15. Zum Schriftvers „wenn die Frau zuerst sät, gebiert sie einen Mann“ sagt der heilige Or ha Chaim (Chaim Ben Mosche Attar, berühmter Weiser und Gelehrter, geb. Meknes, Marokko 1696 – verst. Jerusalem 1743 – Anm. d. Übers.), dass dies auch ein Hinweis auf die Versammlung Israels (hebr. Knesset Jisrael, Bezeichnung für die Einheit, welche von allen jüdischen Seelen gebildet wird – Anm. d. Übers.) ist, welche „Frau“ genannt wird, wie geschrieben steht1 „denn dein Gatte ist dein Schöpfer“.
Wenn also die Juden die Gebote einhalten und Gutes tun, so wie geschrieben steht2 „sät euch Zedaka“, so verspricht die Tora, dass die Frau dann „einen Mann gebiert“, also den männlichen Aspekt hervorbringt, der über den erzeugenden weiblichen Aspekt hinausgeht. Dieses Gebären ist vollkommen sicher – und daher steht nicht geschrieben „…wird sie einen Mann gebären“, wie der Or ha Chaim schon vorher bemerkt hatte.
Dieses Sähen und Gebären bezieht sich auf die kommende Erlösung, welche vom Aspekt des Männlichen gekennzeichnet ist.
Er (der Or ha Chaim) erklärt weiter den Vorzug der zukünftigen Erlösung im Vergleich mit der Erlösung aus dem Exil in Ägypten. Jene Erlösung war nicht von Dauer, da auf sie weitere Exile folgten. Nicht so bei der künftigen Erlösung, denn sie wird vollkommen sein, d.h. es werden auf sie keine weiteren Exile folgen. Da nun die Anstrengungen der Juden – die Frau, welche zuerst sät – zur Erlösung führen, so wird diese kommende Erlösung von männlichen Aspekt gekennzeichnet sein und daher ewigen Bestand haben. Dies ist der Inhalt seiner Rede3.
Man kann sagen, dass dies dem gleicht, was in der Mechilta4 und im gleichen Maße im Midrasch Tehilim steht: „alle Lieder und Melodien sind weiblichen Geschlechts, nur die Melodie der Zukunft ist männlich, wie geschrieben steht – singt dem Ewigen einen neuen Gesang“ (hebr. „Schir“ ist männlichen Geschlechts – Anm. d. Übers.).
16. Die Herkunft des Wortes „Frau“ (hebr. „Ischa“ ist „denn vom Mann wurde sie genommen“5, und es gibt keinen Mann, sondern nur den Heiligen, gelobt sei er, wie geschrieben steht „der Ewige ist ein Mann des Krieges“6. Die Versammlung Israels ist ganz ein Teil des Ewigen, dem Manne. Daher wird sie Frau genannt.
Der Name jedes Juden weist auf ein besonderes Merkmal des Trägers hin. Der Name „Ischa“ weist darauf hin, dass die ganze Existenz nur darauf beruht, dass sie von ihrem Mann genommen wurde. Ein Jude hat daher eigentlich kein Interesse am Physischen, auch kein Interesse am Materiellen. Im Wesenskern seiner Seele hat er selbst kein Interesse an spirituellen Lohn und Entgelt – sein Interesse gilt allein G“tt7. Und wie bereits früher beim Vortrag gesagt wurde8, sind auch noch die höchsten Stufen des oberen Garten Eden nur ein Widerschein und stehen in keinem Verhältnis zum Wesenskern.
Wenn also der weibliche Aspekt vorhanden ist, so muss man zuerst sähen, und zwar gerade in die Erde, denn wenn man einen Samen nicht in die Erde pflanzt, sondern an einen Ort der zehn Ellen über dem Boden liegt – oder sogar unter zehn Ellen auf drei Ellen Höhe liegt und damit einem Zaun gleichkommt – so wird doch kein Wachstum erfolgen. Das Aussähen muss im Boden erfolgen, und nur dann wird es zu einem Wachstum führen.
So auch beim Sähen von Geboten – auch dies muss gerade im Boden erfolgen9, so wie geschrieben steht10 „und ich säte mir im Boden, denn ihr werdet mir zum begehrten Boden“11, also eben gerade unten, nicht oberhalb der zehn Ellen – dem Bereich, der für die umfassenden Kräfte steht (all jenen Fähigkeiten, welche sich ohne Änderung in allen Teilen des Körpers manifestieren, wie die Fähigkeiten zum Willen und zum Genuss – Anm. d. Übers.), nicht unterhalb der zehn Ellen – dem Bereich, der für die bestimmenden Kräfte steht (so wie Hör- Seh und Geruchssinn, welche sich in erster Linie in bestimmten Körperteilen manifestieren), sondern eben im Bereich des tatsächlichen Handelns.
Wenn es also am tatsächlichen Handeln fehlt, so gelten die gedachten Absichten der Gebote wenig, wenig gilt auch das Gefühl im Herzen. Es trifft zwar zu, dass „die Tora das Herz verlangt“12, doch sie verlangt das Herz, welches tatsächlich handelt. Wenn sich also jemand irrt und meint, mit einem warmen Herz und einem edlen Kopf habe man seiner Pflicht Genüge getan, so sagt man ihm: Nein, es muss tatsächlich getan werden.
