Was erwarten Sie von einem unbearbeiteten Feld? Dornen und Unkraut. Es wäre ein Wunder, wenn darauf brauchbare Feldfrüchte wüchsen. Wenn sich niemand um ein Geschäft kümmert, wird das Inventar gestohlen, und es liefert keinen Gewinn. Das spiegelt eine Grundregel unseres Lebens wider: Ohne Fleiß kein Preis. Es gibt keine Spiritualität ohne Opfer, und niemand darf hoffen, sich weiterzuentwickeln, wenn er sich nicht anstrengt. Diese Lektion lernen wir vom Sefirat HaOmer, dem Omer-Zählen, das zu den Feiertagen Pessach und Schawuot gehört. Vor dem Exodus sagt G–tt zu Mosche: „Wenn du das Volk aus Ägypten geführt hast, wirst du G–tt auf diesem Berg dienen.“ Wie Schuljungen, die vor dem Beginn der Ferien die Tage zählen, haben auch die Juden eifrig die Tage bis zum Empfang der Tora am Berg Sinai gezählt. Und seither zählen wir jedes Jahr die 49 Tage vom zweiten Pessach-Tag bis Schawuot, um G–ttes Gebot zu erfüllen und den Omer zu zählen.
Aber wir zählen nicht nur Tage. Unsere mystische Tradition, die Kabbala, lehrt, dass unsere emotionale Persönlichkeit 49 Eigenschaften hat. Jeder Tag, den wir zählen, entspricht einer dieser Eigenschaften. Wenn wir den Omer zählen, sollten wir uns und unseren Charakter gleichzeitig läutern und uns bemühen, empfindsamer zu werden und uns weiterzuentwickeln.
Darauf spielt auch das hebräische Wort sefira an, das „zählen“ bedeutet. Jeden Abend zählen wir einen dieser 49 Tage. Aber sefira bedeutet auch „strahlend“. Während der 49 Tage streben wir danach, durch unsere Persönlichkeit zu strahlen.
An Pessach befreite G–tt die Juden aus der Knechtschaft. Sie erlebten g-ttliche Wunder von enormer Größe. Dennoch blieb das innere Selbst der Menschen – wer sie waren und wie sie dachten – unverändert. G–tt holte die Juden aus Ägypten, aber er holte Ägypten nicht aus den Juden. Diese Aufgabe, die Entwicklung einer spirituellen Persönlichkeit, überließ er den Menschen.
Das ist mehr als eine Geschichte aus der Vergangenheit. Jedes Jahr an Pessach führt G–tt uns aus Ägypten und gibt uns die Chance, spirituelle Freiheit zu erfahren. Doch nach Pessach verlangt er von uns, diese Erfahrung zu verarbeiten und unsere spirituellen Gipfel in unsere Persönlichkeit zu integrieren. Er überträgt uns die Verantwortung dafür.
Wir können nicht erwarten, dass spirituelles Wachstum und höheres Bewusstsein sich von selbst einstellen oder dass der Himmel sie uns immer wieder schenkt. Das Judentum hat immer Wert auf Eigeninitiative gelegt. Wir müssen selbst dafür sorgen, dass wir uns ändern.
Das Omer-Zählen symbolisiert das systematische Streben, sich zu bessern. In diesen Tagen konzentrieren wir uns darauf, wer wir sind, wohin wir gehen und was wir tun können, damit der Wandel dauerhaft wird. Wir integrieren unser „Selbst“ – die Art und Weise, wie wir gewöhnlich denken und fühlen – in unser „höheres Selbst“, das angeborene spirituelle Potenzial, das wir alle haben. So bereiten wir uns auf Schawuot vor und erleben den Empfang der Tora neu. Dadurch können wir uns und unsere Umwelt in eine Wohnung G–ttes transformieren.
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