Die G-ttesoffenbarung am Sinai, als G-tt dem gesamten jüdischen Volk die Zehn Gebote verkündete, begann mit den Worten: Ich bin der Ewi-ge, dein G-tt…1 Darauf kommentiert der Midrasch: „Anochi (Ich bin) ist ein ägyptisches Wort!“2
Dies wirft eine große Frage auf: Die Zehn Gebote inkludieren in sich die gesamte Thora. Die ersten zwei Gebote sind noch besonderer, da sie das jüdische Volk direkt von G-tt gehört hat (die restlichen erfuhr es von Mose). Und von den ersten zwei Geboten ist das erste Gebot ranghöher und das erste Wort darin (Anochi) handelt doch von G-tt höchstpersönlich – denn Ich bin, der Ich bin.3 Wie kann es also sein, dass gerade dieses Wort aus der ägyptischen Sprache stammt?!
Vor der Offenbarung am Sinai
Um dies zu beantworten, müssen wir zuerst den Sinn der G-ttesoffenbarung am Sinai verstehen. Die Thora wurde uns nicht gegeben, um das Heilige auf der Welt zu bewahren. Für diesen Zweck war die enorme Kraft, die von der G-ttesoffenbarung ausging, nicht notwendig. G-tt gab uns die Thora, damit es möglich sei, sogar die profansten Elemente der Welt zu heiligen (die „ägyptische Sprache“).
Auch vor dem Thoraerhalt am Sinai studierte man die Thoralehre; bereits Adam, der erste Mensch, wusste über sie Bescheid. Das heißt, auch vor der Offenbarung am Sinai gab es Heiligkeit auf der Welt. Doch das, was am Sinai geschah, hatte einen ganz anderen Sinn: nämlich die Heiligkeit mit der profanen Welt zu verbinden. Auch jene Elemente, die von G-tt weit entfernt sind, können und sollen fortan geheiligt werden.
Das ist der eigentliche Sinn von der Offenbarung am Sinai. Deshalb drückt sich diese Idee gleich im ersten Wort der Zehn Gebote aus – Anochi: selbst die unterste Schicht der Weltlichkeit soll an G-tt höchstpersönlich gebunden werden!
Der Weg zu G-tt
Daraus, dass G-tt höchstpersönlich sich in dem ägyptischen „Anochi“ befindet, lernen wir noch eine große Sache: Es gibt viele Stufen in der Heiligkeit, doch wenn man G-tt wirklich nahe sein möchte, findet man Ihn gerade in den profanen Dingen! Wie wichtig auch die Beschäftigung im heiligen Bereich ist (Gebete und Thorastudium), so erreicht man damit nur eine begrenzte Heiligkeitsstufe. Doch G-tt höchstpersönlich findet man nicht, indem man „sich im Lehrhaus einsperrt“, sondern, indem man „nach Ägypten geht“ – durch die richtige Auseinandersetzung mit der profanen Welt und ihre Erhebung zum Heiligen.
Denn gerade, indem der Jude mit der Weltlichkeit im Einklang mit den Gesetzen der Thora zu tun hat, erreicht er G-tt selbst (Anochi), vollbringt Seinen Willen und geht dem eigentlichen Sinn der G-ttesoffenbarung am Sinai nach!
Selbstverständlich hat der Jude Thora zu lernen, zu beten und Mitzwot zu erfüllen, doch es reicht keinesfalls, das Heilige nur in den heiligen Bereichen unseres Lebens zu pflegen und zu bewahren. So sagte König Salomo: In all deinen Wegen erkenne G-tt.4 Auch deine profanen Angelegenheiten sollen für G-tt geheiligt sein.
Wie macht man das?
Die weltlichen Angelegenheiten müssen den Gesetzen der Thora entsprechen; sprich Ehrlichkeit im Geschäftsleben, koschere Ernährung usw.
Im Talmud steht geschrieben: „Ich wurde nur erschaffen, um meinem Schöpfer zu dienen.“5 Deshalb liegt es an dem Juden zu erkennen, dass der Sinn der Weltlichkeit nur darin liegt, G-tt dienen zu können; sprich, man arbeitet, um Geld spenden zu können; man isst und entspannt sich, um Kraft zu haben, zu beten usw.
Dadurch bringt der Jude die Heiligkeit auch in die profanen und selbst untersten Bereiche der Welt.
Man muss sich bewusst sein, dass es sich dabei nicht nur um noch ein Detail in unserem G-ttesdienst handelt, sondern darin liegt der gesamte Sinn des Thoraerhalts am Sinai (!) und nur auf diese Weise kann man sich an G-tt höchstpersönlich binden – mit „Anochi“: Ich bin der Ich bin!
(Likutej Sichot, Band 3, Seite 892)
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