Höhepunkt der "ehrfurchtgebietenden Tage" ist Jom Kippur, und zur Zeit des Tempels stand im Mittelpunkt dieses Tages der vom Kohen Gadol, dem Hohepriester, verrichtete Dienst im Heiligtum.
Die Haftara im Morgengebet von Jom Kippur ist aus Jesaja, Kap. 57 und 58. Der Prophet sagt dort (58, 7): "Dem Hungrigen brich dein Brot; bedrängte Arme bring in dein Haus; siehst du einen Nacken, so kleide ihn ..."
Wir haben ein animalisches Selbst, das hungert und dürstet und die Zähne bleckt, wenn sein Revier bedroht ist; ein emotionales Selbst, das liebt und fürchtet, fröhlich und niedergeschlagen ist.
Mir ist klar, dass das Fasten an Jom Kippur mich veranlassen soll, mich nicht auf den Körper, sondern auf die Seele zu konzentrieren. Aber gegen Mittag bin ich so hungrig, dass ich bis zum Ende des Tages nur noch an Essen denken kann. Ist das nicht kontraproduktiv? Wie kann ich mit knurrendem Magen spiritueller werden?
Im Mikrokosmos erlebt jeder Jude an Jom Kippur diese Verbindung. Dies ist der Kern der Ne'ila, unseres letzten Gebetes an Jom Kippur. Ne'ila bedeutet „eingeschlossen“. Während der Ne'ila ist jeder Jude „eingeschlossen“, allein mit G–tt.
Im Talmud gibt es eine Streitfrage über die Wirksamkeit des Jom Kippur Sünden zu vergeben: Die Gelehrten sagen: „Jom Kippur sühnt nur die Sünden jener, die ihre Wege auch tatsächlich bessern“, und Rabbi meint, „ob sie sich bessern oder nicht, Jom Kippur sühnt die Sünden aller.“ Seine Begründung: „Weil das Wesen dieses heiligen Tages sühnt.“
Zu Jom Kippur – dem Versöhnungstag – lesen wir im Gebet vom Dienst des Kohen Gadol (Oberpriesters) im Heiligen Tempel an diesem ehrfürchtigen Tag. Heute gibt es zwar keinen physischen Tempel mehr und keinen Kohen Gadol, der diesen Dienst verrichten kann, doch der „spirituelle Tempel“ besteht in der Seele jedes Juden.