sogar in einem physischen Sinne. (Tatsächlich ist dies genau die Qualität der zukünftigen Ära: das Physische wird nicht stören und verbergen, sondern im Gegenteil integriert werden). Ähnlich verhält es sich mit den Segnungen: Esaw wird ganz aus der niederen (materiellen) Welt verschwinden, und die Segnungen Jaakows werden sich auch im Diesseits erfüllen, im physischen Sinne.
XXX. Es gibt eine Passage in den Schriften von R. Jizchak Luria, die im Magen Awraham16 als halachische Regel zitiert wird, dass man am Vorabend des Schabbat von den für den Schabbat zubereiteten Speisen kosten sollte, da geschrieben steht: „Wer von ihnen kostet, verdient das Leben.“17
Nach der Berechnung von „Die Welt soll sechstausend Jahre dauern“18 ist die gegenwärtige Zeit bereits der „Vortag des Schabbat“, und zwar nach dem Mittag.19 Die verschiedenen Aspekte der „Zukunft“ müssen also bereits verfügbar sein, zumindest zum Probieren, und auch ein Geschmack ist etwas Substantielles.
So ist es auch mit der Offenbarung von Pnimijut haTora, die erst in jüngster Zeit offenbart wurde. Früher war sie auf wenige Auserwählte beschränkt, aber in diesen letzten Generationen „ist es obligatorisch, diese Weisheit zu offenbaren.“20 Besonders der Baal Schem Tow, durch die allgemeine Chassidut, und noch mehr der Alte Rebbe, durch die Chabad-Chassidut, brachten den Aspekt „Es werden deine Quellen überströmen auf die Fluren“21 auf eine Art und Weise der weitestmöglichen Verbreitung.
Die Offenbarung von Pnimijut haTora bezieht sich auf die „Zukunft“, wie Raschi in seinem Kommentar zu Schir haSchirim zitiert:22 „Die Gründe (innere Bedeutungen) der Tora werden in der Zukunft offenbart werden.“ Doch diese Offenbarung von Pnimijut haTora hat bereits begonnen, und zwar durch „Probieren“, jetzt, in dieser Zeit des „Vortags des Schabbat“, und besonders jetzt, da es „nach Mittag“ ist.
Das ist für uns von Bedeutung: Da es bereits nach dem Mittag ist, ja, es ist bereits nach Plag haMincha,23 muss es bereits die Zeit sein, in der „diejenigen, die von ihnen kosten, das Leben verdienen“: Es muss bereits der Beginn der Enthüllung der Segnungen Jaakows „oben und unten“ sein, geistig wie materiell, materieller und geistiger Segen und Erfolg in Form von sichtbarem und greifbarem Guten.
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Toldot 5718)
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