Chanukka kann traditionell von zwei verschiedenen Perspektiven her betrachtet werden:

  1. Eine rabbinische Quelle erkennt eine Sprachverwandtschaft zwischen Chanukka und Chinuch, das ist Weihung und Einweihung. In diesem Sinne kommt dieses Wort in Ausdrücken vor wie: Chanukkat Hamisbeach Weihung des Altars) und Chanukkat Beth Hamikdasch (Einweihung des Heiligtums), womit in beiden Fällen ein Beginn angezeigt ist, ein Neu-Anfang für den G-ttesdienst (im Heiligtum ganz allgemein oder auf dem Altar oder mit der Menora im Besonderen).
  2. Das Wunder von Chanukka bestand darin, wie der Talmud (Schabbat 21b) berichtet, dass ein Krüglein reinen Öls; mit dem ungebrochenen Siegel des Hohepriesters versehen, vorgefunden wurde. Nach dem strengen Tora-Gesetz wäre es erlaubt gewesen, das Licht der Menora im Heiligtum auch mit entweihtem Öl anzuzünden, denn (Talmud, Pessachim 80a) "Unreinheit ist aufgehoben, oder erlaubt, wenn es sich um die ganze Gemeinschaft handelt": Trotzdem hat der Ewige, aus Liebe für Israel, ein Wunder getan, wodurch nicht nur die Mizwa (des Entzündens der Menora) von neuem verrichtet werden konnte, sondern wodurch dies in uneingeschränkter Weise erfolgen konnte, ohne dass man auf legale Ausnahmefälle zurückgreifen musste, wenn auch diese fraglos im jüdischen Gesetzeskodex verankert sind.

Daraus ist klar zu entnehmen, dass eine Handlung von Heiligung und Weihung ab initio getan werden sollte, also gleich von Anfang an, vom ersten Stadium der Weihung, in absoluter Vollkommenheit, in idealster Form.

Derselbe Grundsatz nun gilt – sogar in noch größerem Maße – für den Chinuch (das ist: die Erziehung) von Jungen und Mädchen: Gleich von Anfang an, von frühester Kindheit an müssen wir ihnen Jüdischkeit in Vollständigkeit übermitteln, ohne Kompromisse oder vorhandene – und durchaus legitime - Ausnahmefälle in Anspruch nehmen zu wollen.

Man kann sich nicht darauf verlassen, dass das Kind "auch im Alter nicht davon abweichen" wird (s. Sprüche Salomons 22, 6), wenn man wartet, bis das Kind heranreift und in die Welt geht, und es erst dann darüber belehrt, dass es geistig zu kämpfen hat und sich nicht durch Hindernisse und Schranken abschrecken lassen darf. Wenn es uns wirklich darum zu tun ist, dass es alle Schwierigkeiten meistern kann, selbst "im Alter", dann müssen wir (wie es der gleiche Vers aus den Sprüchen besagt) mit der Erziehung beginnen, wenn es noch ein "Na'ar", ein kleines Kind, ist.

Aus eben diesem Grunde rangen die Weisen Israels darum, dass die Erziehung (Chinuch) der jüdischen Mädchen und Knaben in unbeeinträchtiger Weihe und Hingabe vor sich ging. Sie kämpften um jede Einzelheit und gegen jeden Kompromiss. Sie waren sich bewusst, dass die Kinder gefestigt sein mussten, um in den vielen Kämpfen ihres zukünftigen Lebens bestehen und siegen zu können.

Der Mensch wird mit einem Baume verglichen (Deut. 20, 19, und s. Talmud, Taanit 7a). Wenn man in einen völlig ausgewachsenen Baum eine Kerbe schneidet, dann hinterlässt dies eine Narbe allein an der tatsächlichen Stelle des Einschnittes, und kein weiterer Schaden ist angerichtet. Wenn wir aber einen Einschnitt in das Samenkorn machen zu einer Zeit, da es im Boden erst eingepflanzt wird, dann ist es leicht möglich oder sogar wahrscheinlich, dass später der ganze Baum verkrüppelt sein wird.

Dasselbe gilt im Bereiche der Erziehung: Wenn ein älterer Mensch, der schon die Hälfte seines Lebens hinter sich hat, glaubt, einen Kompromiss machen zu müssen, dann wird er davon für eine nur verhältnismäßig kurze Zeit betroffen sein. Er kann ja immerhin von dem viele Jahre vorher angelegten "Vorrat" von Jüdischkeit zehren und dadurch widerstandsfähig bleiben. Wenn aber junge Menschen gleich von Anfang an mit Kompromissen genährt und so aufgezogen werden, dann fehlt ihnen die Begeisterung und Freude an jüdischen Werten für ihr ganzes weiteres Leben, sofort und von vorneherein. Durch diesen "Einschnitt" zur Zeit, da das Samenkorn gepflanzt wird, könnten sie, G-tt behüte, zu "verkrüppelten Juden" auf Lebenszeit werden.

So denn sind die beiden genannten Gesichtspunkte von Chanukka auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.