Es gilt die Faustregel, dass eine mit nur einer Antwort zufriedengestellte Frage keine allzu gute Frage ist. Eine wahrhaft bedeutungsvolle Frage wird immer eine Anzahl verschiedener und kontrastreicher Antworten hervorrufen. Einige Beispiele der in den Schriften und Lehren chassidischer Meister aufgeführten, sich auf die Frage "was ist ein Chassid" beziehenden Antworten:

1) Ein Chassid ist fromm. Diese Definition geht der modernen chassidischen Bewegung um etliche Jahrhunderte voraus: Gemäß Talmud ist ein Chassid ein Mensch, dessen Pflichten G-tt und seinen Mitmenschen gegenüber nicht nach den Buchstaben des Gesetzes, sondern weit größer, als gesetzmäßig von ihm verlangt wird, ausführt werden.

2) Ein Chassid ist selbstlos. Ein Chassid ist ein Mensch, der seine eigenen Bedürfnisse zugunsten des anderen zurückstellt. Ein Chassid opfert seine eigene spirituelle Wohlfahrt zugunsten des materiellen Nutzens seines Mit-Juden, - nach dem Prinzip, dass das physische Wohlergehen des Mitmenschen unser spirituelles Wohlergehen ausmacht. Der Baal Schem Tow nannte das physische Leben des Juden eine spirituelle Angelegenheit.

3) Ein Chassid ist ein Mystiker. Ein Chassid lernt nicht nur Kabbala und hofft auf die Aufnahmefähigkeit seiner Seele, sondern er versteht auch, was er lernt. Die chassidischen Lehren befassen sich mit den tiefgründigsten Geheimnissen der Tora, – Begriffen und Erzählungen, die bisher nur auserlesenen Weisen in jeder Generation offenbart wurden – sondern machen sie für alle Menschen verständlich und zugänglich, so dass diese erhabenen Richtlinien auch im alltäglichen Leben angewendet werden können.

4) Ein Chassid ist lebhaft. Ein Chassid tut alles mit Vitalität, Lebensfreude und Begeisterung.

5) Ein Chassid ist ein Revolutionär. Ein Chassid gibt sich nie mit dem gegenwärtigen Zustand zufrieden. Jede Sache muss nicht so bleiben wie sie ist, sondern kann verbessert, umgewandelt und erneuert werden. Das betrifft auch das eigenes "Ich". Der Chassid ist ein Mensch, der jeden Morgen aufwacht und sich fragt: Wie fühle ich mich? Dann sollte ich meine Gefühle ändern. Denkt die Welt so? Dann sollten wir das Denken der Welt verändern. Ein Chassid gibt sich nicht mit einer bestimmten Verhaltensweise zufrieden, sondern sieht die Aufgabe des Menschen darin, sich und die Welt neu zu erschaffen.


Was ist der gemeinsame Nenner aller Beschreibungen des Chassid? Der Chassid bezieht sich eher auf die Seele einer Sache, als auf den Körper; eher auf ihr inneres Wesen, als auf ihre äußere Erscheinungsform.

Folglich ist der Chassid ein frommer Mensch, der seine Pflichten G-tt und seinem Mitmenschen gegenüber nicht nach den Buchstaben des Gesetzes ausführt, sondern mehr tut, als von ihm verlangt wird.

Es gibt "äußerliche" Gründe, das Richtige zu tun. Der Gesetzesverstoß in der Gesellschaft kann mit Gefängnis bestraft werden, während uns moralisches, tugendhaftes Leben den Respekt in Familie und Gemeinde einträgt. Der Verstoß gegen G-ttes Gebote kann eine Bestrafung, aber deren Beachtung eine Belohnung in dieser und der kommenden Welt zur Folge haben. Doch „Zuckerbrot und Peitsche“ sind äußerliche Lebensbetrachtungen. Was aber sind die äußeren Umstände, die mir sagen, was zu tun und zu lassen ist?

Betrachten wir das Leben von außen, - tun wir also das uns Gebotene, - dann tun wir es aus Angst vor Bestrafung oder um einer Belohnung willen. Unsere Taten sind dann lediglich ein Mittel zum „äußerlichen“ Zweck.

