Frage?
Mir ist klar, dass das Fasten an Jom Kippur mich veranlassen soll, mich nicht auf den Körper, sondern auf die Seele zu konzentrieren. Aber gegen Mittag bin ich so hungrig, dass ich bis zum Ende des Tages nur noch an Essen denken kann. Ist das nicht kontraproduktiv? Wie kann ich mit knurrendem Magen spiritueller werden?
Antwort!
Fasten ist kein Vergnügen. Wenn der halbe Vormittag an Jom Kippur vorbei ist, denken wir an die Mahlzeit vor Fastenbeginn zurück und bereuen es, den zweiten Hühnerschlegel nicht verspeist zu haben. Im Laufe des Tages schauen wir immer öfter auf die Uhr und warten sehnsüchtig auf das Ende des Fastens. Vielleicht halten wir ein Gebetbuch in der Hand; doch alles was wir vor Augen sehen, sind gefüllte Schüsseln und Teller. Während der Kantor G-tt anfleht, uns Sündern zu vergeben, bitten wir ihn um Essen.
Anstatt den Hunger des Körpers zu ignorieren, können wir ihn sogar dafür nutzen, unserer Seele näher zu kommenIch kenne kein Patentrezept, um das Fasten zu erleichtern. Aber Fasten kann bestimmt eine spirituelle Erfahrung sein. Anstatt den Hunger des Körpers zu ignorieren, können wir ihn sogar dafür nutzen, unserer Seele näher zu kommen. Aber das setzt Kontemplation voraus. Probieren Sie diese Meditation, wenn der knurrende Magen die Jom-Kippur-Gebete übertönt und Sie vor dem geistigen Auge nur noch Essen sehen:
Schaut mich an. Ich bin ein reifer, vernünftiger Mensch, der normalerweise recht gut funktioniert. Aber heute kann ich nicht klar denken, nur weil ich heute morgen meinen Kaffee und meinen Toast verpasst habe. Ich sitze am heiligsten Tag des Jahres in der Synagoge und kann nur an Huhn mit Paprika und Kartoffelbrei denken. Ein leerer Magen hat einen erwachsenen Mann in ein Raubtier verwandelt! Und was noch lächerlicher ist: In wenigen Stunden werden ein paar Bissen Kuchen und eine Tasse Kaffee bewirken, dass ich die ganze Tortur vergesse! Ist ein Teller mit Essen alles, was ich brauche? Bin ich so von meinem täglichen Essen abhängig? Bedeutet es mein Ende, wenn man mir mein Thunfischbrot wegnimmt?
Die Antwort lautet: Wenn Ihr Körper alles ist, dann sind Sie das, was Sie essen, und nicht mehr. Doch in Wahrheit sind Sie mehr als Ihr Körper, viel mehr als die Summe Ihrer Kohlenhydrate und Proteine. Sie sind eine Seele. Der Körper ist nur ein zerbrechliches, bedürftiges und zeitweiliges Haus für die Seele, Ihre wahre Identität.
Wir nehmen den Körper und seine Bedürfnisse sehr ernst. Viele Menschen denken nur an die Wünsche und Begierden des Körpers und vergessen, dass das Leben mehr ist als das leibliche Wohl. Fasten erinnert uns nachdrücklich an die Verwundbarkeit und Abhängigkeit des Körpers. Je hungriger Sie werden, desto klarer wird Ihnen, wie empfindlich und unbeständig Ihr Körper ist. Der Sinn des Lebens kann nicht in einem Frühstück bestehen!
Der Körper ist nur eine äußere Hülle für die Seele, eine dünne Schicht über dem wahren Selbst. Ihre wahre Identität ist jener Teil von Ihnen, der über den Hunger hinausschaut und den Hunger anderer spürt. Er kann Ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellen und sich der Not anderer Menschen zuwenden. Dieser Teil ist Ihre Seele.
Das ganze Jahr über arbeiten wir. Wir kaufen ein, kochen und essen. Wir treiben Sport. Und das alles nur, um unseren Körper zu pflegen. An einem einzigen Tag des Jahres treten wir einen Schritt zurück, weg vom Körper, und wagen uns in die Welt der Seele hinein.
Betrachten Sie den Körper an Jom Kippur mit den Augen der Seele. Beobachten Sie, wie der Körper hungert, bemitleiden Sie ihn wegen seiner Schwäche, und beschließen Sie, dass sie ihn und seine flüchtigen Vergnügungen im kommenden Jahr nicht als einzigen Sinn und Zweck des Lebens betrachten werden. Sorgen Sie für Ihren Körper, damit er Ihnen helfen kann, ein guter Mensch zu sein und die Aufgabe zu erfüllen, die der Grund dafür war, dass Ihre Seele in diese Welt geschickt wurde.
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