Mit unserem Wochenabschnitt beenden wir die gesamte Thora. Die letzten Worte der Thora lauten: ...das Mose vollbracht hatte in den Augen ganz Israels.1 Von welcher Handlung spricht hier die Thora, die Mose vor ganz Israel vollbrachte? Unsere Meister erklären, dass damit das Zerbrechen der zwei Steintafeln gemeint ist: „dass ihm sein Herz den Mut gab, die Tafeln vor ihren Augen zu zerbrechen; und G-tt war mit Mose damit einverstanden, wie es heißt: ‚Dank sei dir, dass du sie zerbrochen hast‘.“2

Einfach betrachtet zerbrach Mose die Tafeln mit folgender Argumentation: Das Pessachopfer ist nur eines der 613 Mitzwot und dennoch verbietet es die Thora einem Ungläubigen, davon zu essen, da er es nicht verdient. Die zwei Steintafeln stehen jedoch für die ganze Thora und die Kinder Israels sind wegen der Sünde mit dem goldenen Kalb zu Ungläubigen geworden. Deshalb verdienen sie umso mehr nicht die zwei Steintafeln.3

Anhand dessen ist also das Zerbrechen der Tafeln keineswegs ruhmvoll für das Volk Israel, sondern ganz im Gegenteil. Und ausgerechnet mit diesem Ereignis schließt die Thora ab?!

Spätes Lob

Um dies zu verstehen, liegt es an uns heraus zu finden, zu welchem Zeitpunkt denn G-tt Mose für das Zerbrechen der Tafeln lobte. Er tat dies nicht am selben Tag und auch nicht am Tag darauf, als Mose erneut auf den Berg Sinai stieg, um für das Volk zu beten. Der Vers (Dank sei dir), dass du sie zerbrochen hast4 steht in der Thora erst nachdem G-tt Mose anordnete, zwei neue Tafeln zu meißeln. Weshalb hat G-tt damit so lange gewartet?

Die Erklärung dazu liegt in den Worten des Talmuds: „Das Volk Israel versündigte sich nur mit dem goldenen Kalb, um den Sündern die Rückkehr zu G-tt zu ermöglichen.“5 Eigentlich sollte das Volk Israel wegen seines hohen spirituellen Niveaus nicht in Sünde verfallen, doch es geschah trotzdem, damit auch der größte Sünder wisse, dass er zu G-tt zurückkehren kann und Er ihm seine Sünden vergibt, wie es auch beim Volk Israel nach der Sünde mit dem goldenen Kalb der Fall war.

Dies ist der wahre Grund dafür, weshalb G-tt den bösen Trieb erschaffen und ihm die Möglichkeit gegeben hat, die Juden zur Sünde zu verführen – damit gerade durch den Fall der Aufstieg mittels der Tschuwa erfolgen kann und der Aufstieg nach dem Sündenfall zahlt sich aus, denn „diejenigen, die Tschuwa ausüben, befinden sich auf einem Niveau, welches selbst die größten Zadikim nicht einmal erreichen können!“6

Aufrütteln

Dies ist auch tiefer betrachtet der Grund dafür, weshalb Mose die so kostbaren Tafeln zerbrach. Das war eine große Tragödie, die aber das Ziel hatte, das Volk Israel zur Tschuwa zu bewegen, wodurch es die zweiten Tafeln erhielt. Mose handelte wie ein Vater, dessen Sohn vom richtigen Weg abkam. Er wies ihn zurecht und stellte sich böse, um den Sohn zur Umkehr zu bewegen, aus Angst die Liebe des Vaters zu verlieren.

Nun konnte G-tt auch Mose für das Zerbrechen der Tafeln loben, da der Sinn des Sündenfalls hervorkam – die Tschuwa und der Erhalt der neuen Tafeln.

Deshalb betont die Thora, dass Mose die Tafeln „vor den Augen ganz Israels“ zerbrach. Denn er verfolgte damit nur die Absicht, das Volk zur Tschuwa zu bewegen, indem es das Zerbrechen der Tafeln mitansah.

Motivierende Worte

Nun wird auch verständlich, weshalb die Thora mit dem Ereignis um das Zerbrechen der Tafeln abschließt: Der Sündenfall ist nicht ein Anstoß weiterzufallen, sondern ein Katapult noch weiter nach oben zu kommen! Und diese Möglichkeit von so tief unten so hoch nach oben zu kommen ist zum Ruhme Israels, denn dies drückt die große Liebe G-ttes zu uns aus!

Wir befinden uns noch immer in der Galut und sehen deshalb nicht den großen Aufstieg, welcher nach dem Fall durch das Zerbrechen der Tafeln folgen sollte. Deshalb gilt der Tag, an dem die Tafeln zerbrochen wurden, bis heute als ein Fasttag (17. Tammus).7 Doch sobald der Maschiach kommt und unsere Rückkehr zu G-tt vollkommen sein wird, wird sich dieser Tag zu einem großen Freudentag verwandeln8 und dann werden wir den höchsten Aufstieg erleben, von dem es keinen Abstieg mehr gibt!

(Likutej Sichot, Band 9, Seite 238)