Zum Erfüllen des Gebotes der Zedaka, dem Archetyp aller Gebote, reicht es nicht aus, dass man mit den Armen Mitleid hat, über deren Zustand Tränen vergießt usw. wenn am Ende der Dollar in der eigenen Tasche bleibt. Man muss tatsächlich dem Armen den Dollar – ganz einfach und materiell – tatsächlich geben. Und so wie bei der Zedaka, so ist es auch bei allen Geboten – sie müssen tatsächlich erfüllt werden: Die Schaufäden müssen aus Wolle, die Tefillin aus Pergament usw. sein.
Und dies ist die Bedeutung von „wenn die Frau säht“: Zu dem Zeitpunkt, an dem man sich auf der Stufe der „Frau“ befindet, muss man gerade unten, im Boden „säen“. Denn man könnte ja, vom Gefühl der Kostbarkeit des „Mannes“ getragen – der ja wie gesagt über allen Offenbarungen steht, einen Zustand erreicht indem die Seele ganz zergeht, so wie einst Nadaw und Awihu, welche ja am heiligsten waren, so wie Raschi erklärt13 dass Mosche zu Aharon sagte, dass sie „größer waren als du und ich“. Da sie nun „sich dem Ewigen näherten“ und starben, zeigt dies, dass sie eine Stufe erreichten, in der ihre Seele zerging14.
Man muss aber dafür sorgen, dass das Sähen gerade im Boden geschieht. Denn wenn man dies tut, so sorgt man dafür, dass ganz sicher ein Mann geboren wird und man führt hin zur künftigen Erlösung, welche ja, wie bereits erwähnt, den männlichen Aspekt verkörpert.
17. Und im selben Maße, in dem der Aspekt des Männlichen in der kommenden Erlösung auftaucht, spielt er auch heute, im Dienst des Menschen eine wichtige Rolle, denn durch diesen männlichen Aspekt verbindet man sich bereits heute mit der kommenden Erlösung.
Dieser Aspekt des Dienstes besteht darin – wie die Gemara sagt15 – dass es die Art des Mannes ist, zu erobern. Es geht darum, die Welt mit all ihren Inhalten einzunehmen und man soll dies mit Stärke tun, mit dem Nachdruck eines Mannes, dessen Art es ist, zu erobern. Und so steht auch am Anfang des Schulchan Aruch: „Man überwinde die Widrigkeiten wie ein Löwe und schäme sich nicht vor den Spöttern“. Und durch eben diesen Dienst stellt man die Verbindung mit der kommenden Erlösung her.
18. Dies ist auch dadurch angedeutet, dass weiter im Wochenabschnitt steht „und am achten Tag wird er das Fleisch seiner Vorhaut beschneiden“. Durch den Dienst im Sinne des männlichen Aspekts erreicht man schließlich den achten Tag, an dem alle Inhalte des schlechten Triebs und die sieben Namen, mit denen er genannt wird16 – von dem einer „der Unbeschnittene“ ist – null und nichtig werden. Man erzielt dann die Wirkung der Beschneidung, der Mila17, welche darin besteht, dass man Hülle abnimmt, welche den göttlichen Aspekt des J-ah verbirgt. Dies ist die Schale Amaleks, denn „Sein Name ist nicht vollständig… bis der Same Amaleks ausgelöscht wird“18. Und dieses Beschneiden der Vorhaut des Herzens19 führt endlich dazu, dass „der Ewige, dein Herr dein Herz und das Herz deines Samens beschneidet“, bei der Ankunft von Moschiach, Zidkenu, dem Gesalbten unserer Gerechtigkeit.
Fußnoten
1.
Jeschajahu 44:5.
2.
Hoschea 10:12.
3.
Ausführlich siehe im Vortrag, beginnend mit den Worten „wenn die Frau säht“ 5626.
4.
Zitiert in Tossafoth Pessachim 117:b
5.
Bereschit 2:22.
6.
Sota 42:b, Schmot 16:3.
7.
Siehe Rambam, Hilchot Tschuwa Kap. 10, Wurzel des Gebotes des Gebetes des Zemach Zedek Kap. 40
8.
siehe oben, in der Originalausgabe auf Seite 231.
9.
Siehe Tora Or am Ende von Abschnitt Schmot, Or ha Tora ebenda.
10.
Hoschea 2:25.
11.
Maleachi 3:12.
12.
Sanhedrin 106b, Raschi dort.
13.
Wajikra 10:3.
14.
Siehe auch weiter auf Seite 227 der Originalausgabe und in Fußnote 22 dort.
15.
Jewamot 65b.
16.
Sukka 42a.
17.
Scha’ar ha Mizwot des Arisal, Abschnitt Lach
18.
Tanchuma Ende Abschnitt Teze, Raschikommentar zur Tora Schmot 17:16.
19.
Siehe Iggeret ha Kodesch Abschnitt 4.
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