Das Gebot des Omerzählens führte zu einem Streit zwischen unseren Meistern und den Bitussiten (einer jüdischen Sekte zur Zeit des Zweiten Tempels, die nicht an die mündliche Überlieferung glaubte). Über das Omerzählen schreibt die Thora: Und ihr sollt zählen am nächsten Tag, nach Schabbat.1 Die Bitussiten behaupteten, dass „am nächsten Tag nach Schabbat“ Sonntag gemeint ist. Im Talmud werden die Beweise unserer Meister angeführt, dass mit „Schabbat“ eigentlich „Pessach“ gemeint ist; die Omerzählung also am nächsten Tag nach Pessach beginnt.2

Es stellt sich aber die simple Frage: Warum verwendet die Thora einen Ausdruck, der falsch interpretiert werden könnte und schreibt nicht einfach ausführlich „am nächsten Tag nach Pessach“!? Sicher sollen wir daraus eine Lehre bezüglich der Omerzählung ziehen.

Drei Schritte

Die Omerzählung ist der zweite Schritt eines Prozesses, der mit dem Auszug aus Ägypten begann und zum Schawuot-Fest endet. In Ägypten befand sich das jüdische Volk in „den 49 Toren der Unreinheit“3, bei Thoraerhalt waren sie so rein wie die Engel. Diese drastische Wende erfolgte in drei Schritten. Zuerst ereignete sich die Befreiung aus der Unreinheit (im Monat Nissan), danach folgte die innere Lauterkeit und Reinheit der Seele durch die Omerzählung (im Monat Ijar) und abschließend fand der Thoraerhalt statt (im Monat Siwan).

Diese drei Schritte finden in folgendem Vers von Schir HaSchirim Ausdruck: Ziehe mich, nach Dir lass uns eilen, mich brachte der König in seine Gemächer:4

„ziehe mich“ – der Auszug aus Ägypten, als G-tt das jüdische Volk zu sich zog;

„nach dir lass uns eilen“ – die Zeit der Omerzählung, in welcher das jüdische Volk sich innerlich reinigte und G-tt von sich aus näher kam;

„mich brachte der König in seine Gemächer“ – der Thoraerhalt, an dem es zu einer starken Bindung zwischen G-tt und dem jüdischen Volk kam.

Viehnahrung

Die Getreidegabe, die man am ersten Omertag darbrachte, war aus Gerste, welche als Nahrung für das Vieh galt. Die meisten Getreideopfer waren hingegen aus Weizen. Dies hängt mit dem tieferen Sinn der Omerzählung zusammen, nämlich die Reinigung und Korrektur der schlechten Eigenschaften im Menschen, die von der tiergleichen Seele entspringen.

Zur Omerzeit soll man seine körperlichen Begierden, wie auch negativen Eigenschaften korrigieren, um sie für den Dienst an G-tt zu gebrauchen (z.B. die Lust nach äußerer Schönheit auf die Lust nach den Mitzwot, sie auf vorzügliche (schöne) Weise zu erfüllen, zu korrigieren; den Zorn auf andere in Selbstkritik an sich zu korrigieren). Deshalb steht jener Teil im Vers, der über die Omerzeit handelt, im Plural: „nach dir lass uns eilen“. Denn durch die Arbeit an der Seele zur Omerzeit bringt man die tiergleiche Seele dazu, sich mit der g-ttlichen Seele zu verbünden, um gemeinsam (zwei Seelen) G-tt zu dienen.

Hilfe von oben

Sich derart zu verändern erfordert viel Kraft. Die besondere Kraft, die G-tt dem Menschen bei dieser Aufgabe gibt, ist im Vers Und ihr sollt zählen am nächsten Tag, nach Schabbat angedeutet, wie ihn die Lehre der Chassidut interpretiert:5 וספרתם (zählet) kommt von ספיר , was „leuchten“ bedeutet. G-tt sagt: Ich werde euch ein besonderes Licht leuchten lassen, und zwar „am nächsten Tag, nach Schabbat“: es ist ein solches Licht, das sogar nach (in Bedeutung von über) der Heiligkeit des Schabbats steht!

Wie gewusst, steht der Schabbat für eine enorme Heiligkeit. Dennoch gehört der Schabbat zur Schöpfung, welche begrenzt ist. Somit ist auch die Heiligkeit des Schabbats begrenzt. Um jedoch die tiergleiche Seele zu korrigieren, lässt G-tt sogar ein Licht wirken, dass über dem Schabbat steht.

Deshalb sagt die Thora „nach Schabbat“ und nicht „nach Pessach“, um aufzuzeigen, welche großen Kräfte G-tt uns zur Omerzeit in die Hände gibt und wie viel Energie im Gebot der Omerzählung steckt, damit wir unsere Seelen reinigen und auf den Thoraerhalt vorbereiten.

(Likutej Sichot, Band 1, Seite 265)