Die Schüler von Rabbi Dow Ber, dem Maggid von Mesritsch, warteten darauf, dass der Rebbe die Synagoge betrat, um am ersten Abend von Chanukka die Menora anzuzünden. In den letzten Jahren hatte Reb Susche, einer der größten Schüler des Maggid, die Ehre gehabt, die Schamasch-Kerze zu entzünden. Reb Susche reichte sie dann an den Maggid weiter, der damit die Menora anzündete. Aber Reb Susche war nirgends zu sehen, und die Chassidim fragten sich, ob seine Abwesenheit der Grund dafür war, dass der Rebbe die Menora noch nicht angezündet hatte.
Minuten und Stunden vergingen, und immer noch warteten die Chassidim auf ihren Rebbe. Schließlich, gegen Mitternacht, kam er aus seinem Zimmer und ging zur Menora. Dabei sagte er leise und wie zu sich selbst: „Reb Susche ist heute nicht bei uns. Wir werden die Menora jetzt anzünden.“
Der Maggid überließ einem anderen Chassiden die Ehre, die Schamasch-Kerze anzuzünden. Die Gebete wurden gesprochen, und der einzelne Docht wurde angezündet. Dann sang die ganze heilige Versammlung die traditionellen Chanukka-Hymnen.
Am nächsten Morgen, als der Maggid und seine Chassidim eben mit dem G-ttesdienst fertig waren, kam Reb Susche herein. Müde von der Reise, schlurfte er an seinen gewohnten Platz und lies sich auf die Bank sinken. Seine Freunde gingen zu ihm und hießen ihn herzlich willkommen. Einer von ihnen berichtete: „Der Rebbe hat gestern Abend lange auf dich gewartet. Was ist passiert?“
„Wenn wir heute Abend die Chanukka-Menora angezündet haben und der Rebbe es erlaubt, werde ich euch alles erzählen“, versprach Reb Susche. Am zweiten Abend versammelten sich alle Chassidim um die Menora des Maggid. Nachdem der Maggid die Menora angezündet hatte, lauschten sie neugierig dem Bericht von Reb Susche:
Wie ihr wisst, pflege ich sofort nach den Hohen Feiertagen durch die kleinen Dörfer und Weiler bei Mesritsch zu reisen. Ich gehe von Ort zu Ort, spreche mit den Erwachsenen und belehre die Kinder über unser wundersames Erbe. Ich erkläre ihnen auch, dass G-tt jeden einzelnen Juden liebt und dass sie alle ihm wichtig sind. Ich erzähle ihnen von unserem Rebbe und erläutere ihnen einiges, was er lehrt.
Jedes Jahr stelle ich meinen Reiseplan so zusammen, dass ich rechtzeitig zu Chanukka wieder in Mesritsch bin. Gestern war ich schon auf dem Rückweg, als ein schrecklicher Schneesturm aufkam. Ich kämpfte mich durch den Sturm, aber viele Male kam ich fast nicht mehr weiter. Nur die Gewissheit, dass ich bald beim Rebbe sein würde, ließ mich durchhalten. Der Sturm wurde schlimmer, und bald wurde mir klar, dass ich mich eine Weile ausruhen musste; sonst würde ich es nicht bis Mesritsch schaffen. Also klopfte ich bei Jankel an die Tür, der ja in einem Dorf ganz in er Nähe wohnt. Ich musste lange klopfen, bis endlich jemand rief: „Wer ist da?“
„Ich bin’s, Reb Susche“, sagte ich laut.
Jankels Frau öffnete dir Tür. Ich sah, dass sie und ihre Kinder große Angst hatten. „Jankel ist heute früh in den Wald gegangen, um Brennholz zu sammeln“, berichtete die arme Frau. „Er wollte bald zurück sein, weil wir mit einem schlimmen Sturm rechneten. Jetzt ist es schon spät, und er ist immer noch nicht da!“
Eine Sekunde lang zögerte ich. Wenn ich jetzt in den Wald ginge — wer weiß, ob ich ihn lebend verlassen würde? Aber ich wusste, dass ich keine Wahl hatte. Ich zog Mantel und Schal wieder an und machte mich auf den Weg in den Wald. Nach wenigen Baumreihen sah ich vor mit einen Mann stehen, mit Schnee bedeckt. Nur sein Gesicht war im trüben Licht erkennbar. Ich sah sofort, dass es Jankel war, und dachte, er sei erfroren. Doch als ich mich ihm näherte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, dass er noch atmete. Ich befreite ihn vom Schnee und versuchte, ihn aufzuwärmen.
Irgendwie gelang es mir, ihn nach Hause zu tragen und zu ziehen. Seine Frau und die Kinder begrüßten uns mit großer Freude. Mit letzter Kraft setzte ich Jankel auf die Ofenbank und fiel zu Boden. Wie durch ein Wunder gelang es Jankels Frau, ihn „aufzutauen“. Sie brachte uns eine Flasche starken Wodka, den wir gierig tranken, um innerlich warm zu werden. Gegen Mitternacht fühlten wir uns stark genug, um aufzustehen und die Chanukka-Menora anzuzünden. Als wir das Gebet „Wer bewirkte Wunder für unsere Ahnen in jenen Tagen?“ sprachen, wussten wir ohne jeden Zweifel, dass G-tt auch für uns ein Wunder bewirkt hatte. Kaum war die Sonne am nächsten Morgen aufgegangen, brach ich nach Mesritsch auf.
Der Maggid sah Reb Susche lange an. „Du sollst wissen, Susche, dass man auch im Himmel darauf gewartet hat, dass du mit Jankel die Menora anzündest. Der Himmel wartete auf dich, weil du eine jüdische Seele gerettet hast.“
ב"ה
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