Das Konzept des „Glaubens an die Gerechten“ (Emunat Tzaddikim) ist in der jüdischen Psyche tief verankert. Juden, die in Schwierigkeiten sind oder einen Segen für irgendeinen Aspekt ihres Lebens benötigen, gehen oft zu einem Tzaddik (Gerechten) und bitten ihn um Rat und Segen. Man kann jedoch fragen, warum es nötig ist, sich an einen Gerechten zu wenden, obwohl man sich mit seinen Bitten an G-tt wenden kann. Rabbiner Schneur Zalman verdeutlicht diesen Punkt in seinem Werk Tanja mit der folgenden Erklärung: Die G-ttliche Seele eines Juden (Nefesch Elokit) ist ein „Teil von G-tt dort oben“, ein Funken des G-ttlichen Wesens. Obwohl aber alle Seelen im Wesen G-ttes verwurzelt und unabhängig sind, besitzen diese Seelen durch ihren Abstieg in die verschiedenen Körper, viele Ebenen und Abstufungen. Wir können uns das nationale Seelenreservoir als einen menschlichen Körper vorstellen. Einige Seelen stellen den Kopf und einige Seelen stellen die Füße des Körpers dar.
Ein Zitat aus Kapitel 2 des Werkes Tanja, worin sich Rabbiner Schneur Zalman von Liadi mit dem Ursprung und Zweck der heiligen Seelen beschäftigt, soll dies verdeutlichen:
Dies ist auch so in bezug auf jede Nefesch (‚Seele der Lebenskraft’, niedrigste der fünf allgemeinen Seelen), Ruach (‚Geist’, vierthöchste der allgemeinen Seelen) und Neschama (‚Lebenshauch’, dritthöchste der allgemeinen Seelen) in der israelischen Himmelsgemeinde. Durch die Hischtalschlut (stufenweise Wanderung der Seele) durch die Welten des Atzilut, Beria, Yetzira und Asiya durch G-ttes Weisheit, wie es geschrieben steht: „Du hast sie alle mit Chochma (Weisheit) erschaffen“, werden die Nefesch, Ruach und Neschama (unterste drei der fünf allgemeinen Seelen) der Unwissenden und am wenigsten Würdigen erschaffen. Trotzdem bleiben sie durch eine wunderbare und starke Vereinigung mit ihrem ursprünglichen Wesen verbunden, nämlich einer Ausdehnung der Himmlischen Weisheit. Dies ist so, da die Nefesch, Ruach und Neschama der Unwissenden von der Nefesch, Ruach und Neschama der Tzaddikim (Gerechten) und Weisen, der Führer Israels in ihrer Generation, aufrechterhalten werden. Dies erklärt den Kommentar der Weisen in bezug auf den Vers „Und sich an Ihm festzuhalten“. Die Weisen kommentieren, dass „derjenige, der sich an einem Tora-Gelehrten festhält, wird in der Tora so eingestuft, als ob er sich mit der Schechina (G-ttlichen Gegenwart) verbunden hätte“. Dies ist so, da die Nefesch, Ruach und Neschama der Unwissenden durch die Verbindung mit den Gelehrten mit ihrem ursprünglichen Wesen und Wurzel in der Himmlischen Weisheit verbunden werden. |
Um es einfach auszudrücken ist ein Rebbe oder Tzaddik nicht nur ein Mensch, der gelehrter und frommer als jene, die seinen Ratschlag erbitten, - sondern ihre Seelen sind der Kopf des jüdischen Körpers. Diejenigen, die eine Hitkaschrut (Verbindung) mit dem Tzaddik suchen, sind Menschen, die ihn als Quelle spiritueller Stimulation und Pflege ansehen. Sie sehen sich selbst als Ausführungsorgane an. Der Tzaddik ist mit ihnen wie ein Kopf mit dem Körper verbunden. Wenn Juden zu ihrem Rebbe kommen, um einen Segen zu erbitten, dann fühlen sie, dass sie und der Rebbe zu demselben Körper gehören und - trotz ihrer offensichtlich verschiedenen spirituellen Station - dieselben Endziele verfolgen. Der Tzaddik oder Rebbe ist kein Mittelsmann, der nur mitteilt, sondern einer, der verbindet.
