I. Dieser Schabbat wird Schabbat Chason genannt.1 Der heilige R. Levi Jizchak von Berditschew kommentiert, dass dieser Begriff darauf hinweist, dass es eine Chisajon (Vision) des dritten Bet haMikdasch gibt, dass es allerdings eine Vision aus der Ferne ist.2 Das ist das Konzept von Schabbat Chason.

In diesem Zusammenhang können wir die Beziehung zwischen Schabbat Chason und Paraschat Dewarim verstehen, denn diese beiden fallen immer zusammen.3

Paraschat Dewarim ist der Anfang des Buches Dewarim, das Mischne Tora („Deuteronomium“ – Wiederholung der Tora) genannt wird. Es gibt zwar nur eine Tora, und sie ist in ihrer Gesamtheit eine einzige Einheit.4 Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen dem Buch Mischne Tora und den vier vorangehenden Büchern.5 Mischne Tora wurde zu der Generation gesagt, die in das Land Israel einzog und die über verschiedene Dinge gewarnt wurde, die vorher nicht betont werden mussten.6

Die frühere Generation, die als Dor haMidbar (die Generation, die [Ägypten verließ und] durch die Wüste wanderte) bezeichnet wird, war eine „Dor De-a – eine Generation des Wissens“7, bezogen auf die Ebene von Mosche, der in der Lage war, die G-ttlichkeit wahrzunehmen. Die Generation, die das Heilige Land betrat, war jedoch mit weltlichen Realitäten beschäftigt, die einen Mangel in ihrer Wahrnehmung der G-ttlichkeit verursachten. Bei letzteren war es nicht mehr als eine Ebene des „Hörens“ (im Gegensatz zum „Sehen“), wie es geschrieben steht: „Und nun, Israel, höre ...“8

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen „Sehen“ und „Hören.“9 „Sehen heißt glauben“, d. h., etwas zu sehen, lässt keinen Zweifel an seiner Realität. Beim Hören hingegen ist man zum Zeitpunkt des Hörens beeindruckt, aber wenn man den Gegenstand später hinterfragt, ist es möglich, dass man ihn ganz verwerfen kann. Beim Hören ist es also so, dass es zwar in dem betreffenden Moment Sinn macht, aber nur in einem begrenzten Ausmaß.

Als die Mischne Tora, das Buch Dewarim, der Generation gegeben wurde, die das Heilige Land betrat und sich nur auf der Ebene des „Hörens“ befand, war es daher notwendig, Begriffe wie Mesirat Nefesch (Bereitschaft zur Selbstaufopferung) zu betonen,10 im Gegensatz zur Generation der Wüste, die dies nicht nötig hatte.

Obwohl die spätere Generation auf einer niedrigeren Stufe stand als ihre Vorgänger, hatte sie dennoch einen Vorteil gegenüber der Generation der Wüste. Von letzteren heißt es: „Denn ihr seid noch nicht zu der Ruhestätte und dem Erbbesitz gekommen“11, womit Schilo und Jeruschalajim gemeint sind.12 Diese wurden erst erworben, nachdem das Volk in das Land Israel eingezogen war. Denn gerade durch diesen Abstieg in die Beschäftigung mit weltlichen Angelegenheiten würde das Endziel, „die Ruhestätte und den Erbbesitz“ zu erbauen, erreicht werden.

Der Schabbat von Paraschat Dewarim, dem Beginn der Mischne Tora, zeigt also die Verbindung zweier Gegensätze: Einerseits ist es ein bedeutender Abstieg, doch genau dieser Abstieg bewirkt den endgültigen Aufstieg.

Dieselbe Idee der Verbindung von Gegensätzen zeigt sich auch im Aspekt von Schabbat Chason: Einerseits ist es der Schabbat, der in den „neun Tagen“13 stattfindet, und zwar der Schabbat vor Tischa beAw – dem Datum des Churban (Zerstörung des Heiligen Tempels). Andererseits wird gerade durch diesen Abstieg der ultimative Aufstieg erreicht, wie es R. Levi Jizchak von Berditschew ausdrückt, dass es am Schabbat Chason eine Vision des dritten Bet haMikdasch gibt, der die beiden vorherigen übertrifft, möge er schnell in unseren Tagen von unserem gerechten Maschiach erbaut werden.

(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Dewarim 5715)