„Er hüllt sich in Licht wie in ein Gewand … …“1 In Likkutej Tora unseres Meisters R. Jizchak Lurja sel. A., Abschnitt Ki Tissa und Abschnitt Wajikra, wird festgehalten, dass unser Meister Mosche, Friede mit ihm, den inneren Aspekt der Oberen Chochma, der „Abba von Azilut“ genannt wird, nicht begriff, und erst recht nicht die Sefiravon Keter, Arich Anpin genannt, die [Chochma] übersteigt. [Er begriff] vielmehr den äußeren Aspekt von Chochma, der in Bina gekleidet ist, die wiederum in die sieben unteren Sefirot – Se’ir Anpin, der mystische Grundsatz der Tora genannt – gekleidet ist. [Obere Chochma] erstreckt sich bis zum Ende der vier niedrigsten Sefirot: Nezach, Hod, Jesod und Malchut. Dort begreift die Prophetie [Mosches] den inneren Aspekt, d.h. den inneren Aspekt von Nezach, Hod, Jesod und Malchut. Den inneren Aspekt der über Nezach-Hod-Jesod-Malchut hinausgehende Stufen begreift er indes nicht im Geringsten, bloß den rückseitigen Aspekt von Chochma, der in Bina gekleidet ist, die wiederum in Penimijut von Nezach-Hod-Jesod-Malchut gekleidet ist und sich darin verbreitet. Dies ist der mystische Grundsatz von „Der welke Überrest Oberer Chochma ist Tora“2, auf der Stufe von Se’ir Anpin. So steht geschrieben: „So wirst du Meine Rückseite [Achoraji] schauen; mein Angesicht [Panaj] aber kann nicht gesehen werden.“3 Siehe dort, und in Schaar HaNevua, Kap. 1.
Nun erscheint dies recht überraschend, wurde doch gesagt: „Es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mosche.“4 Wie also begriff unser Meister R. Jizchak Lurja sel. A. mehr als er, und behandelte zahlreiche Konzepte in Zusammenhang mit Penimijut, sogar von zahlreichen Sefirot und Stufen, die Chochma und Keter von Azilutüberragen?
Es ist indes jedem klar und verständlich, dass zwischen dem Begreifen der Kabbalisten, wie R. Schimon bar Jochai und unser Meister R. Jizchak Lurja sel. A., das ein Begreifen mittels Weisheit und Wissen ist – und dem prophetischen Erfassen unseres Meisters Mosche, Friede mit ihm, und der anderen Propheten, das in der Tora als tatsächliches Sehen beschrieben wird, ein bedeutender Unterschied besteht. „So wirst du Meine Rückseite schauen“5; „Und ich sah G‑tt“6; „Und der Ew‑ge erschien ihm“7. Obschon [der Begriff „Sehen“] als Metapher verwendet wird und nicht tatsächliches Sehen mit dem physischen Auge aus Fleisch beschreibt8, hat das Vergleichsobjekt nichtsdestoweniger dem Beispiel zu ähneln. So übersetzt auch der Targum das genannte „Wajera Ejlaw HaSchem“9 mit „Und [der Ew‑ge] wurde ihm offenbart etc. pp.“, somit eine Offenbarung andeutend, dass sich ihm der verborgene G‑tt, gesegnet sei er, in einem Aspekt der Offenbarung offenbarte. Dies trifft beim Begreifen der Kabbalisten nicht zu. Ihnen offenbarte sich G‑tt, gesegnet sei Er, nicht auf manifeste Weise; sie begreifen vielmehr die Geheimnisse der Weisheit, das, was ihnen verborgen und von ihnen entfernt ist. [Unsere Meister sel. A.] sagten daher: „Ein Weiser ist besser als ein Prophet“10, denn durch seine Weisheit kann er weit über die Stufen hinaus begreifen, die durch Offenbarung zu den Propheten in ihrer prophetischen Vision herabkommen können. Denn bloß die niedrigsten Stufen, die Stufen von Nezach-Hod-Jesod-Malchut nämlich, können zu [den Propheten] herabsinken und ihnen offenbart werden. Sind sie es doch, die stets absinken und vom Emanator zum Empfänger im Aspekt Mochin und Lebenskraft offenbart werden. So ist den Kennern der verborgenen Weisheit bekannt, dass sich Nezach-Hod-Jesod-Malchut der höheren [Ebene] in die niedrigere [Ebene] kleiden, um sie zu beleben11. Sie sind die Kelim der Strömung und des Hinabtragens der Lebenskraft vom Höheren zum Niederen, in allen Welten und auf allen Stufen. Daher sind auch sie es, die den Propheten im Aspekt tatsächlicher Offenbarung offenbart werden. In diese [vier Sefirot] ist das Licht der Bina gekleidet, der Aspekt des Verständnisses von G‑ttlichkeit aus dem Licht des gesegneten Ejn Sof12.