IN JEDER GENERATION
Im Talmud steht geschrieben, dass es in jeder Generation 36 außerordentliche Tzaddikim gibt. Unter den 36 Tzaddikim gibt es einen Tzaddik HaDor, den Gerechtesten der Gerechten oder Nassi (Leiter) der Generation. „Der Tzaddik ist das Fundament der Welt“ (Die Sprüche des Salomos 10:25). Dies bedeutet, dass die ganze Welt auf dem Verdienst des Tzaddik HaDor ruht. Moses war zum Beispiel ein Tzaddik HaDor. Unsere Weisen beschreiben Moses als „Raya Mehemna“ (Der treue Hirte). Dies ist der Name eines Abschnittes im Sohar. Es gibt zwei Interpretationen dieses Ausdrucks: a) Ein Führer, der sich den Bedürfnissen seiner Herde widmet, und b) einer, der den Glauben des jüdischen Volkes pflegt. Die erste Interpretation beschreibt Moses als einen mitfühlenden und dynamischen Führer, der sich außerordentlich viel Mühe gibt, sein Volk zu schützen und zu lenken, und der sicherstellt, dass er kein verlorenes Schaf übersieht. Die zweite Interpretation signalisiert, dass die Aufgabe eines Führers darin besteht, sein Volk zu inspirieren, sie mit Glauben zu versorgen und sie dauernd mit G-tt zu verbinden. Der Talmud beschreibt Juden als ‚Maaminim Bnei Maaminim’ (Gläubige und Nachkommen von Gläubigen), da sie Glauben von ihren Vorfahren geerbt haben. Wir sind uns jedoch nicht immer unseres Glaubens bewusst. Die Aufgabe Moses’ ist es, jedem Juden zu helfen, sich seines oder ihres Glaubens bewusst zu werden und ihn zu verinnerlichen.
Der Sohar fügt an, dass diese Aufgabe nicht nur auf Moses zutrifft, der das Volk aus Ägypten herausführte, sondern auch auf „die Verlängerung des Moses in allen Generationen“, d.h. auf die Führer des jüdischen Volkes.
DIE QUELLE UNSERES GLAUBENS
Um zu verstehen, wie Moses den Glauben stärkte, müssen wir erst die Quelle des dem Juden innewohnenden Glaubens untersuchen. In Chassidut wird erklärt, dass, da die Seele vielzählige Ebenen besitzt, die höheren Ebenen der Seele G-ttlichkeit wahrnehmen.
Wir haben bereits erklärt, dass die Nefesch-Seelenebene sich in der Assiya-Welt befindet, die Ruach-Ebene in der Yetzira-Welt, die Neschama-Ebene in der Beria-Welt ist, Chaya in Atzilut und Yechida im Ein Sof selbst verwurzelt ist. Die Ebenen von Nefesch, Ruach und Neschama werden im Körper gefühlt, d.h. Nefesch im Blut, Ruach im Herzen und Neschama im Gehirn. Die Ebenen Chaya und Yechida sind periphere Seelenkräfte, die nicht im Körper eingeschlossen sind. Da die niedrigeren Seelenebenen mit den höheren in Kontakt stehen, bekommt die Seele im Körper ihren Glauben von den höheren Ebenen, die G-ttlichkeit wahrnehmen.
Im Talmud wird dieses Phänomen mit dem Zitat „sein Masal nimmt es wahr“ beschrieben. In diesem Zusammenhang bedeutet Masal „die Wurzel des Einflusses“. Dabei wird sich auf die Seele, die in den höheren Sphären existiert, bezogen. Da die höheren Ebenen der Seele G-ttlichkeit sehen und erleben, hat dies Auswirkungen auf die Seele, die im Körper wohnt.
