Unser Wochenabschnitt detailliert uns die Vorschriften über den „stößigen Ochsen“1. Dabei unterscheidet die Thora zwischen zwei Verhaltensarten des Ochsen: harmlos und stößig. Während der harmlose Ochse im Generellen ein ruhiges Verhalten aufweist, ist der stößige sein genaues Gegenteil. Mehrmals fügte er schon anderen Rindern Schaden zu, bis diese Stoßfreudigkeit zur Gewohnheit wurde; und schon dreimal verwarnte man seine Besitzer vor Gericht. Deshalb tragen auch die Besitzer eine andere Verantwortung über die Schäden eines solchen Ochsen, die sich durch Geldstrafen ausdrückt, als bei einem harmlosen Ochsen.

Die Thora kann in verschiedenen Ebenen studiert werden. Die Lehre der Chassidut überträgt die Thematik des stößigen Ochsen, wie sie in der Seele des Menschen vorkommt. Der Ochse symbolisiert die tiergleiche Seele im Menschen. Sie wird so genannt, nicht etwa, weil sie der Geist eines Tieres ist, G-tt behüte, sondern weil sie ihr Denken und Handeln nur auf körperliche, wie materielle Bedürfnisse konzentriert, gleich einem Tier. Die tiergleiche Seele in ihrem Wesen ist nicht bösartig. Sie ist voller Energie, die für die Erfüllung der Mitzwot und wohltätiges Handeln genutzt werden kann. Aber wenn man sie nicht zähmt, ist sie wie ein Ochse der gehütet werden muss, damit er keinen Schaden anrichtet.

Von harmlos zu stößig

Der natürliche Zustand der tiergleichen Seele ist der „harmlose Ochse“. Ursprünglich verlangt sie nicht nach Verbotenem. Doch wenn man die tiergleiche Seele nicht bändigt, will sie (immer) mehr haben. Dann werden aus Bedürfnissen Begierden, die nicht dem g-ttlichen Willen entsprechen, wie zu viel essen, schlafen, reden, arbeiten usw. (Übrigens kann die tiergleiche Seele durch Begierden nach Erlaubten schließlich auf verbotene Gelüste überspringen).

Wenn dann der Mensch, von seiner tiergleichen Seele geleitet, ein Verbot übertritt, gilt sie noch als „harmlos“, da dies nicht ihr natürliches Verhalten ist.

Aber sollte der Mensch dieselbe Sünde wiederholt begehen, bis sie zur Gewohnheit wird, setzt man seine tiergleiche Seele bereits auf die Stufe des „stößigen Ochsen“ herab. Ihr schlechtes Verhalten ist zur Natur geworden und in diesem Fall betrachten wir die tiergleiche Seele als stößig, die jederzeit dasselbe Verbot wieder begehen kann.

Wie aber kann dieser Zustand wieder korrigiert werden? Einer der Wege, einen „stößigen Ochsen“ wieder „harmlos“ zu machen, ist ihn wieder daran zu gewöhnen, nicht andere zu stoßen. Rambam bringt dafür ein klares Zeichen: „Bis Kinder ihn streicheln können und er sie nicht angreift.“2 Bei Erfüllung dieser Bedingung, kann er wieder als „harmloser Ochse“ eingestuft werden.

So läuft der Bändigungsprozess der tiergleichen Seele im Menschen ab: Zuallererst muss man seinen Fehler einsehen und ihn bereuen; dann beginnt der Kampf gegen den Drang der „tiergleichen Seele“, die Sünde erneut zu begehen. Sollte der Mensch diesen Drang so sehr in Zaun halten, bis er jener Verführung, der er so oft nicht Stand gehalten hat und nun von ihr wieder heimsucht wird, widersteht – kann er den Titel des „stößigen Ochsens“ von seiner tiergleichen Seele abwerfen und sie zu ihrem ursprünglichen Zustand bringen!

Besitzwechsel

Aber was tut der Mensch, der nicht die Kraft hat, gegen die Begierden seiner tiergleichen Seele anzukämpfen? So lautet die Vorschrift bei dem stößigen Ochsen: Wenn der stößige Ochse in einen anderen Besitz kommt, ändert sich auch sein Status zu „harmlos“3. Denn da er den Besitzer gewechselt hat, der ihn wohl anders behandelt als seine ersten, verändert dies sein Verhalten, stößig zu sein.

Wenn also der Mensch den Begierden seiner tiergleichen Seele nicht standhalten kann, soll er in einen „anderen Besitz gehen“ – sich in die Welt des Thorastudiums, guter Taten und des Gebets begeben. Legt er sein Wesen in den „Besitz“ der Heiligkeit, vergeht allmählich der starke Drang seiner tiergleichen Seele nach jenen Begierden, an die er sich gewöhnt hat; und so kann sie zu ihrer „Harmlosigkeit“ zurückkehren.

(Likutej Sichot, Band 36, Seite 102)