Wir können die Mizwot, die Gebote, die G-tt den Menschen auferlegt hat, in drei Gruppen einteilen:

Mischpatim: Soziale Regeln, die denen jeder Gesellschaft ähneln.

Edut: Das Vermächtnis unserer Kultur und Geschichte. Jede Gesellschaft möchte, dass ihre Vergangenheit lebendig bleibt.

Chukim: Überrationale Gebote, die nur G-tt versteht und die Sterbliche nur befolgen, weil sie gläubig sind.

Der neue Wochenabschnitt heißt Mischpatim. Er handelt also von der ersten Kategorie, den sozialen Geboten, die eine logische Grundlage haben. „Und dies sind die Mischpatim, die ich vor euch lege“, beginnt der Text.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Text mit „und“ anfängt. Darum zieht der Midrasch einen Vergleich zwischen diesem Tora-Abschnitt und dem vorigen. Der Zusammenhang ist enger als zwischen anderen benachbarten Abschnitten. Jitro, der vorige Wochenabschnitt, handelte von den zehn Geboten am Sinai. Diese stellen die weltliche Moral den g-ttlichen Geboten gegenüber, um uns daran zu erinnern, dass vernünftige Urteile ebenfalls auf dem Willen G-ttes basieren müssen, nicht auf den Regeln der Gesellschaft. Mischpatim erläutert dieses Prinzip genauer.

Schon vor etwa sechzig Jahren, noch vor den folgenden sozialen Umwälzungen, fragten sich viele Menschen: „Warum muss G-tt mir sagen, dass ich gut sein soll? Das weiß ich selbst! Ich kann mein eigener Maßstab sein. Die Gesellschaft kann selbst festlegen, was akzeptabel ist und was nicht.“ In jüdischen Kreisen verengte sich die Frage: „Kann ich nicht ein guter Mensch sein, ohne ein guter Jude zu sein? Kann ich nicht ein guter Jude sein, ohne koscher zu leben und den Schabbat einzuhalten?“ Die soziale Gerechtigkeit der biblischen Überlieferung behielt einen gewissen Wert, soweit sie mit dem Zeitgeist übereinstimmte. Es gab viele weltliche Bewegungen mit sozialen Anliegen, und sie haben eine Menge erreicht. Der Menschheit ging es gut – mit oder ohne g-ttliche Gebote, das war unwichtig.

Im gesellschaftlichen Aufruhr der Siebziger änderte sich die Frage: „Warum gut sein? Was du gut nennst, ist gut für dich; und was ein anderer gut nennt, ist gut für ihn.“ Das Wort „gut“ wurde so stark reduziert, dass man es leicht manipulieren und entwerten konnte. Die vorige Generation erkannte nicht, dass dies die logische Folge eines Kurses war, den sie selbst eingeschlagen hatte, und sie merkte nicht, wie tief auch sie in der biblischen Tradition verwurzelt und wie sehr sie ihr verpflichtet war.

Die Gesellschaft beurteilt alles subjektiv. Aber ein subjektives Urteil kann nie die ganze Wahrheit sein. Selbst wenn unser Urteil einmal mit der Wahrheit übereinstimmt, dürfen wir nicht vergessen, dass beide verschiedenen Quellen entspringen und unterschiedliche Ziele haben.

Es ist empfehlenswert und notwendig, Jiddischkeit auch intellektuell zu erforschen. Aber es ist unerlässlich, das Heilige, das G-ttliche zu respektieren, das zur Jiddischkeit gehört. „Ich bin der H-rr, euer G-tt ... Und dies sind die Mischpatim, die ich vor euch lege ... Wenn einer einen anderen schlägt ... Wenn ein Ochse einen Menschen verletzt ... Wenn ein Mensch eine Grube gräbt ...“ Das alles sind Gesetze, die eine Gesellschaft regieren. Oberflächlich betrachtet sind sie weltlicher Natur. Aber wenn wir sie bis zu ihren Wurzeln verfolgen, sind sie heilig, gerecht und ewig.