Und in [Bina] sind die äußerlichen Aspekte von Chochma gekleidet, die eine Stufe darstellen, die den Intellekt und das Verständnis der gesegneten G‑ttlichkeit überragt. Denn der Begriff Chochma weist auf den Ursprung von Intellekt und Verständnis13. Deshalb wird im Sohar festgestellt: „Die Tora geht aus Chochma hervor.“14 Denn die Gründe für die Gebote wurden nicht offenbart15; sie übersteigen Intellekt und Verständnis16. Und selbst an gewissen Stellen, wo ein uns scheinbar verständlicher Grund offenbart und erklärt wurde, ist dieser Grund alleine, der uns verständlich scheint, nicht der allumfängliche und volle Grund; vielmehr sind in ihn der innerste Kern und die mystischen Grundsätze der Chochma gekleidet17, Intellekt und Verständnis übersteigend. Dasselbe gilt für jedes einzelne Wort, das den Mund des H.g.s.E. zu den Propheten verließ, wie im Tanachfestgehalten ist – handle es sich um Worte der Zurechtweisung oder die Erzählung von Begebnissen. In sie ist ein Aspekt g‑ttlicher Chochma gekleidet, der Intellekt und Verständnis übersteigt. Dies ist beim Grundsatz des Kri und Ktiv augenscheinlich18. Kririchtet sich nach dem uns offenbarten Verständnis, während Ktiv Intellekt und Verständnis übersteigt. Das heißt, ein bestimmtes Wort in seiner geschriebenen Form verfügt über kein verständliches „Gewand“, wohingegen es beim mündlichen Lesen sehr wohl über ein [solches] „Gewand“ verfügt19. Dasselbe gilt für die großen Buchstaben in Tanach20; sie stammen aus einer erhabenen Welt und leuchten von dort in Offenbarung, und nicht durch ein Gewand wie die übrigen Buchstaben.
Nun wird der Aspekt der g‑ttlichen Chochma des Gesegneten, der in die 613 Toragebote gekleidet ist, als rückseitiger Aspekt [Achorajim] der Chochma bezeichnet. Denn all die Achorajim in den Sefirot stellen die äußeren und niedrigen Stufen in der Abstufung innerhalb dieser Sefira dar, die in der Lage sind, abzusinken und sich nach unten zu erstrecken, sich in die Geschöpfe zu kleiden, um sie zu beleben. Der Aspekt Panim [„Angesicht“] ist die Sefira selbst, wie sie mit ihrem Emanator, dem gesegneten Ejn Sof, in vollkommener Einheit vereint ist. Die Sefira Chochma beispielsweise ist mit ihrem Emanator, dem gesegneten Ejn Sof, in vollkommener Einheit vereint, da der H.g.s.E. und Seine Weisheit eins sind (wie oben erklärt wurde21). Was jedoch von der Chochma des Gesegneten ausstrahlt und sich zu den begrenzten und endlichen Wesen hienieden erstreckt und sich in sie kleidet, wird Achorajim genannt. Es wird auch als der Aspekt von Assija in Azilut bezeichnet. Die Bedeutung dessen wird anhand einer Analogie mit dem irdischen Menschen verständlich, dessen Seele fünf Stufen umfasst, eine niedriger als die andere. Dies sind die Aspekte des Intellektes, die emotionalen Attribute, Gedanke, Wort und Tat, mit der Tat als allerniedrigste [Stufe]. Denn die Lebenskraft, die sich von der Seele verbreitet und in die Tatfähigkeit gekleidet wird, ist wie Nichts im Vergleich mit der Lebenskraft, die sich von der Seele ausbreitet und in das Sprachvermögen gekleidet wird. Letztere ist wie Nichts im Vergleich mit der Lebenskraft, die sich von [der Seele] aus verbreitet und in Gedanke, Attribute und Intellekt gekleidet wird.
