Awraham widmete sein ganzes Leben der Aufgabe der Menschheit den Glauben an den Einen G-tt zu verkünden. Die Thora erzählt in unserem Wochenabschnitt davon, dass Awraham in der Wüstenlandschaft Israels eine Gaststätte für Reisende errichtet hatte, und nachdem jene bei ihm rasteten, aßen und tranken, erzählte er ihnen von dem Einen G-tt, Der alles erschuf, und schlug ihnen vor G-tt für all die guten Speisen zu danken.

Unsere Weisen erzählen1 uns auch von den Gästen Awrahams, die es ablehnten G-tt zu danken. Sie behaupteten, dass es Awraham wäre, welcher sie gastfreundlich bewirtete, und deshalb gebühre nur ihm all der Dank. Was tat Awraham? Solchen Gästen erwiderte er: „Wenn mir aller Dank gebührt, so zahlet bitte für die Mahlzeit.“ Er legte ihnen eine übertrieben teure Rechnung vor mit der Behauptung: „Wer noch gibt euch Wein und Fleisch in der Wüste?“ Und als die Reisenden einsahen, dass sie selbst ihr letztes Kleidungsstück ablegen müssten um Awrahams Forderungen gerecht zu werden, stimmten sie zu, wohl gezwungenermaßen, G-tt ihren Dank zu gönnen.

Aus freien Stücken?

Awraham wollte den Menschen den Glauben an den Einen G-tt lehren, ihn aber nicht anderen aufzwingen. Jene Reisenden wollten nicht G-tt als Spender allen Lebens anerkennen, und ihre Meinung änderte sich wohl auch nicht durch den Druck, welchen Awraham auf sie ausübte. Nicht ihr Glaube an G-tt ließ sie die wenigen Dankesworte murmeln, sondern eher Awrahams „Religionsaufzwingung“. Ist denn das der Weg den Glauben an den Einen G-tt allen Menschen kundzutun?

Die Antwort ist überraschenderweise ja. Und so stoßen wir in der Thora auf eine Geschichte, in der äußerer Druck zu einer extremen Meinungsänderung im jüdischen Volk führte.

Als zehn der zwölf Boten üble Gerüchte über das Heilige Land unter das jüdische Volk brachten, erzählt die Thora, wie ganz Israel sich gegen Mose erhob und die Fähigkeit G-ttes das Volk in das Land Israel zu führen anzweifelte, sodass sie sogar die Ernennung eines neuen Führers erzwingen wollten. Aber nachdem G-tt über sie Seinen Zorn ausschüttete und über das Volk die vierzigjährige Wüstenwanderung verhängte, änderte sich auf einmal die Volksmeinung, und plötzlich kamen sie zu Mose und versprachen: Hier sind wir um hinaufzuziehen zu dem Ort, von dem G-tt gesprochen hat.2

Der Grund für ihren Aufstand war ja ihre Kleingläubigkeit, dass G-tt sie nicht in das Gelobte Land bringen könnte. Sahen sie, nur weil G-tt über sie zürnte, das Gegenteil bewiesen, sodass Israel plötzlich von der Allmacht G-ttes überzeugt war und blitzschnell seine Meinung änderte?

Egozentrik

Die Thora lehrt uns hiermit einen psychologischen Grundsatz: Jeder Mensch will das Richtige tun, insbesondere der Jude den Willen seines Schöpfers! Wenn er dennoch ein fehlerhaftes Verhalten zeigt und es durch alle möglichen Argumente zu rechtfertigen versucht, ist das einzig und allein sein „Egozentrisches Ich“ (in der jüdischen Mystik die „tiergleiche Seele“ genannt), das dabei zum Ausdruck kommt. Durch die Abschwächung und Unterdrückung des „Egozentrischen Ichs“ fallen auch alle von ihm stammenden Ausreden und Argumente weg, und das wahre Ich des Menschen kommt zum Vorschein.3

Als G-tt über das Volk zürnte, zerschlug Er auf einmal das „Egozentrische Ich“ in den Kindern Israels, das in jenen Momenten die Oberhand über sie gewonnen hatte, und schon waren keine Beweise für die Fähigkeit G-ttes sie ins Heilige Land zu führen nötig.

Nun verstehen wir auch Awrahams Verhalten. Denn als er Reisende sah, welche so sehr von ihrer tiergleichen Seele gelenkt wurden, dass sie kein Wort von Awrahams Erklärungen zu G-tt einsahen, hatte er keine andere Wahl als etwas Druck auf sie auszuüben, um so ihre Egozentrik einzudämmen. So konnten die Worte Awrahams bei ihnen Gehör finden, und so konnten sie G-tt schließlich auf ehrliche Weise danken.

(Likutej Sichot, Band 15, Seite 122)