In der Stadt, in der Rabbi Bunim lebte, gab es eine Kasse zur Unterstützung der Armen. Jede Bitte um Hilfe wurde geprüft und ein angemessener Betrag ausgezahlt. Einmal musste ein armer Mann, der ein angesehener Toragelehrter war, für seine Tochter die Hochzeit ausrichten. Er bat den Kassenverwalter um Hilfe. Dieser, ein sehr mitfühlender Mensch, gab ihm mehr als üblich, weil er ein Gelehrter war. Bei der nächsten Sitzung des Verwaltungsrats schimpften die Anwesenden, weil der Verwalter so viel gegeben hatte. Einige verlangten sogar, ihn zu entlassen. Rabbi Bunim rügte die Angriffe auf den vorzüglichen Kassenwart und sagte: „Meine Freunde, bevor ihr entscheidet, möchte ich euch eine Geschichte erzählen.

Einst brach im Wald die Pest aus, und Tausende von Tieren starben. Die übrigen versammelten sich und berieten, was sie tun sollten. ,Die Pest ist bestimmt die Folge einer Sünde, die jemand von uns begangen hat. Wir müssen den Sünder finden und bestrafen, damit die Pest aufhört! Der Löwe, der König des Waldes, rief einige Freunde als Richter zusammen, und jedes Tier im Wald musste vor ihnen seine Sünden beichten.

Zuerst kam der Leopard. ,König des Waldes, ich war einmal sehr hungrig. Da sah ich einen Menschen im Wald. Ich tötete und fraß ihn.’ Die Richter berieten und entschieden: ,Der Leopard ist unschuldig! Er hat nur getötet, weil er Hunger hatte, und das ist für einen Leoparden normal.’

Dann kam der Wolf. ,König des Waldes, ich war einmal sehr hungrig. Den ganzen Tag hatte ich nichts gefressen. Mein Mut hatte mich bereits verlassen, als ich eine Kuh und ihr Kalb sah, die auf der Wiese weideten. Ich tötete sie und fraß sie auf.’ Der Fall wurde beraten, und das Urteil lautete: ,Nicht schuldig! Er tötete, weil er hungrig war – das ist die Natur des Wolfes.’

Eines nach dem anderen traten die Tiere vor und berichteten, wie sie Menschen und Tiere getötet hatten. Keines wurde verurteilt.

Zum Schluss trat ein kleines Lamm vor und sagte: ,König des Waldes, ich möchte ein Geständnis ablegen. Einmal, in einer bitterkalten Nacht, hatte der Schäfer Mitleid mit mir und nahm mich mit ins Haus. Während er schlief, sah ich, dass er die Löcher in seinen Schuhen mit Stroh zugestopft hatte. Ich war sehr hungrig und konnte der Versuchung nicht widerstehen. Ich zog das Stroh aus den Schuhen und fraß es. Am nächsten Tag musste der Schäfer mit diesen Schuhen durch die Pfützen gehen und bekam nasse Füße. Ich gestehe, und es tut mir schrecklich leid.’

,Du böses Tier!’ schrieen alle. ,Wegen deiner Sünde hat uns die Pest befallen!’ Sofort stürzten Sie sich auf das kleine Lamm, um es für sein schlimmes Verbrechen zu bestrafen.

Ihr alle benehmt euch wie diese tierischen Richter“, schloss Rabbi Bunim. „Einige von euch misshandeln vielleicht ihre Arbeiter. Andere benutzen falsche Gewichte. Wieder andere verstoßen gegen das Verbot, Zinsen zu nehmen. Jeder kennt seine eigenen Fehler. Aber ihr wollt nur die Sünde des Kassenverwalters sehen, der einem Armen ein bisschen mehr Geld gab!“