Eine zweite Erklärung, die in Chassidut aufgeführt wird, besagt, dass der Glaube im Wesen der Seele verwurzelt ist, d.h. auf einer Ebene, die über „sein Masal nimmt wahr“ angesiedelt ist. Das Wesen der Seele ist mit G-ttlichkeit durch eine lebenswichtige Verbindung verknüpft, eine Verbindung, die nicht von äußeren Faktoren abhängig ist. Diese Verbindung besteht außerhalb der gedanklichen Wahrnehmung. Das bedeutet, dass sogar dann, wenn ein Jude sich seiner oder ihrer jüdischen Identität nicht bewusst ist, trotzdem eine (tief im Unbewussten verborgene) Verbindung zu seinem oder ihrem Schöpfer hat.
Es besteht ein Unterschied zwischen diesen beiden Ursachen des Glaubens: Im ersten Fall, wo die Seele ihren Glauben durch die Wahrnehmung höherer Ebenen, die G-ttlichkeit wahrnehmen, bekommt, wird der Glaube nicht verinnerlicht und bleibt ein transzendendierendes Licht. Das ist so, da die geistige Seele zu erhaben ist, um im Körper eingekleidet zu sein, und somit nur einen peripheren Effekt hat. Im Gegensatz dazu wird der Glaube, der von der wesenhaften Verbindung mit G-tt herrührt, sogar im Körper offenbart, da das Wesen nicht durch die Verschleierung des Körpers eingeschränkt ist.
Die Funktion des ‚treuen Hirten’ ist es, unseren Glauben über den Einfluss der höheren Seelenebenen zu heben (dessen Effekt nur peripher ist), und uns zu helfen, unseren Glauben dem Wesen der Seele gemäß (dessen Effekt innerlich ist) zu leben. Diese Glaubensstärkung durch den „treuen Hirten“ wird dadurch vollbracht, dass er dem jüdischen Volk das Wissen G-ttes mitteilt und gleichzeitig verlangt, dass Juden mit Selbstaufopferung Tora und Mitzwot (Gebote) halten.
Wir können nur klar und deutlich die Funktion des Rebben definieren. Der Rebbe ist zunächst ein Lehrer, ein Raw, der mit seinem breit gefächerten Wissen die Menschen inspiriert. Er bezieht sich auf den peripheren Glauben und verinnerlicht ihn im Intellekt. Das wiederum inspiriert unsere Herzen und motiviert uns, danach zu handeln. Außerdem nimmt der Rebbe die Rolle eines Königs an, der Selbstaufopferung von seinen Untertanen verlangt, und dadurch ihre wesenseigne Verbindung mit G-tt offenbart. Der Rebbe schaut in die Seele seines Studenten und berührt sein Wesen. Er bringt dieses Wesen, das alle Ebenen der Gedanken, Worte und Werke durchdringt, ans Tageslicht.
Ein berühmter Chassid hat einmal die Funktion des Rebben als Yechida (Leiter) bezeichnet. Es ist die Aufgabe des Rebben, das Wesen jedes Juden zu enthüllen, und es seiner Yechida (höchste Seelenstufe) zu ermöglichen, zur Oberfläche zu gelangen und in seinen tagtäglichen Aktivitäten integriert zu werden. Rabbiner Schneur Zalman schreibt in seinem Werk Tanja, dass jeder Jude in seiner Seele einen Funken von Moses besitzt. Moses hat eine „Gesamtseele“, die alle Seelen seiner Generation umfasst. Die Yechida-Ebene jedes Juden (der Funken des Moses in jedem Juden) verbindet sich mit der nationalen Yechida-Ebene, wie sie im Rebben enthalten ist. Der Rebbe kann somit jede Seele auf der Yechida-Ebene berühren.
