Der Abschnitt aus der Tora, der am ersten Tag von Rosch Haschana gelesen wird, beschreibt eine äußerst dramatische und fesselnde Szene. Er schildert die tragischen Erlebnisse von Hagar und ihrem einzigen Sohn Jischmael, die in der Wüste verloren gingen. Als sie das Haus von Abraham verließen, nahm Hagar eine kleine Flasche Wasser mit. Das eigentliche Problem begann, als das Wasser endlich aufgebraucht war. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihr Zustand verzweifelt. Denken Sie an ihre Notlage! Da war sie nun, verloren inmitten der scheinbar endlosen Weiten glühend heißen Sandes, ohne Schutz vor der sengenden Sonne und ohne einen Tropfen Wasser, um die ausgetrockneten Lippen ihres einzigen Kindes zu befeuchten. Die Frau konnte es irgendwie schaffen, ihren eigenen Durst zu bestehen, aber sie konnte einfach nicht tatenlos zusehen, wie ihr Junge schrecklich litt. In ihrer völligen Verzweiflung setzte sie Jischmael unter einen der vertrockneten Sträucher und setzte sich in einiger Entfernung hin und weinte. Plötzlich erschien ein Engel des Haschem und fragte sie: „Mah lach Hagar“ – „Hagar, warum weinst du?“

Diese Frage hat mich schon immer fasziniert. Der Engel muss doch gewusst haben, warum Hagar weinte. Ein Blick genügte, um die Tragödie zu erkennen, die sich da gerade abspielte. Was würde jede andere Mutter unter ähnlichen Umständen tun? Wir haben schon oft erlebt, dass Mütter zusammenbrachen, wenn ihre Kinder in relativ kleine Unglücke verwickelt waren – selbst nach einem kleinen Schnitt, der ein paar Stiche in der Haut ihrer Lieblinge erforderte. In diesem Fall, als ihr einziges Kind dem Tode nahe war, war es für Hagar ganz normal, ihrem Weinen und Klagen Luft zu machen. Warum fragte der Engel dann: „Mah lach Hagar“ – „Hagar, warum weinst du?“ Sie weinte wegen ihrer Zorot!

Offensichtlich lautete die Frage des Engels nicht einfach: „Warum weinst du?“, sondern sollte als Ausruf gelesen werden: „Mah lach Hagar“ – „Was ist los mit dir, Hagar! Erfüllst du deine Pflicht als Mutter? Ist dies der richtige Zeitpunkt für Weinen und Selbstmitleid? Du kannst selbst sehen, dass dein Weinen und Klagen absolut nichts bewirkt. Sie werden weder den Durst deines Kindes stillen noch dich aus der Wüste bringen. Sitz nicht untätig herum, während dein Junge in Todesqualen liegt.

„Kumi“ – „Steh auf! Steh auf und suche nach Wasser. Dreh jeden Stein um, den du siehst. Reiß jeden vertrockneten Strauch aus. Und wenn du dann immer noch kein Wasser finden, grabe mit bloßen Händen tief in den Sand der Wüste und vielleicht entdeckst du eine verborgene Quelle. „Steh auf und nimm dein Kind auf die Arme“, tröste es und kämpfe mit aller Kraft um sein Überleben. Das ist es, was du in diesem Moment tun sollst, anstatt dazusitzen und zu weinen und nichts zu tun, um ihm oder sich selbst zu helfen."

Glücklicherweise hat diese Geschichte ein Happy End. Durch die scharfe Zurechtweisung des Engels aufgerüttelt, beschloss Hagar, seinen Rat zu befolgen. Sie stand auf und begann eine verzweifelte Suche nach Wasser. Dann kam die Rettung: „Sie öffnete ihre Augen und sah einen Brunnen mit lebendigem Wasser.“ Sie ging und gab ihrem Kind Wasser und löschte seinen Durst. Nun ist im Text ganz deutlich davon die Rede, dass kein neuer Brunnen geschaffen wurde, um die Bedürfnisse von Hagar und ihrem Sohn zu stillen. Der Brunnen war schon immer da. Hagar hatte ihn nur nicht gesehen. Ihre Sicht war durch die Tränen in ihren Augen getrübt. Das Wunder bestand darin, dass Hagar der g-ttlichen Stimme gehorchte, indem sie aufhörte zu weinen und anfing, etwas gegen ihre Probleme zu unternehmen. In diesem Moment wurden ihr die Augen geöffnet und sie sah das Wasser, das schon seit Anbeginn der Zeit da war.

Diese rührende Geschichte von Hagar lässt sich in vielerlei Hinsicht auf das Leben in der heutigen Gesellschaft übertragen. Viele Eltern haben um Rat und Hilfe in Bezug auf ihre Kinder gebeten. Leider sind sie mit der Art und Weise, wie sich ihre Kinder spirituell entwickeln, nicht zufrieden, und noch schlimmer, sie sind mit dem absoluten Fehlen jeglicher Spiritualität in ihrem Leben unzufrieden. Im Laufe des Gesprächs sagen sie oft verzweifelt: „Was können wir tun, wir leben in Amerika!“ Die Antwort für sie und viele andere lautet: „Weinen und Aufgeben führen zu keinen positiven Ergebnissen. Es ist die Pflicht der Eltern, ihr Kind zu fördern und mit ihm am Werk zu sein. Eltern müssen sich darüber im Klaren sein, dass es ohne Investitionen in ihr Kind und ohne das Vertrauen darauf, dass Jiddischkeit durch einen Osmose-Prozess in das Kind eindringt, in den kommenden Jahren nur sehr geringe Chancen gibt, Enttäuschungen zu vermeiden.

Ich möchte mit der Wiederholung der engelsgleichen Botschaft an Hagar schließen. Eltern, „Kumi“ – „Stellt euch der Herausforderung“ – es hängt alles von Ihnen ab. „Se'i et hana'ar“ – „hebt das Kind“ – auf höhere spirituelle Ebenen und Bestrebungen, und dann werden Sie in den kommenden Jahren tatsächlich mit einer Fülle von Nachas gesegnet sein.

(הרב דוב אריה ז"ל בערזאן)