Genauso verhält es sich mit der Chochma des Gesegneten – was von ihr Ausbreitung finden kann, um sich in all die niederen Wesen zu kleiden22, ist wie Nichts im Vergleich mit dem [Aspekt] Panim, der mit dem gesegneten Emanator vereint ist. Denn „vor Ihm wird alles wie Nichts betrachtet.“23 Die Strömung zu allen Geschöpfen, die begrenzt und endlich sind, wird gegenüber seinem Emanator, dem gesegneten Ejn Sof, gewissermaßen als Abstieg und Beschränkung betrachtet, so wie es, metaphorisch gesprochen, für den Intellekt einer tiefsinnigen Person als Abstieg und Beschränkung betrachtet würde, auf eine gewisse, gänzlich physische und materielle Handlung beschränkt zu sein.
Unser Meister Mosche, Friede mit ihm, der bis zum rückseitigen Aspekt von Chochma begriff, gewann daher das Anrecht, dass die Tora durch ihn gegeben wurde – [weil die Tora] „der welke Überrest der Chochma droben“ ist, d.h. das, was von ihr abfällt und herabsinkt und in unsere physische Tora gekleidet wird. Denn Kern und letztendliches Ziel [der Tora] ist die Erfüllung der Ver- und Gebote in konkreter Wirklichkeit und Ausführung in Übereinstimmung mit dem Ausspruch „Auf dass du sie heute ausübest“24. Und „Torastudium ist größer, da es zur Ausführung führt.“25 Und „wer mit der Absicht lernt, nicht auszuführen, für den wäre es besser, hätte sich seine Plazenta [über sein Gesicht] gestülpt etc. pp.“26 In der Tat muss jeder Mensch wiedergeboren werden, bis er alle 613 Gebote konkret erfüllt hat, wie durch unseren Meister R. Jizchak Lurja sel. A. bekannt ist27.
Die uns offenbarten Buchstaben existieren in Tat, Wort und Gedanke. Zur Tat zählen die Formen der Buchstaben in der assyrischen Schrift der Torarolle. Die zum Wort zählenden Buchstaben sind in den Atem und die Stimme graviert. [Die Stimme] ist in 22 Teile – einer vom anderen in seiner Form verschieden – geteilt, d.h. Artikulation und Aussprache der 22 Buchstaben in jeder Sprache. Denn hinsichtlich des Wesens der Artikulation der Buchstaben besteht zwischen der Heiligen Sprache28 und den übrigen Sprachen kein Unterschied; [der Unterschied besteht] bloß hinsichtlich ihrer Zusammenstellung. Die Buchstaben des Gedankens sind – wiederum in jeder Sprache, in der man denkt – die Worte und Buchstaben der Sprache, die auf bloß 22 beschränkt sind. Im Gedanken existieren jedoch drei Aspekte der Buchstaben. Sieht der Mensch nämlich die Gestalt der Buchstaben in der Torarolle, stellt er sie sich in seinem Gedanken vor. Dies wird als die „Tat im Gedanken“ bezeichnet. Auch wenn der Mensch Sprachlaute vernimmt, werden sie in seinem Gedanken festgehalten, und er sinnt über sie nach. Dies wird als das „Wort im Gedanken“ und Aspekt von Jezira bezeichnet. Die gedanklichen Buchstaben alleine, ohne jegliches Nachdenken über die Sprachlaute, werden als „Gedanke im Gedanken“, Aspekt von Berija, bezeichnet.
Nun entstehen die eigentlichen Sprachlaute und erhalten ihre Lebenskraft von diesen selben Buchstaben, die sich im Gedanken befinden. Obschon der Mensch bisweilen [von einer Sache] spricht und über eine andere Sache nachsinnt, kann er bloß solche Worte und Kombinationen äußern, die er bereits ausgesprochen hat und die bereits ungemein oft in seinen Gedanken waren. Folglich verbleibt in diesen Worten und Kombinationen ein Überrest des Gedankens, der bereits oftmals in sie eingedrungen war. Und dies ist der rückseitige und äußerliche Aspekt von Nezach-Hod-Jesod des Antlitzes der höheren Ebene, das die niedere betritt, um ihr als Aspekt des Gehirnes und der Lebenskraft zu dienen, wie bekannt ist.
Diskutieren Sie mit