Wenn ein Chassid zu seinem Rebbe geht, dann geht er nicht nur zu ihm, um Tora zu lernen, sondern um inspiriert zu werden, zu Awodat HaSchem (G-tt besser zu dienen).
Letztendlich will er sich mit der Yechida-Ebene des Rebbe verbinden und diese Ebene tagtäglich verinnerlichen. Nach einem Treffen mit dem Rebbe sollte man das Gefühl haben, einen wahren Diener G-ttes getroffen zu haben, d.h. einen Menschen, der G-ttes Willen und Verlangen gegenüber dieser Welt widerspiegelt. Der Rebbe spiegelt wieder, was der Allmächtige vom Menschen auf dieser Welt erwartet. Wenn man den Rebbe trifft, dann sollte einen dies dazu anregen, ein Leben zu führen, in dem sein Glaube verinnerlicht ist und sich im Tora-Studium sowie in der Ausführung von Mitzwot ausdrückt.
Eine Studentengruppe fragte den Rebbe einmal, was die Funktion eines Rebben sei. Der Lubawitscher Rebbe erklärte, dass ein Rebbe wie ein Schalter ist, der das Kraftwerk mit der Glühbirne verbindet. Um dies zu tun, muss sich der Rebbe selbst auf dem Yechida-Niveau befinden. Tatsächlich stellt der Tzaddik HaDor die Yechida-Ebene dieser Generation dar. Er hat Schlüsselgewalt über die Realisation der Yechida (höchsten Seelenebene) dieser Generation. Er kann die Seelen der Juden dieser Welt ansprechen, unabhängig davon, wo sie sich geistig oder geographisch gesehen befinden. Er kann ihre latenten Seelenkräfte beleben.
Der Baal Schem Tow beschrieb den Tzaddik in jeder Generation als einen Baal Teschuwa. Wörtlich übersetzt bedeutet dies, dass der Tzaddik der Baal (Besitzer) der Teschuwa ist, da er die Herzen der Menschen öffnen kann, was dazu führt, dass sie Teschuwa tun (zu G-tt zurückkehren).
Im Talmud gibt es viele Wundergeschichten über Tzaddikim. Diese Geschichten bezeugen G-ttes Einfluss auf die Natur, und zeigen, dass Er der Herr von allem ist. G-tt hat den Tzaddikim besondere Kräfte gegeben. G-tt ermöglicht es denjenigen, die ganz gerecht sind und sich ihm ganz unterwerfen, die Gesetze der Natur zu überschreiten. Dies hebt den Schleier, der G-ttes Gegenwart in dieser profanen Welt verbirgt.
Wenn ein Tzaddik oder Rebbe ein Wunder vollbringt wie zum Beispiel, einem kinderlosen Paar einen Kindersegen zu geben oder Kranke zu heilen, dann erhalten wir einen Einblick in das G-ttliche. Wir werden über die Rahmenbedingungen des begrenzten Universums und seiner natürlichen Ordnung geschleudert, und werden in die transzendierende und unendliche G-ttliche Weltordnung transportiert.
Es gibt eine faszinierende Midrasch, die besagt, dass G-tt zuerst dachte, dass er die Welt mit Gewura (Strenge) erschaffen sollte. Er sah jedoch, dass die Welt nicht mit Gewura allein bestehen konnte, und verband mit ihr Chessed (Liebenswürdigkeit). In Tanja wird die mystische Bedeutung dieser Midrasch erläutert. Gewura verbirgt das Or Ein Sof (Licht des Unendlichen) in dieser Welt, sodass G-tt entfernt erscheint. Dieses Element G-ttlicher Distanz wird durch Chessed gemildert, nämlich durch die Offenbarung und Manifestation der G-ttlichkeit durch die Tzaddikim und die Zeichen und Wunder, wie sie in der Tora beschrieben sind. Die Tzaddikim heben den Schleier und erlauben uns, G-ttlichkeit zu erkennen.
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