Es war der erste Abend von Chanukka. Rabbi Baruch von Medschibosch, der Sohn des Baal Schem Tow, stand mit einer Gruppe seiner Chassidim zusammen. Er sprach sehr konzentriert den Segen und zündete die erste Kerze an.

Die Kerze brannte stetig, als Rabbi Baruch und seine Chassidim sich im Kreis vor die Menora setzten und Chanukka-Lieder sangen. Plötzlich begann die Flamme zu zittern. Sie schien unschlüssig herumzutanzen; dann verschwand sie.

Die Kerze erlosch nicht, und man sah keinen Rauch. Es war, als wäre die Flamme weggeflogen. Ein Chassid stand auf, um die Kerze noch einmal anzuzünden. Aber der Rebbe hielt ihn auf.

„Die Chanukka-Flamme wird zu uns zurückkehren“, sagte er zu seinen überraschten Chassidim. „Sie erfüllt einen wichtigen Auftrag“, fügte er leise und mysteriös hinzu. Rabbi Baruch wies seine Chassidim an, weiter zu singen und über die Tora zu diskutieren.

Kurz vor Mitternacht wurden sie von einem Schrei aufgeschreckt. Der Chassid, welcher der Menora am nächsten war, rief: „Rebbe, die Flamme ist wieder da!“ Dann hörten alle das Geräusch eines Wagens.

Ein Chassid mit zerrissenen Kleidern und zerzaustem Haar trat ein. Offensichtlich hatte er Schmerzen beim Gehen. Dennoch strahlten seine Augen vor Glück.

„Vor ein paar Tagen verließ ich mein Haus, um zu unserem heiligen Rebbe zu fahren und Chanukka zu feiern“, berichtete er. „Dies ist nicht das erst Mal, dass ich den Rebbe besuche, und ich kenne den Weg gut. Doch diesmal kam ich nur langsam vorwärts. Ich fürchtete, mich zu verspäten, und beschloss, Tag und Nacht zu reisen. Das war töricht. Vorige Nacht überfiel mich eine Räuberbande. Sie freuten sich sehr, denn weil ich nachts reiste, dachten sie, ich müsse ein reicher Händler mit unaufschiebbaren Terminen sein. Sie verlangten mein ganzes Geld. Als ich ihnen erklärte, dass ich nur wenige Münzen bei mir hatte, glaubten sie mir nicht. Sie verhörten und verprügelten mich, damit ich ihnen verriet, wo ich den Rest meines Geldes versteckt hatte. Aber ich hatte wirklich kein Geld. Stunden später warfen sie mich in einen dunklen Keller. Als ihr Anführer zu mir kam, versuchte ich ihm zu erklären, welche Freude und wie wichtig es sei, Chanukka mit dem Rebbe zu feiern. Vielleicht berührten meine Worte sein Herz, oder er sah, dass alle Prügel erfolglos waren. Allmählich glaubte er mir.“

„Wie ich sehe, glaubst du an G-tt“, sagte er, „und sehnst dich nach deinem Rebbe. Geh deines Weges. Aber vergiss nicht, dass der Weg durch den Wald sehr gefährlich ist. Es gibt viele wilde Tiere. Sogar wir gehen nicht allein in den Wald. Wenn es dir gelingt, den Wald zu durchqueren, dann wirf dein Taschentuch in den Graben neben der Straße, gleich nach dem Ortsschild. Ich werde morgen einen Boten schicken, damit er nachsieht, ob es da ist. Wenn ja, weiß ich, dass du dein Ziel erreicht hast. Dann verspreche ich dir, meine Bande zu verlassen und mich zu ändern.“

„Ich bekam wieder Angst, aber ich hatte keine andere Wahl. Aber ich wollte mit dem Rebbe die Chanukka-Lichter anzünden! Dieser Gedanke gab mir Mut. Ich holte mein Pferd und meinen Wagen und setzte meine Fahrt durch den pechschwarzen Wald fort.“

„Bald traf ich auf ein Wolfsrudel. Mein Pferd weigerte sich weiterzugehen. Doch plötzlich erschien eine kleine Flamme vor dem Pferd und hüpfte herum. Sie flog voran, und das Pferd folgte ihr. Auf dem ganzen restlichen Weg flohen die Tiere vor uns, als ob die Flamme sie vertreiben würde. Diese Flamme war bei mir, bis ich hier ankam. Ich warf mein Taschentuch in den Graben. Wer weiß, vielleicht kehren die Verbrecher nun dank dieser Chanukka-Kerze auf den rechten Weg zurück!“

Jetzt begriffen die Chassidim, wohin die Chanukka-Flamme ihres Rebbe so rätselhaft verschwunden war.