Frage?
Sagen orthodoxe Juden immer noch allmorgendlich den Segensspruch dafür, dass G'tt sie nicht als Frau erschaffen hat?
Antwort!
Zusammen mit Ihnen sehne ich mich nach der Zeit, auf die wir alle warten, wenn dieser Segensspruch nicht mehr gesagt wird. Eine Eschet Chajil ist die Krone ihres Ehemannes, schrieb König Salomon und die chassidischen Meister gaben ihre Interpretation: Es wird eine Zeit sein, wenn das Weibliche in dieser Welt über das Männliche steigen wird, wie eine Krone auf den Kopf gesetzt wird.
Die größten Zaddikim hatten Frauen, welche größer waren als sie selbst, und Töchter, die größer waren als die Söhne. So war es mit Awraham, Jizchak und Jaakow. So war es mit Rabbi Akiwa und Rabbi Me'ir. So war es mit vielen großen chassidischen Meistern.
Dies ist, weil diese rechtschaffenen Personen in ihren Leben einen Vorgeschmack der kommenden Welt erhielten. Was immer die Emanzipation der Frauen auf einer Seite erreicht hat, ging auf der anderen Seite verloren. Derzeit gibt es ungefähr vier Millionen Frauen in der Welt, die wie Sklaven gehalten werden –eine erhebliche Anzahl wurde erst letztes Jahr in die USA “verkauft.” Einer der größten Bereiche der amerikanischen Gesellschaft lebt an der Grenze oder unterhalb der Armutsgrenze, oftmals alleinstehende Mütter und ihre Familien. Werktätige Mütter verrichten mehr Arbeit als ihre werktätigen Männer und dies liegt nicht allein daran, dass sie zusätzliche Aufgaben im privaten Bereich erfüllen. Wann war das letzte Mal, als ein Mann in der Nacht nach Begleitung gefragt hat? So könnte diese Aufzählung beliebig fortgesetzt werden.
Dieses Wahrnehmung erstreckt sich auch auf unser Verständnis der männlichen und weiblichen Rollen in der Erfüllung der Mizwot: Die männliche Rolle zeigt sich in Aktion und öffentlichem Handeln, wohingegen die weibliche Rolle in Tora und Mizwot eine innerliche und durchdringende ist. So geschieht es, dass die sehr greifbare und sichtbare männliche Rolle mehr geschätzt wird und im Bewusstsein verhaftet bleibt.
Warum folgt unsere Welt diesem Weg? Dies ist keine weitere Ungerechtigkeit. Es ist ein Stufe in der menschlichen Entwicklung, eine Reflektion des Status des generellen menschlichen Bewusstsein: Wir – also Mann und Frau – kommen mit der Wahrnehmung der männlichen Rolle, als der überlegenen, und der weiblichen Rolle, als der geringer wertigen, nicht zurecht. Unser Verhalten reflektiert nur unsere Wahrnehmung.
Was ist nun die männliche und was die weibliche Rolle? Wie bei jedem Konzept, so ist es auch in diesem Fall das Beste, wenn wir die Wurzeln betrachten und diese näher untersuchen.
G-tt ist weder Mann noch Frau. Für die Erschaffug der Welt wurden zwei gegensätzliche Kräfte erdacht, erschaffen und “ins Spiel gebracht”. Die Tora gab ihnen viele Namen: In Bereschit, “Himmel” und “Erde.” Im Talmud “Der Heil'ge, gelobt sei Er” und die “Schechina”. Im Sohar “Der König” und “Die Königin.” In der Sprache von Chabad heisst dies, “transzendent” und “immanent.” Oder: die Kraft ohne Begrenzung zu erschaffen und die Kraft jene schöpferische Kraft auf die Grenzen unserer realen Welt zu beschränken.
Und so haben wir zwei Modalitäten für G-tt, den zwei Geschlechtern: wie der Schöpfer, der jenseits steht und die Welt leitet, ist G-tt Er. Wie die Schechina, die sich in allen Dingen und Wesen befindet, ist G-tt Sie. Zwei Manifestationen eines einzigen Wesens. Wie die Kraft zu denken und die Kraft unsere Gedanken auszudrücken, so sind beide gleiche Ausdrucksformen deines Geistes.
Als die Welt erschaffen wurde, wurde ein Ziel gesetzt: das sie in einer Dualität beginnen wird, wo G-tt und von seiner Welt klar getrennt erscheint – und dann schließlich eine höhere Vereinigung mit ihr erreicht. Allmählich würde die wahre Natur der Schöpfung klar und die G-ttlichkeit in ihr offenbart werden. Himmel und Erde, der König und die Königin, das transzendente Licht und das Immanente, würden vereinigt.
