Ruwen stand vor einer sehr schwerwiegenden Entscheidung. Es wurde ihm ein attraktives Geschäft angeboten mit einem vielversprechenden Gewinn. Doch er musste viel Geld investieren. Im schlimmsten Fall würde er bankrottgehen. Ruwen fiel die Entscheidung nicht leicht. Er beriet sich mit Freunden, unter anderem mit einem Chabad-Chassid. Dieser schlug ihm vor, den Lubawitscher Rebben zu fragen, der schon Vielen mit hilfreichem Rat zur Seite stand. Ruwen gefiel die Idee. Er schrieb dem Rebben und schilderte ihm seine Lage bis ins kleinste Detail. Ruwen wartete einige Wochen auf eine Antwort, doch diese verzögerte sich. Inzwischen könnte er sich die Chance seines Lebens durch die Lappen gehen lassen. Nachdem sich Ruwen lange Zeit hindurch in Ungewissheit geplagt hatte, entschloss er sich letztendlich auf das Geschäft einzugehen – und G-tt sei Dank hatte er Erfolg. Alles lief problemlos, und Ruwen wurde sehr bald zu einem der wohlhabendsten Männer seiner Stadt.

Eines Tages entdeckte Ruwen in seinem Briefkasten ein Schreiben vom Lubawitscher Rebben. Er war sehr verwundert, dass der Rebbe erst nach so langer Zeit antwortete. Gleichzeitig kamen ihm Gedanken des Misstrauens gegenüber dem Rebben in den Kopf. „Ha ... natürlich, nun, wo ich reich geworden bin, will er plötzlich etwas von mir! Als ich ihn damals so sehr brauchte und nach seinem Rat gefragt habe, sah er es nicht für notwendig mir zu schreiben. Jetzt möchte er sicher, dass ich seinen Instituten Geld spende“, dachte Ruwen sich ärgerlich. Er wollte nicht einmal den Brief öffnen und steckte ihn in eine Lade zwischen alte Dokumente. Sehr bald vergaß er der Brief.

Nach kurzer Zeit bekam Ruwen eine Tochter, nachdem er bereits zwei Söhne hatte. Als diese heranwuchs, lernte sie einen guten, anständigen Burschen kennen. Die beiden gefielen einander und wollten sich vermählen. Doch Ruwen war das nicht geheuer. Der junge Mann war nämlich sefardischer Herkunft, und er, der Vater, stammte aus einer vornehmen aschkenasischen Familie. Ihm zufolge hatte man in seiner Familie immer schon darauf bestanden, nur jemanden derselben Abstammung zu heiraten. Ruwen wollte von der Sache nichts wissen. Er stellte seiner Tochter das Ultimatum: „Er oder ich!“ Weiters drohte er ihr damit, dass er sie enterben würde, falls sie sich tatsächlich für ihren sefardischen Partner entscheiden sollte. Doch das Mädchen war nicht weniger stur als Ruwen. Sie ließ auf keinen Fall zu, dass irgendjemand ihr festlegte, wen sie zum Ehemann nehmen dürfe. Für sie war bereits vom Himmel entschieden, dass sie mit diesem Mann unter der Chuppa stehen würde. Auch Ruwen beharrte auf das Seine. Ganz gleich was Ruwen versuchte, um sie umzustimmen, seine Tochter war fest entschlossen. Der Streit zwischen Ruwen und seiner Tochter eskalierte, bis sie das Haus verließ und mit ihrem Vater jeglichen Kontakt abbrach. Diese Tatsache traf Ruwen wie ein Stich ins Herz; er war vollkommen außer sich. Er wandelte in seinem Haus deprimiert von einem Zimmer ins andere; fühlte sich unruhig und verlassen und konnte weder essen noch schlafen. Seitdem verbrachte Ruwen seine Tage und Nächte in Trauer und Verbitterung.

Eines Abends, als er vergebens versuchte sich irgendwie von seiner miesen Stimmung abzulenken, durchstöberte er seine Schubladen, die er schon lange nicht mehr geöffnet hatte. Plötzlich entdeckte er den Brief, welchen er vor mehr als zwanzig Jahren vom Lubawitscher Rebben erhalten hatte. Das Kuvert blieb während all dieser Zeit ungeöffnet. Auf einmal erinnerte sich Ruwen an den schon so lange zurückliegenden Vorfall. Ein innerer, unerklärlicher Drang trieb ihn dazu, das Kuvert zu öffnen und die Antwort des Rebben zu erfahren...

Zuerst segnete der Rebbe Ruwen mit Erfolg für sein finanzielles Vorhaben, und dass er das Geld für gute Zwecke nutzen möge. Weiters segnete er ihn mit viel jüdischem Wohl von seinen Kindern. Zum Abschluss fügte der Rebbe die folgenden Zeilen hinzu: „Es ist wohl bekannt, dass bei der Entscheidung eines Paares in die Ehe einzugehen, die Herkunft nicht das Ausschlaggebende sein sollte. Die Hauptsache ist, dass Mann und Frau G-ttesfurcht haben und auf den Wegen der Thora wandeln. Es fanden schon viele Hochzeiten zwischen sefardischen und aschkenasischen Juden statt, und G-tt sei Dank gelang es, dem Paar sein gemeinsames Leben nach jüdischen Werten aufzubauen!“

Ruwen packte sich am Kopf. Er konnte nicht fassen, was da seine Augen gelesen hatten. Diese Worte schrieb der Rebbe vor so vielen Jahren. Wie konnte er wissen, was sich nach so langer Zeit ereignen würde? Und woher wusste er, dass Ruwen den Brief bis dahin nicht öffnen würde?!

„Danke Rebbe“, murmelte Ruwen mit feuchten Augen. „Danke, dass Du Deine Antwort hinausgezögert hast, da Du vorhersahst, dass ich den Brief in meinem Hochmut bis heute nicht lesen würde! Danke, dass Du mir jetzt antwortest, wo ich es doch so notwendig hatte!“ Der glückliche Vater eilte, um sich mit seiner Tochter und dem zukünftigen Schwiegersohn zu versöhnen. Es war eine Hochzeit voller Pracht und Glanz.