Die feministische Bewegung hat ihre Aufmerksamkeit auch der jüdischen Tradition zugewandt und sich dabei besonders auf unterschiedliche Rollen konzentriert, die Frauen und Männer im jüdischen Leben spielen. Die vorgebrachte Kritik hinterläßt den Eindruck, als gäbe es eine männliche Überlegenheit - begründet in der Einstellung, daß immer das, was Männer tun, besser oder erstrebenswerter sei als das, was Frauen tun. Wenn Männer eine Kippa und einen Tallit tragen, wird das Recht der Frauen auf Kippa und Tallit gefordert. Wenn Männer in der Synagoge vorbeten, so sollten es auch Frauen.

Traditionelles Judentum hat Frauen und Männer immer als gleichwertig gesehen, jede/r mit einer eigenen Rolle im jüdischen Leben. Ihre Gleichwertigkeit verlangt jedoch, daß die einzigartigen Eigenschaften von Frauen und Männern respektiert werden und in der religiösen Praxis zum Ausdruck kommen.

Im Judentum liegt der Fokus auf der Entwicklung einer andauernden Beziehung zwischen G-tt und dem jüdischen Individuum, die in der Art, wie wir denken, sprechen und handeln, zum Ausdruck kommen soll, unabhängig davon, worin wir gerade involviert sind - sei es die niedrigste weltliche Aktivität oder höchste spirituelle Erfahrung. Alles, was wir tun, soll Teil dieser besonderen Beziehung sein. Denn Judentum ist keine Religion von Ritualen, sondern die Art, wie wir leben.

So ist es nur natürlich, daß die religiösen Rituale und Verpflichtungen die physische Differenz zwischen Männern und Frauen reflektieren. Während der Mann Tefillin legt, geht die Frau in die Mikwe. Beide Mizwot schaffen ein erhöhtes Bewußtsein für G-ttlichkeit. Die Tefillin enthalten Schriftverse über die Wunder, als G-tt in Ägypten die bestehenden Naturgesetze änderte, um die Ägypter zu bestrafen und dem jüdischen Volk zur Befreiung zu verhelfen. Die Mikwe repräsentiert das Wasser, das G-tt am Beginn der Schöpfung verwendete - jenes Wasser, durch das G-tt alles Leben nährt. Die Frau bringt neues Leben in die Welt und sie verwendet die Mikwe. Sie taucht ihren ganzen Körper in den Wassern der Schöpfung unter, sie stellt eine Verbindung zu G-tt her, mittels der Elemente, die symbolisch für die Schöpfung sind. Der Mann hingegen beschäftigt sich nur mit der Entwicklung von bereits Existierendem und kommuniziert mit G-tt durch die Tefillin, die G-ttes Wunder mittels bereits bestehenden Materials reflektieren. Beide - Mann und Frau - kommunizieren mit G-tt, aber auf jeweils seine oder ihre Art, im Einklang mit ihrem physischen Wesen und ihren seelischen Stärken und Bedürfnissen.

Doch unsere Gelehrten gehen noch einen Schritt weiter und lehren uns, daß sowohl Mann als auch Frau unvollständig sind, jeweils nur die Hälfte der ultimativen menschlichen Persönlichkeit, wobei jeder Teil eine unterschiedliche Funktion hat. Erst wenn sich beide durch Heirat vereinigen, ist der Jude/die Jüdin ganz, indem dann gemeinsam sowohl die femininen als auch die maskulinen Aspekte des Judentums erfüllt werden können. Die einzigen Mizwot, die das Judentum für den Mann reserviert, Tefillin und Zizit, kann die Frau nur durch ihren Mann erfüllen, genauso wie der Mann die Mizwot von Mikwe und Challa durch seine Frau erfüllt. Daher hat G-tt auch Adam und Eva zunächst als eine Person geschaffen - unsere Weisen beschreiben ein sich selbst genügendes androgynes Wesen, männlich und weiblich. Dann teilte G-tt sie in zwei getrennte Wesen, um zu zeigen, daß der natürliche Zustand von Mann und Frau die Ehe ist, bei der beide Elemente eine Einheit bilden.

Wenn man das Judentum auf die Synagoge reduziert, kann man hinterfragen, was denn die Rolle der Frau in diesem spezifischen Rahmen sei. Doch wenn man das gesamte Judentum in seiner täglichen Praxis betrachtet und akzeptiert, weiß man die Rolle, welche die Frau im jüdischen Leben spielt, als nicht weniger signifikant als die des Mannes zu schätzen.

Die feministische Herausforderung der traditionellen Rolle der Frau im Judentum basiert auf dem säkularen nichtjüdischen Wertesystem, wo hauptsächlich ist, wie sichtbar wir sind, wieviel Geld oder Besitz wir haben, wieviel Macht wir ausüben können und wie viele Hochschulabschlüsse wir besitzen. Daher wird verlangt, daß auch im Judentum Frauen Positionen von Sichtbarkeit und Macht einnehmen sollten, wie Tefillin legen oder das Leiten des Gebets in der Synagoge.

Betrachten wir aber das traditionelle jüdische Wertesystem, das Demut und Bescheidenheit hochhält, die Bändigung von Ego und Begierden, das Entwickeln eines höheren spirituellen Bewußtseins und die Erfüllung des Willens G-ttes in den Vordergrund stellt - dann ist es selbstverständlich, daß der Wert eines Rituals darin liegt, daß es ein Gebot G-ttes ist. Er liegt in der Beziehung zu G-tt und im Demut erzeugenden Effekt, den es auf uns hat. Es ist dann auch verständlich, daß die Bedeutung von Mann und Frau nicht auf deren Sichtbarkeit beruhen kann oder auf einer Position in der jüdischen Hierarchie, die damit einhergeht. Unser Selbstverständnis als jüdische Frauen oder Männer ist, daß unsere Rolle im Judentum von G-tt gegeben wurde, ungeachtet verschiedener Rollen, die wir in der Gesellschaft haben mögen.