Alle Dinge beginnen in der Tora, seitdem beinhaltet die Tora die innere Seele der Schöpfung, und Tora ist der Dynamo für den Übergang in die Welt. Auch in der Tora gibt es eine männliche und eine weibliche Stimme: die geschriebene Tora und die mündliche Tora. Die geschriebene Tora spricht die Stimme der Transzendenz und der Autorität – eine Stimme, die nicht bestritten wird und sich nicht ändert. Kein einziger Buchstabe kann hinzugefügt oder gelöscht werden. Die mündliche Tradition ist das ganze Gegenteil: sie ist beständiger Dialog und Wachstum, die Anpassung von Gedanken an die entsprechenden Situationen, welche zum jeweiligen Zeitpunkt bestanden.
Die schriftliche Tora und die mündliche Tora sind beides Tora. Beides G-ttes Stimme. Eine Stimme, die uns von oberhalb erreicht. Eine Sprache durch uns. Beide arbeiten zusammen um das Judentum zu schaffen, wie wir es kennen – einem Judentum, welches sich an jede Situation anpasst, und dies ohne seine Grundlagen zu ändern, sich erneuert mit frischen Energien, während es an Bewährtem und Ewigem festhält – so entsteht ein Ausgleich zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen, dem Zeitlichen und dem Zeitlosen. Nur der zweite Aspekt der Tora, der weibliche, der von Zeit zu Zeit, immer stärker werdend erscheint, bis er schliesslich mit der Tora, die Moschiach lehren wird, die Dominanz erreicht. Wie der Midrasch sagt, “Die Tora, die wir nun lernen ist Hevel (“heiße Luft”) verglichen mit der Tora des Moschiach.”
Jeder Aspekt der Schöpfung reflektiert diese Dualität – in jedem Ding gibt es sowohl das Weibliche, wie auch das Männliche. Einschließlich der Menschheit. Nur, dass in dieser Welt, einer Welt in der alle Dinge ineinander integriert sind, sich miteinander vermengen und teilen und sich gegenseitig ausgleichen, gibt es nichts Absolutes. In allem, was männlich ist, ist wenigstens ein kleines bisschen Weibliches. In allem was weiblich ist, befindet sich etwas Männliches. Wenn es die Menschen betrifft, sehen wir 90 % genau in dieser Form – zwei Arme, zwei Beine, der größte Teil unseres Geistes und Herzens, manchmal mehr und manchmal weniger. Die Tatsache, dass das erste menschliche Wesen ursprünglich als Einheit geschaffen und erst später getrennt wurde. Die Differenz ist etwas bemerkenswertes, etwas G-ttliches.
Wie es sich mit dem generellen Schema des Kosmos verhält, so verhält es sich auch bei Mann und Frau und dem menschlichen Bewusstsein. Die Geschichte der Menschheit kann in diesem Sinn gesehen werden: ein Übergang von männlichen zu weiblichen Werten, von Autorität zum Dialog, von Dominanz zu Überzeugung, von Kontrolle zu Erziehung.
Aber wir befinden uns noch nicht dort und der beste Beweis dafür ist, dass wir noch nicht die Kraft haben, entsprechend der Halacha, diesen Segen zu ändern. Er wurde vom früheren jüdischen Parlament (dem Sanhedrin) als Weg angenommen, in dem der Mann seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen konnte, die aktivere, präsentere Rolle in der Erfüllung der Mizwot ausüben zu können – eine Rolle, welche, an diesem Punkt der spirituellen Geschichte der Schöpfung, auch von Frauen größer als die innigere weibliche Rolle angesehen wurde. Entsprechend dem Gesetz der Tora, dass Segenssprüche nur unter einem anderen, kommenden Sanhedrin geändert werden können, das größer an Weisheit und an Zahl ist (siehe hierzu Maimonides, Buch der Richter, Gesetzlichkeiten von Mumrim, Kapitel 1). Wenn es die Zeit wäre es zu ändern, so hätten wir die Kraft dazu. Meine persönliche Vermutung ist, dass, wenn die Welt sich genügend geändert hat um die Berechtigung dafür zu erhalten, ein Sanhedrin entstehen wird, welches diesen Segensspruch ändern kann. Die Zeichen dieser Zeit zeigen, dass wir auf unserem Weg sind. Frauen studieren heute die Tora wie niemals zuvor und die Werte von Kraft und Kontrolle schwinden gegenüber den weiblichen Qualitäten des Mitleids und der Erziehung. Mag der ultimative Schritt, für den die Juden immer gebetet haben, bald sein.
Für weitergehende Betrachtungen des Weiblichen in der Tora: Likute Sichot, Band 30, Seiten 9-15, des Lubawitscher Rebbe, sowie den dort angegebenen Quellen.
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