Der Chassid hingegen wird von innen getrieben. Wenn ein Chassid eine Mizwa ausführt, wenn er z.B. betet, die Chanukka-Kerzen zündet, seinem Mitmenschen einen Gefallen tut, handelt der Chassid aufgrund einer Identifikation mit seinem Tun. Bringen wir mit unserem Tun unser Wesen zum Ausdruck, dann tun wir es auf die beste, schönste, vollkommenste und reinste Art und Weise.


Die Tora sagt, dass Handlungen auf Befehl viel lobenswerter sind, als jene durch Eigeninitiative, - denn dadurch tun wir es nicht für uns selbst. Doch noch rühmlicher ist jedes Gebote-Befolgen mit Freude. Wenn wir aus innerer Begeisterung handeln, erfüllen unsere Hochgefühle den Raum und stecken alle in unserer Umgebung an. Dieselbe Tat wird durch Leben erfüllt.


Folglich ist ein Chassid selbstlos. Wenn jede Seele buchstäblich ein Teil von G-tt ist, - was ist dann das "ich"? Es ist ein weiterer Ausdruck derselben gemeinsamen Essenz.

Rein äußerlich entsteht der Eindruck, Millionen oder Milliarden unterschiedlicher "Ich"- Erscheinungen vor Augen zu haben, jede von ihnen mit ihren eigenen Bedürfnissen und Vorlieben, voller Unterschiede, Zwietracht und Selbstsucht.

Für den Chassid ist jedoch der Mitmensch genauso wichtig, - mit dem Bonus, dass jede Hilfe für den Mitmenschen dem Ewigen mehr Freude bereiten wird.


Folglich ist der Chassid ein Mystiker. Geheimnisse sind die Folge einer auswärtigen Perspektive. Betrachten wir etwas von außen, dann hat das Beobachtete seine offenbaren und seine verborgenen Seiten. Eine Erkenntnis kann z.B. literarischer, rechtlicher, philosophischer, inspirativer, metaphorischer, wissenschaftlicher, theologischer Natur sein. Durch sie versucht der menschliche Verstand näher an die Wahrheit zu gelangen. Einige Aspekte sind logisch, andere weniger, einige sind praktisch, andere nicht. Doch wenn wir in das innere Wesen der Sache sehen, sind all diese Teile, Gebiete, Dimensionen, Aspekte und Formen nichts weiter als Ausdrücke des allumfassenden Kerns der Wahrheit.

Der Chassid strebt nach dem innersten Wesen der Tora und lernt sie von innen nach außen. Für den Chassid gibt es keine Geheimnisse. Keine Wahrheit ist zu verborgen, als dass sie nicht verstandesmäßig erfassbar und keine Wahrheit zu spirituell, als dass sie nicht praktisch umsetzbar wäre.


Folglich ist der Chassid ein Mensch, der sich eher auf die Seele einer Sache als auf ihren Körper bezieht, eher auf ihr inneres Wesen, als auf ihre äußere Erscheinung.

Der Chassid ist ein Revolutionär.

Looking from the outside in, "reality" is the way things are. Looking from the inside out, reality is the way things are supposed to be.

Oberflächlich betrachtet, bleibt die Realität, wie sie ist. Erst hinter den Kulissen sehen wir die Wirklichkeit, wie sie sein sollte, - wie G-tt die Welt zu einem bestimmten Zweck erschaffen hat. G-tt sagt: Das ist, was ich getan habe und nun von euch erwarte. Wenn ihr euch oder die Welt anschaut, so ist es nicht das, was ich zu erschaffen beabsichtigt hatte. Es handelt sich lediglich um Rohmaterial, das ihr bearbeiten sollt. Tiefgehender betrachtet, werdet ihr sein Potential entdecken, und damit den Zweck, zu dem ich es erschuf.

Der Chassid lässt sich nicht von der äußeren Erscheinung der Dinge beeindrucken, weil er weiß, dass es sich dabei lediglich um die Oberfläche, die Schale oder die äußere Haut handelt. Vielmehr wird er das Innere durchleuchten und sich an die Arbeit machen.