Das größte Hindernis zum Verständnis der Bedeutung des Purim-Festes ist die Verwirrung zwischen Wahnsinn und Unsinn. Der Unterschied ist nicht gering, denn Wahnsinn ist billig, Unsinn ist geistreich.

Der Narr simuliert Wahnsinn, doch der Komödiant vollbringt Unsinn – ein Bereich der jenseits der natürlichen Sinne der Lebewesen liegt und gewissen Menschen zu eigen ist. Um Unsinn zu erzeugen, braucht der Mensch viel Genius.

Der Hauptunterschied zwischen Wahnsinn und Unsinn besteht darin, dass Wahnsinn keinen Verstand besitzt, während Unsinn Weisheit bedeutet. Jedoch äußert sich jene Weisheit, als sei sie vom Wahnsinn geprägt.

Wir alle kennen den Wahnsinn, - es ist jener Geisteszustand, in dem wir mindestens ein Drittel unseres Lebens verbringen. Tagsüber bemühen wir uns zwar, vernünftige Entscheidungen zu treffen und uns sinnvoll zu beschäftigen. Doch in der Nacht dringt unser Geist in ein Land des Wahnsinns ein, während unser Körper reglos im Bett liegt. Solange wir jenen Wahnsinn auf unser Bett beschränken, nimmt die Welt keinen Schaden, - aber trotzdem handelt es sich hier um Wahnsinn.

Der Einfluss des Wahnsinns ist in dieser Welt unendlich stärker, als der Einfluss der Vernunft. Die Natur selbst ist eine erstaunliche Verflechtung der Beiden, - eine Verflechtung von Symmetrie mit Chaos, von Sinngehalt mit Zufälligkeit, von Signalen mit Hintergrundgeräuschen. Der Wissenschaftler setzt den Schwerpunkt auf Schemata, auf Berechenbares, auf verstandesmäßig Erkenn- und Bestimmbares. Doch auch seine Welt ist ein Trugbild, in der die Wirklichkeit seiner Auffassungsgabe entgeht. Denn die Wirklichkeit ist größtenteils durch Wahnsinn geprägt.

Religionen stützen sich auf den Grundsatz "Dogma vor Vernunft" und Mathematik auf das Prinzip "Axiom vor logischer Folge". Die Philosophie versucht die Ketten der Dogmen und Axiomen zu brechen, - und versagt, denn die Welt existiert nicht ohne jenen Wahnsinn.

Betrachten wir die Kabbala der Vernunft, des Wahnsinns und des Unsinns: In unserer Welt steht Wahnsinn unter der Vernunft. In den Oberen Welten ist es umgekehrt.

Vernunft bedeutet, dass G-tt Sein unendliches Licht auf die Grenzen einer beschränkten Welt limitiert, Musiknoten in den unbiegsamen Systemzwang des Metronoms sperrt und Farben gemäß dem Farbenkode auf vorgemalte Bilder anordnet. Mag das Resultat noch so hervorragend sein und Stoff unzähliger Doktorarbeiten und Medienberichte sein, - für den lebenden, unendlichen G-tt wirkt auch das glänzendste Ergebnis erdrückend und zwanghaft.

Der unbeschränkte Kontext des unendlichen Lichts ist heller Wahnsinn. Alles kann gleichzeitig oder überhaupt nicht geschehen. Es gibt keine Realität! Alles ist möglich und nichts von allem hat daher reelle Existenz. Alles Vorhandene entbehrt eines Sinnes und hat daher keinen Grund für seine Existenz. Vorhandenes ist ganz einfach da, „weil es da ist“.

Die Kabbalisten nennen diesen Bereich die Welt das Tohu (Chaos), die aus der Welt des Tikun (Ordnung) hervor ging. Die chassidischen Meister nennen sie das übersteigende Licht, das dem eingeschränkten, geordneten Bereich des immanenten Lichtes voranging. Auf diesem übersteigenden Licht basieren Chaos, Axiome, Dogmen und auch der Wahnsinn unserer verrückten Welt. Von Tikun und dem immanenten Licht breitet sich Ordnung und Vernunft aus. Dadurch ist der Wahnsinn mächtig genug, über die Vernunft die Oberhand zu gewinnen.

Dennoch ist Tikun das Ziel des Tohu und dessen Heilung. Die Transzendenz findet ihre Erfüllung in der Immanenz, - und hier setzt der Unsinn ein.

Purim erscheint uns unsinnig wie das Judentum selbst. Schon die Existenz der Juden könnte deshalb als unsinnig gelten, da G-tt mit keinem unserer Sinne erfassbar ist.

Das heißt: Judentum ist un-sinnig, weil es nur mit einem un-sinnigen, jenseits aller Sinne stehenden G-tt existieren kann, der sich nachts aus dem Schlummer transzendentem Wahnsinns erhebt und verkündet: "Das ist Mein Volk, das Volk dieses Traumes und ich muss es retten." Es gibt keine Grenzen mehr. Die Vernunft erscheint plötzlich in einem jeder Vernunft trotzenden Kontext.

Juden sind un-sinnig, - für ihr Weiterexistieren gibt keine Erklärung: Das Judentum verlangt den Verzicht vieler Annehmlichkeiten, so dass es aus "demokratischer" Perspektive tatsächlich unverständlich ist, warum sich Menschen freiwillig einem scheinbar so einschränkenden Lebenswandel anpassen. Außerdem schreiben wir G-tt vor, was Er tun soll, doch in Wirklichkeit verlangte Er es von uns, - was keinen Sinn ergibt, denn Er kennt das für jede Situation Angemessene besser als wir.

Purim ist un-sinnig, weil Haman das Geheimnis des Wahnsinns, durch den G-tt diese Welt führt, kannte. Haman begab sich mit einem Los - an das Chaos appellierend - jenseits der Vernunft. Dazu erhob Haman seine Meinungsverschiedenheiten mit Mordechai auf einen 50 Ellen hohen Galgen, der auf das vom Menschen nicht verstandene 50. Tor der Weisheit hindeutet: Dort erhoffte sich Haman einen Sieg. Dieser aber lag auf einer Ebene, die ohne Bedeutung ist, da sie jenseits von aller Vernuft steht.

Doch dort fand Haman auch seinen Untergang, denn wie sollte Haman wissen, ob G-tt vernünftig oder wahnsinnig ist: G-tt ist auch un-sinnig! Er ist fähig, etwas zu tun, was aus der Perspektive des kleinen Menschen gar keinen Sinn ergibt.

So ist die ganze Wirklichkeit un-sinnig, - so un-sinnig, wie die Anordnung des Königs, dass diejenigen, die gemäß seinem Erlass hätten beseitigt werden sollen, sich plötzlich erheben und sich verteidigen vor Jenen, die entsprechend dem königlichen Erlass hätten beseitigt werden sollen... und der König betet für ihren Sieg.

Wie das Licht die Oberhand über die Dunkelheit gewinnt, der Tikun über das Tohu, wird auch der Jude sich durch sein Exil schlagen. Mögen wir bald davon erlöst werden.